Bericht für den UN-Menschenrechtsrat:UN-Inspektor verdammt deutsches Schulsystem

Die Kritik von UN-Berichterstatter Vernor Muñoz hat es in sich: Behinderte Schüler würden in Deutschland ausgegrenzt, Kinder aus ausländischen oder armen Familien benachteiligt.

UN-Inspektor Vernor Muñoz hat vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf seine scharfe Kritik am deutschen Schulsystem bekräftigt. Die Bundesrepublik solle ihr mehrgliedriges Schulsystem sowie die frühe Aufteilung der Kinder auf Haupt-, Realschule und Gymnasium "noch einmal überdenken", sagte er am Mittwochnachmittag.

UN-Inspektor Vernor Muñoz

Ausgegrenzt, diskriminiert, ungerecht behandelt: Deutsche Schüler haben es nicht leicht.

(Foto: Foto: dpa)

Das System sei "selektiv" und könne faktisch zur Diskriminierung von Kindern aus Migrantenfamilien, armen Elternhäusern und auch Behinderten führen, heißt es in dem von Muñoz bei der Vollversammlung des UN-Menschenrechtsrates vorgelegten Bericht.

Weitere Kritikpunkte in dem Gutachten sind die oft unklare Schulsituation von Kindern illegal in Deutschland lebender Familien und die unterschiedliche Schulorganisation in den 16 Bundesländern. Ferner monierte Muñoz die Lehrerausbildung sowie fehlende Durchlässigkeit zwischen den Schulformen.

In dem Bericht beruft sich der UN-Experte unter anderem auf die PISA-Studie. Danach ist in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat der Welt der Bildungserfolg eines Kindes so abhängig von seiner sozialen Herkunft wie in Deutschland.

Empörte Kultusminister

Deutsche Bildungspolitiker widersprachen den Thesen des aus Costa Rica stammenden Jura-Professors, der die Bundesrepublik vor einem Jahr besucht hat, bereits im Vorfeld vehement. Vor allem Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) beharrte darauf, dass die Aufteilung in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien in Deutschland eine Erfolgsgeschichte sei.

Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) hat die Kritik des UN-Sonderberichterstatters zurückgewiesen. Obwohl Munoz selbst feststelle, dass es keine Hinweise auf einen schlüssigen Zusammenhang zwischen Schulsystem und -erfolg gebe, plädiere er für eine grundlegende Änderung der deutschen Schulstruktur, kritisierte KMK-Präsident Jürgen Zöllner am Mittwoch. Die KMK wies zudem den Vorwurf zurück, Kinder mit Behinderungen würden aus dem deutschen Schulsystem ausgegrenzt.

"Nicht nachvollziehbar"

Nicht zuletzt lehnte auch der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) die Vorwürfe der Chancenungleichheit ab. "Das gegliederte Schulsystem bietet sehr gute Voraussetzungen, um Kinder und Jugendliche entsprechend ihren Talenten und Interessen optimal zu fördern", sagte Schneider.

Für ihn sei nicht nachvollziehbar, wie der UN-Sonderberichterstatter nach einem dreitägigen Aufenthalt in Deutschland im Februar 2006 überhaupt ein Urteil über das deutsche Bildungssystem fällen könne, kritisierte der CSU-Politiker. In Bayern habe Muñoz an einem einzigen Tag insgesamt drei Schulen besucht.

Das bayerische Schulsystem weise eine hohe Durchlässigkeit auf. Auf dem Weg über Berufsoberschule und Fachoberschule könnten leistungsfähige und -willige Haupt- und Realschüler auch bis zum Hochschulstudium gelangen. "Bildungserfolg allein mit Gymnasium und Abitur gleichzusetzen, ist mit Sicherheit der falsche Ansatz."

Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, forderte die deutschen Bildungspolitiker hingegen auf, endlich die hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft zu überwinden. "Kultusminister wie Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) müssen auf rechthaberische Abwehrhaltung verzichten und endlich die Schulstrukturfrage angehen."

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