Bericht über Polizeieinsatz in Dortmund:Böse Demokraten, liebe Neonazis

Als Rechtsextreme das Rathaus in Dortmund stürmen wollen, stellen sich ihnen engagierte Politiker in den Weg. Sie bekommen Schläge und werden mit Flaschen beworfen - jetzt macht das Innenministerium aus ihnen das eigentliche Problem.

Von Antonie Rietzschel

Der Gedanke lässt Stefan Neuhaus nicht los: Was wäre passiert, wenn die Rechtsextremen es in das Gebäude geschafft hätten? "Ich mag mir das gar nicht ausmalen", sagt der Geschäftsführer der Grünen-Stadtratsfraktion in Dortmund. Es ist der 25. Mai, Tag der Kommunal- und Europawahlen. Gemeinsam mit Politikern anderer Fraktionen stellt sich Neuhaus schützend vor das Rathaus. Vor ihnen etwa 30 Anhänger der rechtsextremen Partei "Die Rechte", die versuchten in das Gebäude einzudringen. Ein Video zeigt, wie einige von ihnen auf Personen in der Menschenkette einschlagen. Auch Flaschen fliegen. Am Ende gibt es zehn Verletzte - doch die Rechtsextremen bleiben draußen.

Noch heute betont Stefan Neuhaus den Mut aller, die sich an diesem Abend den Rechtsextremen entgegen stellten. Auch der Ältestenrat der Stadt ist voll des Lobes über das gewaltfreie Engagement. Doch das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat eine ganz andere Sicht der Dinge, die nicht nur die Mitglieder des Stadtrates fassungslos macht.

Vor Wut gegen den Schreibtisch treten

Mehr als 100 Polizisten sind am Abend vor dem Rathaus im Einsatz. Auf deren Einschätzungen beruht ein Bericht, der nun vom Innenministerium veröffentlicht wurde und die Vorgänge am Abend des 25. Mai zusammenfasst (PDF). So hätten Anhänger der "bürgerlich/linken Gruppierung" Lücken in der Polizeikette ausgenutzt, um Angehörige der rechten Gruppierung mit Schlägen und Tritten zu attackieren, wodurch die Emotionen unter den Rechten immer wieder angeheizt worden seien. Und weiter:

"Dieses Verhalten trug im erheblichem Maße dazu bei, dass eine völlige Befriedung der Situation nur durch den Einsatz weiterer Kräfte zur Trennung der Parteien sichergestellt werden konnte. Die Maßnahmen der Polizei ließen die Angehörigen der rechten Gruppierung ohne größeren Widerstand über sich ergehen."

Er habe angesichts dieser Vorwürfe erst mal vor Wut gegen den Schreibtisch treten müssen, sagt Stefan Neuhaus. Eine völlige Verdrehung der Tatsachen sei das. "Da werden Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern gemacht." Besonders bestürzt ist er über die Passage, in der davon die Rede ist, dass "deutlich alkoholisierte Politiker" die Amtshandlungen erheblich gestört haben sollen. "Das klingt, als ob da eine völlig sturzbetrunkene Truppe von Politikern gestanden hätte", sagt Neuhaus.

Widerspenstige Anti-Rechts-Kämpfer auf der einen, kooperationsbereite Rechtsextreme auf der anderen Seite - diese Beschreibung des Berichts nutzt die Partei "Die Rechte" für sich. Auf ihrer Internetseite begrüßt sie die "klare Positionierung der Dortmunder Polizei, die deutlich aufzeigt, von welcher Seite vor dem Rathaus am Kommunalwahlabend die Gewalt ausging."

Die Polizei vertraut einem Rechtsextremen

Die Rolle der Polizei bewertet der Bericht als "professionell in der Durchführung". Nach dem Angriff auf das Rathaus hatte es viel Kritik an den Beamten gegeben - sie sei viel zu spät gekommen, lautete ein Vorwurf der Demokraten, die vor Ort waren. Minutiös wird nun in dem Papier aufgelistet, wer wann wo gewesen sein soll:

Um 22:10 Uhr erhält die Leitstelle des Polizeipräsidiums Dortmund den Hinweis, dass es zu einer möglichen Auseinandersetzung zwischen Personen des "rechten und linken Spektrums" kommen könne - bereits vier Minuten später trifft der erste Streifenwagen ein. Kurz darauf kommt der zuständige Dienstgruppenleiter dazu. Im Bericht ist von einer "überdurchschnittlich kurzen Einsatzreaktionszeit" die Rede. Auch Neuhaus lenkt ein: "Wenn man da vor Ort in so einer bedrohlichen Situation ist, kommt einen das unendlich lang vor", sagt er. Auf die Uhr habe er nicht geschaut.

Keine Hinweise, nirgendwo

Die Frage ist, warum war die Polizei nicht schon den ganzen Abend vor Ort und verhinderte die Situation? Allen Beteiligten war klar, dass "Die Rechte" bei einem Wahlsieg womöglich im Rathaus feiern wolle, so steht es auch in dem Bericht des Innenministeriums. Um 21:16 Uhr finden die Beamten auf Twitter ein Bild von "Die Rechte"-Spitzenkandidat und mittlerweile Stadtrat Siegfried Borchardt, auch "SS-Siggi" genannt. Darauf ist er mit gereckter Faust zu sehen. Darunter steht: "Mit einem Schlag ins Rathaus!" Der Post sei von der Polizei nicht als Ankündigung verstanden worden, das Rathaus aufzusuchen, heißt es dazu in dem Bericht. Auch darüber hinaus habe es keine Hinweise gegeben.

Ihre Informationen bezog die Polizei direkt von der Quelle: Der stellvertretende Landesvorsitzende "Die Rechte", Michael Brück, versicherte, dass man der Auszählung der Stimmen in einem Wahllokal beiwohnen wolle. Für den Fall, dass es was zu feiern gäbe, würde man dieses in kleinem Kreis in Dortmund-Dorstfeld tun, wo viele Parteiangehörige wohnen. Die Polizei vertraute offenbar den Aussagen Brücks.

Kritik am Innenminister

Am Wahlhabend fährt sie um 21 Uhr kurz zur Kontrolle nach Dortmund-Dorstfeld und stellt fest, dass in einem Wohnhaus gefeiert wird. Gleichzeitig trifft sie auf einen bekannten Rechtsextremen - für die Beamten offensichtlich ein Indiz, dass keine Gefahr im Verzug ist. Sie fahren wieder. "Unglaublich", findet Christian Gebel diesen Vorgang. "Da werden Rechtsextreme zu Kronzeugen gemacht", sagt er. Gebel sitzt für die Fraktion Linke und Piraten im Dortmunder Rathaus. Seiner Meinung nach hätten die Beamten vor Ort bleiben müssen, um zu beobachten was passiert, wenn die Rechtsextremen erfahren, dass sie ein Mandat gewonnen haben.

Gebel hat an dem besagten Abend eine Bierflasche an den Kopf bekommen und musste im Krankenhaus behandelt werden. Strafanzeige hat er bisher nicht gestellt - denn er will sehen, ob die Polizei selbst beginnt zu ermitteln. Das öffentliche Interesse sei eigentlich groß genug, sagt er. Noch sei nichts passiert. Dem Bericht des Innenministeriums zufolge beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft derzeit mit Landfriedensbruch, Volksverhetzung und Nötigung.

Am Donnerstag wird sich der Innenausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen mit der Einschätzung des Abends beschäftigen. Unter den Parlamentsmitgliedern hat sich breiter Widerstand gegen die Sichtweise des Innenministeriums formiert. Fraktionsübergreifend haben einzelne Abgeordnete eine gemeinsame Erklärung unterschrieben, in der das Engagement am Wahlabend ausdrücklich unterstützt und Kritik am Vorgehen des Staatsschutzes geübt wird. Auch SPD-Leute sind unter den Unterzeichnern. Aus deren Mitte stammt Innenminister Ralf Jäger.

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