Rettung der Bergarbeiter in Chile:Manche Wunder dauern länger

Nach der Rettung der in der Mine von San José verschütteten Bergleute hat Chile 33 neue Helden. Doch die Kumpel müssen nun erst einmal ihre Traumata verarbeiten.

Stefan Klein

Es war in den frühen Tagen des Dramas. Alles war noch offen, keiner wusste, wie es enden würde. Von einem Happy End wagte da noch keiner zu sprechen, es war mehr die Rede von den Risiken und Gefahren, die zu dem Zeitpunkt noch als sehr hoch eingeschätzt wurden.

Residents observe the rescue of the miners trapped in the San Jose mine in Copiapo

Ein Anwohner spricht letzte Gebete, bevor die Rettungskapsel den ersten verschütteten Kumpel nach oben bringt.

(Foto: REUTERS)

Einer jedoch sah bereits damals schon über die Ängste und Sorgen hinweg die große historische Dimension des Ganzen. Das war der Arzt Andrés Llarena, Mitglied des viele Experten umfassenden Rettungsteams. "Wissen Sie", sagte er, "diese 33 Bergleute da unten sind gerade dabei, uns eine wichtige Lektion zu erteilen." Die Lektion nämlich, dass man auch unter allergrößten Schwierigkeiten und gegen alle Wahrscheinlichkeit überleben kann. Und er fügte hinzu, dass am Ende, bei einem glücklichen Ausgang, Chile neue Helden haben werde.

Es war kühn, dies an einem Tag zu sagen, als die Bohrung des Rettungsschachts gerade erst begonnen hatte. Als es zwischen den Eingeschlossenen in ihrem heißen und feuchten Grab 700 Meter unter der Erde und der Außenwelt nur drei dünne Versorgungsröhren gab. Als noch darüber gestritten wurde, ob man den Kumpeln durch diese Röhren außer Nahrungsmitteln und Getränken auch Zigaretten und ab und zu mal Alkohol schicken sollte.

Gewiss, die 33 Kumpels hatten sich schnell sehr gut organisiert in ihrem Verlies. Es waren ja keine Touristen, die sich in einer Höhle verirrt hatten, sondern Männer, die an ihrem Arbeitsplatz gefangen genommen worden waren. Sie kannten sich aus dort unten und wussten, worauf es ankam, nur: Was wäre gewesen, wenn einer von ihnen ernsthaft erkrankt wäre? Wenn er hätte operiert werden müssen? Schon eine Blinddarmentzündung hätte eine große Krise heraufbeschworen, weil sie für das Skalpell des Chirurgen unerreichbar gewesen wäre.

Kaum irgendwo in der Welt hat man eine so phantastische Sicht auf die Sterne am Himmel wie in der Atacama-Wüste, und einer von denen muss ein ganz besonders guter gewesen sein, der mehr als zwei Monate lang über die Kumpels und das Rettungsteam gewacht und dafür gesorgt hat, dass in Chile jetzt tatsächlich ein Heldenepos geschrieben wird. Wenn sich der große Jubel gelegt haben wird, kommen freilich noch Tage und Monate für die Geretteten, die sehr schwer, für den einen oder anderen vielleicht sogar unerträglich schwer werden dürften.

Der Psychologe Alberto Iturra, auch er Mitglied des Rettungsteams, hat schon sehr früh darauf hingewiesen, dass da Traumata sind, die der Behandlung und der Therapie bedürfen. Hinzu kommt, dass innerfamiliäre Konflikte programmiert sind, denn die Männer, die ja jetzt Helden sind, werden ganz selbstverständlich wieder ihre Führungsrolle beanspruchen, die jedoch in der Zwischenzeit von ihren Frauen übernommen wurden. Sie waren es, die in den beiden Krisenmonaten die Familien zusammengehalten, die Kinder getröstet, den Alltag gemeistert und sich den Medien gestellt haben. Die Rollen haben sich verschoben, und es wird nicht leicht werden, die alten Verhältnisse wiederherzustellen. Iturra sagt, das sei vergleichbar mit den Problemen von Kriegsheimkehrern.

Aber die Familien, die Mütter und Ehefrauen, hatten Zeit, sich mit der Hilfe von Psychologen auf diesen Moment vorzubereiten. Eine dieser Mütter heißt Norma Lagues, sie hat zwei Monate lang auf dem Minengelände im "Lager der Hoffnung" ausgeharrt, um auf ihren Sohn Jimmi Sanchez zu warten. Er war mit 19 Jahren der jüngste der eingeschlossenen Kumpels, eigentlich noch ein Junge. Aber schon vor Wochen, nachdem man eine Videoleitung zwischen oben und unten geschaltet hatte, war der Mutter eine Veränderung an ihrem Jungen aufgefallen. Sie sagte: "Er sieht jetzt mehr aus wie ein Mann."

An diesem Mittwochmorgen nun war Jimmi Sanchez einer der Ersten, der mit der Kapsel nach oben gebracht wurde. Der Junge, der ein Mann geworden war. Gut sah er aus, aber die Mutter, die ihn in die Arme schloss, weiß: "Er wird für sein Leben gezeichnet sein, wie wir alle."

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