Benno Ohnesorg:Die Geburt der 68er

Von der Studentenbewegung über die RAF bis zu den Grünen - der Tod von Benno Ohnesorg hat das Land verändert. Durch die Stasi-Enthüllung erscheint der 2. Juni 1967 in einem neuen Licht. Eine Übersicht

Michael König

Am 2. Juni 1967 verließ kurz nach 20 Uhr ein Projektil den Lauf der Dienstpistole des Kriminalobermeisters Karl-Heinz Kurras. Die Kugel traf den wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf. Der Schuss veränderte die Republik: Die bislang eher friedliche Studentenbewegung wurde gewaltbereit, spätere Terroristen wie die "Bewegung 2. Juni" oder die RAF zogen aus dem Tod ihre Motivation, mit Bomben gegen das verhasste politische System vorzugehen.

2. Juni 1967 Benno Ohnesorg, dpa

In München demonstrieren am 5. Juni 1967 Studenten wegen des Schusses auf Benno Ohnesorg. Der Tod des Studenten gilt als Geburtsstunde einer politischen Generation.

(Foto: Foto: AP)

Dass Kurras offenbar Mitglied der SED war und als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Stasi arbeitete, lässt den Fall in einem neuen Licht erscheinen - und damit auch die Geburt einer politischen Generation, die als "68er" Karriere machte.

Der Schah und die Prügelperser

Am 2. Juni 1967 besucht der Schah von Persien, Reza Pahlewi, den damaligen Westteil Berlins, damals das Zentrum der Studentenbewegung, die sich gegen neue Hochschulgesetze, den Krieg der USA in Vietnam und Diktaturen in aller Welt richtet. Schon beim Empfang des Schahs im Schöneberger Rathaus kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen: die Polizei lässt zu, dass 80 Anhänger des Schahs - darunter Mitglieder des iranischen Geheimdienstes - mit Holzlatten auf Demonstranten losgehen, die gegen Folter und Unrecht in Iran demonstrieren.

Später besucht der Schah gemeinsam mit Bundespräsident Heinrich Lübke die Deutsche Oper in der Bismarckstraße. Vor dem Gebäude protestieren 2000 Menschen. Die Berliner Polizei geht mit Gewalt gegen die Demonstranten vor. Angestachelt werden die Beamten von einer Lautsprecherdurchsage der Polizei, wonach ein Beamter erstochen worden sein soll - sie stellt sich später als Falschmeldung heraus.

Tod im Hinterhof

Angesichts der Gewalt, die von den Polizisten ausgeht, bricht Panik aus. Viele Demonstranten fliehen in die benachbarte Krumme Straße - darunter auch der Student Benno Ohnesorg.

Er ist zum Zeitpunkt seines Todes 26 Jahre alt, studiert Germanistik und Romanistik, ist Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde und frisch verheiratet. Seine Frau ist schwanger.

Die Demonstranten werden verfolgt von bewaffneten Polizeibeamten in Zivil, den so genannten "Greifern". Einer von ihnen ist der damals 39 Jahre alte Kriminalbeamte Karl-Heinz Kurras. Die Polizisten dringen in den Hof des Hauses Krumme Straße 66/67 ein und verprügeln die dorthin geflohenen Demonstranten.

Ohnesorg wird von mehreren Beamten festgehalten und geschlagen. Aus der Waffe von Kurras, der wenige Meter entfernt steht, löst sich ein Schuss. Der Student bricht zusammen, er ist am Kopf getroffen. Die Polizisten prügeln weiter auf den lebensgefährlich Verletzen ein.

Nachdem sie sich von Ohnesorg abgewendet haben, kommt die Studentin Friederike Hausmann dem am Boden Liegenden zur Hilfe. Sie schiebt ihre Handtasche unter seinen Kopf und ruft nach einem Krankenwagen. Der Stern-Reporter Bernard Larsson fotografiert die Szene - das Bild geht um die Welt.

Der Transport ins Krankenhaus dauert fast eine Stunde. Ohnesorg ist vermutlich schon tot, als er dort ankommt.

Mord oder Notwehr?

Die Polizei habe sich "bis an die Grenzen des Zumutbaren zurückgehalten", behauptet am 3. Juni der Regierende Bürgermeister Berlins, Heinrich Albertz (SPD). Jedoch sei die "Geduld der Stadt" mit den Demonstranten "am Ende". Albertz wird wenige Monate später von seinen innerparteilichen Gegnern zum Rücktritt gezwungen, den Tod Ohnesorgs hat er sich nie verziehen: "Ich war am schwächsten, als ich am härtesten war", hat er später einmal über die Nacht des 2. Juni gesagt.

Die Polizei spricht zunächst von Notwehr, später von einem Unfall ohne Tötungsabsicht. Kurras wird lediglich wegen "fahrlässiger Tötung" angeklagt und in drei Prozessen freigesprochen, obwohl "die Beweisaufnahme eindeutig ergeben hatte, dass er Ohnesorg getötet hatte, diese Tötung rechtswidrig war und eine Notwehrsituation zweifelsfrei auszuschließen ist", wie der Autor Uwe Soukup schrieb.

Soukup veröffentlichte im Mai 2007 das Buch "Wie starb Benno Ohnesorg?", in dem er auf zahlreiche Fehler der Justiz hinweist: So habe die Polizei dem Anwalt des Angeklagten Kurras Beweismaterial zur Verfügung gestellt, "möglicherweise manipuliert und das gemeinsame Vorgehen abgesprochen". Ferner seien zahlreiche Zeugenaussagen "entsorgt worden".

Reaktionen auf den Tod Ohnesorgs

Das Vorgehen der Polizei, der Schuss auf einen wehrlosen Demonstranten und der Freispruch des mutmaßlichen Mörders Kurras erschüttern den Glauben an den deutschen Rechtsstaat. Diejenigen, die die Bundesrepublik in der historischen Kontinuität zum "Dritten Reich" sehen, fühlen sich bestätigt und sprechen von "faschistoiden Methoden" der Polizei.

Viele Autoren sehen in dem 2. Juni 1967 die Geburtsstunde der radikalen Linken in Deutschland. Auch der Ursprung der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung, die in der Parteigründung der Grünen resultierte, wird mit dem Tode Ohnesorgs in Verbindung gebracht.

Mancher Lebenslauf wird direkt von den Ereignissen geprägt: So wäre der RAF-Anwalt und spätere Innenminister Otto Schily nach eigener Aussage wohl Wirtschaftsanwalt geblieben oder hätte als Notar sein Geld verdient.

"Keine Biografie auch nur eines 68ers lässt sich schreiben oder erzählen, ohne die besondere Bedeutung des 2. Juni 1967 hervorzuheben. Und auch keines der vielen Bücher über die RAF kommt an der Wirkung des Todes von Benno Ohnesorg vorbei", schrieb Uwe Soukup.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: