Berlin:Auf der Randale-Meile

Nachbarn des zwischen Autonomen und Polizei umkämpften Hauses fordern Gespräche, die der Senat verweigert.

Von Jens Schneider, Berlin

Für den Moment sah es an diesem Vormittag nach Entspannung aus in der Rigaer Straße zu Berlin. Am Morgen hat die Polizei einige Absperrgitter abgebaut, Straße und Bürgersteig sind frei zugänglich. Es standen weniger Polizisten vor der Hausnummer 94, sie bleiben im Hintergrund. So hat sich die Kulisse geändert vor diesem Termin, mit dem Bürger die Eskalationsspirale durchbrechen wollen.

Am Wochenende war es bei einer Demonstration zu den heftigsten Krawallen seit Jahren gekommen, Polizisten wurden mit Steinen und Böllern angegriffen. Teile der linken Szene freuten sich im Internet und formulierten das Ziel, beim nächsten Mal noch mehr Polizisten zu verletzen, die in solchen Erklärungen "Schweine" genannt werden. Die Demo wendete sich gegen die Räumung eines Teils der Rigaer Straße 94, ein ehemals besetztes Haus mit Symbolkraft für viele Linksautonome.

Sie fühle sich "missbraucht als Statistin im Sommerloch", klagt eine Bewohnerin

Das Haus war in den Neunzigern besetzt und später legalisiert worden, viele Bewohner haben Mietverträge. Seit drei Wochen lässt der Besitzer einen kleinen Teil räumen, für den es keine Verträge geben soll. Geschützt wird die Räumung mit einem großen Polizeiaufgebot, anfangs waren es 300 Beamte. Zum Schutz des Bautrupps stehen private Sicherheitskräfte bereit. Aus der linken Szene hieß es, dass als Rache für die Räumung Millionen-Schäden in Berlin angerichtet werden sollen. Seither wurden in der Stadt Autos in Brand gesetzt, es gab Angriffe auf Politiker-Büros, die Polizei spricht von Resonanzstraftaten.

Nun also luden Nachbarn des Hauses die Presse ein. Sie stellten einen Tisch und Stühle vor den Hausaufgang, dahinter hängten sie ein Transparent: "Wir wollen unsere Straße zurück!"

Bevor ihre Ansprache begann, gab es eine bizarr anmutende Aufregung, wie sie in diesen aufgeregten Berliner Häuserkampf passt. Der Einsatzleiter der Polizei mahnte, er dürfe keine ungenehmigte Versammlung auf offener Straße dulden. Eine Abgeordnete der Grünen telefonierte mit der Polizeispitze, bis es dann doch die Genehmigung gab. Der Sprecher der Berliner Polizei sagte später, dass man großes Interesse an der Sache hatte und sie nicht verhindern wollte.

Rigaer Strasse Becomes Focus Of Gentrification Dispute

Ein Haus in der Rigaer Straße mit Solidaritäts-Bekundungen für die Nachbarn in der Hausnummer 94.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Nun lasen zwei Nachbarn abwechselnd Passagen einer Erklärung vor und forderten einen runden Tisch mit allen Beteiligten. "Wir wünschen uns eine Deeskalation", sagte Kerstin Neugebauer, sie wohnt im Haus direkt neben der 94. Die Situation gehe seit drei Wochen zulasten aller Anwohner, die sich angesichts der Dauerpräsenz der Polizei unwohl und verunsichert fühlten. "Wir hinterfragen den polizeilichen Ausnahmezustand, der die Atmosphäre rundherum immer mehr vergiftet."

Sie fühle sich missbraucht als Statistin im Sommerloch, beklagte sie und verlangte Gesprächsbereitschaft von allen Seiten. "Gegenseitige Beschimpfungen und Bedrohungen führen zu nichts." Ein neutraler Mediator solle den runden Tisch moderieren, das habe sich in Berlin in schwierigen Zeiten bewährt. Teilnehmen sollten neben Bewohnern der Rigaer Straße Vertreter des Senats, des Bezirks und der Polizei.

Auch Andreas Döhler wohnt in der Nachbarschaft. Seit Wochen seien im Schnitt vier Einsatzwagen der Polizei in der Straße, schilderte er die Situation. "Der permanente Ausnahmezustand ist für alle nur noch anstrengend." Die Situation sei Stress für alle Nachbarn und für die Polizeikräfte, "die hier sinnlose Einsätze schieben, die sie sich selber nicht mehr erklären können", ergänzte Kerstin Neugebauer. Sie beendete ihren Vortrag, in Anlehnung an Monty Python, mit dem fröhlichen Appell: "always looking for the bright side of life". Es gab einen Moment der Heiterkeit, auch Applaus. Und nun?

Am Montag hat sich der sozialdemokratische Berliner Regierungschef Michael Müller unter dem Eindruck der Krawalle kategorisch gegen einen runden Tisch gewandt, eine Woche zuvor war er noch dafür. Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann dagegen hat schon Einladungen für eine Gesprächsrunde versandt. "Wenn man sich nicht mal an einen Tisch setzt, finde ich das ein starkes Stück," sagte die Grüne bei der Veranstaltung am Dienstag.

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