Benedikt XVI.:"Mit Kriegsliedern auf den Lippen"

"From Hitler Youth to Papa Ratzi": Britische Boulevardmedien würden den Deutschen gerne als Nazi entlarven. Dabei hat Ratzinger nie ein Geheimnis aus seiner Zeit in der Hitler-Jugend gemacht.

Von Hermann Unterstöger

Die Hartnäckigkeit, mit der Teile der britischen Boulevardpresse aus Papst Benedikts XVI. Jugendjahren eine Art von Nazivergangenheit zu destillieren versuchen, ist umso erstaunlicher, als Joseph Ratzinger selbst über diese Phase seines Lebens freimütig Auskunft gegeben hat.

Man kann das in den Erinnerungen "Aus meinem Leben" ebenso nachlesen wie in dem zusammen mit Peter Seewald verfassten Gesprächsbuch "Salz der Erde".

Ratzinger entstammt einer Familie, in der man bayerisch-patriotisch war und insofern dem heraufkommenden deutschnationalen Unwesen mit Misstrauen begegnete. Obwohl Polizist, haderte der Vater mit den neuen Mächten und sehnte darum den Tag der Pensionierung intensiver herbei, als er dies sonst getan hätte. Öffentliche Opposition hat er nicht geübt, wohl aber die antinazistische Zeitschrift Der gerade Weg bezogen.

Was die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend (HJ) angeht, so wurde Ratzingers um drei Jahre älterer Bruder Georg in die Pflicht-HJ aufgenommen, er selbst vom Traunsteiner Seminar aus hineingemeldet. Eigenem Zeugnis zufolge ist er bald nicht mehr hingegangen, obwohl die bitter nötige Schulgeldermäßigung mit dem Nachweis des HJ-Besuchs verbunden gewesen sei; ein verständnisvoller Lehrer, selbst Nazi, habe diesen Konflikt unter der Hand günstig erledigt.

Es gibt ein Foto des 16-jährigen Luftwaffenhelfers Joseph Ratzinger. Er sieht darauf eher unmilitärisch aus, ziemlich versonnen, und in der Tat wurden ihm keine allzu bedeutenden Kriegstaten abverlangt.

Die Traunsteiner Seminaristen waren als ganze Gruppe nach München zur Flak eingezogen worden, wo sie von August 1943 bis September 1944 Dienst taten; Ratzinger war in einer Abteilung, die anfliegende Maschinen orten und die Messdaten an die Geschütze weitergeben musste. Dieser Kriegsdienst hatte auch eine zivile Seite, indem die Seminaristen weiterhin zur Schule gingen, im Rahmen eines reduzierten Unterrichts am Münchner Kurfürst-Max-Gymnasium.

Keine bedeutenden Kriegstaten

Im September 1944 wurde Ratzinger aus der Flak entlassen, und als er nach Hause kam, erwartete ihn schon die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst.

Diesen hatte er zwei Monate lang im Burgenland abzuleisten, wobei ihm die dortigen Vorgesetzten, aus der Österreichischen Legion hervorgegangene Alt-Nazis, in besonders übler Erinnerung blieben, weil sie die jungen Leute immer zum "freiwilligen" Eintritt in die Waffen-SS bewegen wollten. Sein Gegengrund, die Ambition auf den Priesterberuf, habe ihm allerhand Hohn eingetragen, ihn aber auf Dauer vor der Anwerbung geschützt.

Im Winter 1944/45 kam Joseph Ratzinger noch zur Infanterie, doch nicht mehr an die Front. "Wir erhielten aber neue Uniformen", schreibt er, "und mussten mit Kriegsliedern auf den Lippen durch Traunstein marschieren, vielleicht um der Zivilbevölkerung zu zeigen, dass der ,Führer' noch immer über ... Soldaten verfüge."

Für den neuen Papst endete der Zweite Weltkrieg in amerikanischer Gefangenschaft, aus der er am 19. Juni 1945 entlassen wurde.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: