Bericht:Belgrads Befreiung

Begleitet von Chaos und politischem Streit wird der Ex-Diktator nach Den Haag gebracht.

Bernhard Küppers

Die noch unentwegten Getreuen von Slobodan Milosevic hatten sich am Donnerstag in Belgrad schon zu ihrer allabendlichen Demonstration gegen eine Auslieferung des früheren Machthabers an das Kriegsverbrecher-Tribunal versammelt. Es sollte nach dem Willen von Milosevics Sozialistischer Partei Serbiens (SPS) die Feier eines "Triumphs der Rechtsprechung" über den "Verrat" der neuen Regierenden werden, des "Siegs der stärksten Oppositionspartei", als den sie die aufschiebende Entscheidung des jugoslawischen Verfassungsgerichts gegen den Regierungserlass über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Gericht begrüßt hatten. Nach einer ersten Meldung des Belgrader Radios B92 war zu dem Zeitpunkt jedoch Milosevic aus dem Zentralgefängnis schon Vertretern des Tribunals übergeben und in ein Flugzeug gesetzt worden.

Rechtzeitig für die Abendnachrichten des Staatsfernsehens trat dann der serbische Regierungschef Zoran Djindjic vor die Kameras, um bekannt zu geben, dass sein Kabinett die Entscheidung des aus der Zeit Milosevics überkommenen und diskreditierten Verfassungsgerichts für "nichtig" befunden und auf eigene Faust den Vollzug der Verpflichtungen gegenüber dem Haager Tribunal beschlossen habe. Die Regierung Serbiens stütze sich dabei auf die Verfassung, die zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen anhalte. Sie bevollmächtige die größere Teilrepublik im Fall eines Nichtfunktionierens der jugoslawischen Bundesorgane zur eigenständigen Sicherung ihrer Interessen.

Die Hälfte der Bevölkerung war für Auslieferung

Das Belgrader Stadtzentrum erlebte an dem Donnerstag einen üblich belebten, durch das Sommerwetter sogar noch belebteren Abend. "Das hätte schon längst geschehen müssen", sagte ein Bekannter, von dem vor kurzem noch so etwas nicht zu hören gewesen wäre. Letzte Umfragen hatten allerdings ergeben, dass die Bevölkerung inzwischen schon zur Hälfte für eine Auslieferung war, auch wenn sie vorher lieber ein einheimisches Gerichtsverfahren gesehen hätte. Auch unter dem weitaus überwiegenden Teil der Serben, der sich von dem früheren Machthaber ein dreiviertel Jahr nach seinem Sturz abgekehrt hat, herrscht die Ansicht vor, dass sie selber - nicht etwa Kroaten, bosnische Muslime und Kosovo-Albaner - das größte Opfer Milosevics seien.

Djindjics Innenminister Dusan Mihajlovic hatte in den letzten Wochen mit der dosierten Bestätigung von Enthüllungen über Massengräber in Belgrad und Ost-Serbien, in die auf Anordnung Milosevics zur Vertuschung von Kriegsverbrechen die Leichen ziviler Opfer aus dem Kosovo in Kühllastwagen transportiert worden seien, die Bevölkerung schockiert. Djindjics Parteistellvertreter, der jugoslawische Vize-Ministerpräsident und Delegationsleiter auf der am heutigen Freitag stattfindenden internationalen Geberkonferenz für Jugoslawien, Miroljub Labus, war auch nicht müde geworden, auf die abträglichen Folgen einer neuen Isolierung durch verweigerte Kooperation mit Den Haag hinzuweisen.

Der einzige Exportartikel

Die Belgrader Zeitschrift Vreme formulierte angesichts des internationalen, vor allem amerikanischen Drucks in bewusstem Zynismus, dass Milosevic seinem Land als der "einzige Exportartikel" geblieben sei. Auch Djindjic sagte nun noch einmal, was es doch für eine "Blamage" dargestellt hätte, wenn eine größere Zahl von Teilnehmern der Geberkonferenz in Brüssel ferngeblieben und Serbien "erneut an den Schandpfahl" gestellt worden wäre.

Die Fernsehnachrichten teilten am Ende allerdings ein Detail mit, das die innenpolitische Brisanz der Vorgänge vom Donnerstag andeutete. "Der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica erfuhr von der Auslieferung Milosevics aus den Medien", war aus seinem Büro zu erfahren. Djindjic seinerseits versäumte nicht zu erwähnen, dass von 15 anwesenden Mitgliedern seines Kabinetts, die bei dem Beschluss der serbischen Regierung abstimmten, nur der Gesundheitsminister Obren Joksimovic dagegen votiert habe. Joksimovic gehört der Partei Kostunicas an. Der jugoslawische Präsident, der sich einen "gemäßigten Nationalisten" nennt, war bis zuletzt bei seinen Vorbehalten gegen das angeblich anti-serbische Tribunal geblieben. Auch wenn er schließlich zusammen mit den anderen Führern des 18-Parteien-Bunds der regierenden Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) mit Hinweis auf den internationalen Druck eingelenkt hatte.

Noch diese Woche hatte der bekennende "Legalist" einer Abordnung von Milosevics Partei jedoch versichert, dass es eine Auslieferung vor einer Stellungnahme des Verfassungsgerichts nicht geben werde. Schon nach einer Beratung der DOS-Führer, der am Mittwoch Abend allein Kostunica fern blieb, hatte der bei weitem populärste Politiker der neuen Regierenden allerdings isoliert da gestanden.

Aus dem Zentralgefängnis wurde Milosevic in einem Polizei-Kombi davongefahren. Später tauchte ein Wagen mit seiner Frau Mira Markovic dort auf, um den Ort bald darauf wieder zu verlassen. Es war alles auch zu schnell gegangen, als dass Milosevic-Anhänger von ihrer ausgefallenen "Triumph-Feier" auf dem Platz der Republik im Stadtzentrum noch rechtzeitig zu einer Blockade vor dem Gefängnis erscheinen konnten. "Die Sicherheitslage in Belgrad ist normal", hörte das Fernsehpublikum.

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