Beratung statt Untersuchung:Kein Zwang zur Krebsvorsorge

Die vom Bundestag beschlossene Pflicht zur Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen wird wahrscheinlich gekippt. An ihre Stelle soll eine Beratungspflicht treten.

Claus Hulverscheidt und Nina von Hardenberg

Bundestag und Bundesrat hatten im Zuge der Gesundheitsreform beschlossen, dass Kranke sich mit bis zu zwei Prozent ihres Jahreseinkommens an den Kosten ihrer Behandlung beteiligen müssen.

Beratung statt Untersuchung: Brustkrebs-Vorsorge: Keine Pflicht zur Untersuchung.

Brustkrebs-Vorsorge: Keine Pflicht zur Untersuchung.

(Foto: Foto: dpa)

Für chronisch Kranke wurde die Obergrenze auf ein Prozent festgelegt, allerdings nur für den Fall, dass der Patient seine Teilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung nachweisen kann. Da niemand weiß, ob er einmal chronisch erkrankt, hätte im Prinzip jeder Versicherte die Checks machen lassen müssen.

Dieser Zwang verstößt aber nach Ansicht des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) von Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern, Kassen und Patientenvertretern gegen das Selbstbestimmungsrecht des Menschen.

Der GBA war eigentlich vom Gesetzgeber beauftragt worden, Ausnahmefälle zu definieren, in denen keine Zwangsuntersuchungen nötig sind. Stattdessen kehrte er die gesetzlichen Regelungen jedoch faktisch um und definierte lediglich drei Krankheiten, bei denen sich der Versicherte vom Arzt über Vor- und Nachteile von Vorsorgeuntersuchungen aufklären lassen muss.

Der Nachweis, dass dieses Gespräch stattgefunden hat, reicht, um bei einer späteren chronischen Erkrankung die Selbstbeteiligung zu begrenzen.

Der GBA-Vorsitzende Rainer Hess sagte, die Untersuchungspflicht sei "mit ethischen und rechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen". Der Ausschuss sei deshalb ,,nahe dran" gewesen, sich dem Auftrag des Gesetzgebers zu verweigern. "Stattdessen haben wir jetzt einen Kompromiss gefunden, der an die rechtliche Grenze geht", so Hess.

SPD-Gesundheitsexperte kritisiert Regelung

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der als Erfinder der "Chroniker-Regelung" gilt, warf dem GBA vor, sich "über das Gesetz gestellt" zu haben. "Wir hatten den Ausschuss um eine Umsetzung, nicht um ein neues Gesetz gebeten", sagte er.

Ziel der Regelung sei es gewesen, jährlich 3000 bis 10000 Krebsfälle zu verhindern. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sprach dagegen von einem "guten Kompromiss". Die Regierung respektiere "das Recht der Menschen auf Freiwilligkeit". Wichtig sei aber die Pflicht, sich zu informieren. Schmidts Ministerium hat jetzt acht Wochen Zeit, den GBA-Beschluss zu prüfen.

Der Chef des zuständigen GBA-Unterausschusses, Bernd Metzinger, sagte, Zwangsuntersuchungen seien nur dann zu rechtfertigen, wenn die Ergebnisse zu beinahe hundert Prozent zuverlässig seien und die Therapiechancen erhöhten.

Das sei aber oft nicht der Fall. Zudem habe der Patient ein "Recht auf Nichtwissen". Bei Brust-, Darm- und Gebärmutterhalskrebs seien Früherkennungsmaßnahmen wie Mammographie und Darmspiegelung sehr gut, aber nicht ungefährlich. Deshalb könne auch hier keiner zu einer Untersuchung verpflichtet werden.

Scharfe Kritik an dem Gesetz übte der Patientenvertreter im GBA, Stefan Etgeton. Er sagte, selbst die Zwangsberatung sei ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Auch Metzinger betonte, der Ausschuss habe stets versucht, das Gesetz zu verhindern. "Das hat das Ministerium aber nicht groß gekümmert", sagte er.

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