Benedikt XVI.:"Ist das noch der alte Ratzinger?"

Den Kardinal Ratzinger empfanden viele als erz-konservativ oder sogar verknöchert und verstockt. Doch Päpste sind für Überraschungen gut: Auch von Johannes Paul II. hätte am Tag nach der Wahl niemand einen Triumphzug durch die Welt erwartet.

Päpste sind absolute Monarchen, auf Lebenszeit gewählt, niemand darf ihnen Vorschriften machen - und für Überraschungen sind sie immer gut.

Eine erste "Regel" hat der Deutsche auf dem Petrusstuhl gleich zu Beginn gebrochen. "Wer als Papst in das Konklave geht, kommt als Kardinal heraus", heißt es im Vatikan seit Jahrhunderten.

Nicht so bei Joseph Ratzinger: Der schritt als großer Favorit zur Wahl, und er verließ sie als Papst Benedikt XVI.

Ist das ein Omen für das Pontifikat des Mannes, den so viele in seiner Heimat als erz-konservativ, ja als verknöchert und verstockt empfinden?

Auch am Mittwoch, kaum ist er erstmals als Papst erwacht, versetzt der Bayer all diejenigen, die ihn längst in "eine Schublade gesteckt haben", in Erstaunen.

Der strenge Glaubenshüter, der zum Ärger von Millionen Protestanten bisher eher das Trennende als das Verbindende zwischen den Kirchen betonte, streckt in seiner ersten Predigt die Hand aus. Erste Pflicht für den Nachfolger Petrus sei es, "mit aller Kraft an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit zu arbeiten".

Und damit klar ist, dass die "Regierungserklärung" vor den Kardinälen der Welt kein Lippenbekenntnis ist, fügt der Papst aus deutschen Landen gleich noch hinzu: "Dafür reicht es nicht, guten Willen zu demonstrieren. Konkrete Taten sind notwendig."

Wer so redet, muss etwas in petto haben, der hat schon ein paar Pläne in der Tasche. Will der Neue zum "Mann der Ökumene" werden? Fragt sich ein Theologe in Rom: "Ist das noch der alte Ratzinger, der da redet?"

"Ein Krieger, um die Moderne herauszufordern"

"Ein Krieger, um die Moderne herauszufordern", so schreibt die römische Zeitung La Repubblica am Tag eins der "Ära Benedikt". Und sie hat vermutlich Recht.

Der flüchtige Zeitgeist, auch innerhalb der Kirche, die "post-moderne Beliebigkeit" im Denken der Gegenwart, die Mystik und Verzückung in den neuen Sekten machen Ratzinger Angst. Dem will er den "rechten Glauben" entgegensetzen, das in zwei Jahrtausenden erprobte und gehärtete Credo der Kirche. Dem "Wegbrechen des Glaubens" will Ratzinger die Stirn bieten.

"Glauben pur", könnte man in Kurzform sein Programm nennen. Das mag vielen Menschen in "glaubensfernen" Nordländern wie "Konservatismus pur" vorkommen - aber das ist genau auch das Programm, mit dem Johannes Paul II. Millionen und Abermillionen Gläubige in aller Welt begeisterte. Auch hier will der Neue Kontinuität wahren.

"Die Kirche, sie hat nichts anders als den Glauben, etwas anderes hat sie nicht zu bieten", meint ein Vatikaninsider. Und das sind nicht nur Probleme in Europa, die Papst Benedikt da im Auge hat - gerade auch in den Kirchen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens gerät derzeit manches ins Rutschen, auch das weiß der Neue, ein reiner "Eurozentrist" ist er nie gewesen.

Unterstützung von Kardinälen aus der Dritten Welt

Kein Zufall ist es wohl, dass es in Rom immer heißt, gerade auch Kardinäle aus der Dritten Welt hätten ihn unterstützt.

"Der Papst kann nicht alle Probleme der Welt lösen", sagt der Münchner Kardinal Friedrich Wetter mit Blick auf alle Erwartungen und Forderungen, auch die überzogenen, die jetzt an den Neuen gestellt werden.

Natürlich soll sich Ratzinger um das Elend der Welt kümmern, sagt Wetter, um Armut und Kriege, um die Verlierer der ungebremsten Globalisierung.

Doch dies müsse er "mit den Mitteln des Glaubens" tun. Als Johannes Paul II. seinerzeit in die kommunistische polnische Heimat reiste, hielt er auch keine politischen Reden, sondern religiöse Predigten - auch hier will Ratzinger Kontinuität wahren.

"Und die innerkirchlichen Reformen?", fragen Glaubensleute vor allem in Deutschland und anderswo. Was wird mit dem Zölibat, was mit dem Wunsch nach Frauenpriestern, was mit dem Kondom-Verbot selbst in Aids-geplagten Ländern Afrikas.

"Hier muss Ratzinger Wege finden", meint ein Vatikaninsider. Das sagt nicht viel, hier sind Experten ebenso ratlos wie das gemeine Glaubensvolk. Nur eines ist sicher: In Sachen Frauenpriester wird sich nichts ändern, hier hat sein Vorgänger ein "endgültiges Nein" erklärt und das Thema der Diskussion entzogen.

Unbeschränkte Herrscher

Doch Päpste sind unbeschränkte Herrscher, niemand kann ihnen befehlen. Dass sich die Glaubenswelt von Papst Benedikt XVI. überraschende Wendungen und Unerwartetes erhofft, ist am Tag eins nach der Wahl in Rom so gut wie Konsens.

"Ich wende mich an alle, auch an die, die anderen Religionen folgen", sagte der Mann aus Bayern in seiner ersten Papst-Predigt. Das ist zumindest ein guter, ein hoffnungsvoller Anfang.

Päpste sind für Überraschungen gut: Niemand hätte von Johannes Paul am Tag nach der Wahl einen solchen Triumphzug durch die Welt erwartet. Niemand hätte bei der Wahl des ruhigen und alten Johannes XXIII., der eigentlich auch ein Übergangspapst werden sollte, nur zu träumen gewagt, dass er das "revolutionäre" Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) zur Öffnung der Kirche einberuft.

Und bei Benedikt? Als die erste große Publikation, das amerikanische "Time Magazine", im Januar erstmals Ratzinger als Papst ins Spiel brachte, schrieb sie, er könnte sogar bereit sein, "den Job (als Papst) nach ein paar Jahren wieder abzugeben".

Wilde Spekulation, Sensationshascherei? Aber wer mag es nach der Sensation der Ratzinger-Wahl ausschließen?

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