Benedikt XVI. in der Kritik:Wir wollen nicht mehr Papst sein

Kanzlerin Merkel hat mit ihrer Ermahnung in Richtung Vatikan richtig gehandelt. Ein Papst, der aus Deutschland stammt, die jüdischen Gemeinden gegen sich aufbringt und einem Holocaust-Leugner nachsichtig zu Prominenz verhilft, hat etwas Grundsätzliches nicht verstanden.

Kurt Kister

Als aus Joseph Kardinal Ratzinger Benedikt XVI. wurde, titelte die Bild-Zeitung: "Wir sind Papst".

Benedikt XVI. in der Kritik: Papst Benedikt streckt die Hand in Richtung der Pius-Bruderschaft aus - und sorgt so in Deutschland für eine mittlere Staatsaffäre.

Papst Benedikt streckt die Hand in Richtung der Pius-Bruderschaft aus - und sorgt so in Deutschland für eine mittlere Staatsaffäre.

(Foto: Foto: Reuters)

Nun hat Benedikt in einem Akt von seelsorgerischer Großmut und politischer Dummheit die Lefebvre-Bischöfe samt ihrem rechtsradikalen Amtsbruder Williamson in den Schoß der Kirche zurückgeholt. Der Sturm, der daraufhin vor allem in Deutschland losbrach, lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Wir wollen nicht mehr Papst sein.

Die Empörung wäre nicht so einhellig und nicht so laut, wenn es nur um die Annäherung der katholischen Amtskirche an eine Gruppe ginge, die nicht vom Glauben abgefallen ist, dafür aber von der modernen Welt, in der wir leben. Die Pius-Bruderschaft ist für Nicht-Katholiken, für Ungläubige zumal, eine nicht nur obskure, sondern geradezu obskurantistische Sekte.

Sicher kann man als Katholik im alten Messritual manch Schönes entdecken, und vielleicht berührt auch das Geheimnis des Glaubens in einer lateinisch zelebrierten, die Gemeinde teilweise ausschließenden Feier manche Herzen und Sinne stärker. Das aber ist nur die Kulisse, hinter der die Lefebvristen ein reaktionäres Bild der Welt, der Kirche und der Gemeinde pflegen.

Die Rehabilitierung dieser aus der Zeit gefallenen Schismatiker allein hätte ausgereicht, um im deutschen Katholizismus weiteren Groll, hie und da sogar Verzweiflung hervorzurufen über einen im Dogmatismus verharrenden Papst-Professor.

Der katholischen Kirche geht es nicht gut in Deutschland, und zwar nicht, weil das Böse die Menschen stärker verführt, sondern weil sich die Kirche, der Papst und viele Funktionäre nicht mehr zurechtfinden im 21. Jahrhundert, weil sie Kritik oft als Angriff verstehen und gesellschaftlichen Wandel zu häufig als moralischen Niedergang interpretieren. Nein, wir waren nie Papst.

Aus Benedikts Fehler allerdings wurde hierzulande mehr als nur eine weitere Kirchenkrise; der Papst löste eine kleine Staatsaffäre aus.

Erstmals in der jüngeren deutschen Geschichte hat sich ein höchstrangiger Politiker, die Bundeskanzlerin nämlich, nicht in bittendem, sondern in forderndem Ton an den Papst gewandt. Er solle Klarheit schaffen, verlangte Merkel, dass es keine Leugnung des Holocaust geben dürfe.

Bisher sei dies nicht hinreichend deutlich erfolgt. Und dann warf Merkel dem vatikanischen Staatsoberhaupt indirekt auch noch vor, dass seine Worte und Handlungen den "positiven Umgang mit dem Judentum insgesamt" in Zweifel zögen.

Es ist ein großer Unterschied, ob Kolumnisten oder notorische Papst-Kritiker solche Vorwürfe äußern oder die deutsche Kanzlerin. Wie groß dieser Unterschied ist und als wie groß er auch im Vatikan empfunden wird, zeigt die prompte Reaktion: Der Papst ließ Bischof Williamson jetzt zum Widerruf auffordern.

Das macht den Fehler Benedikts nicht geringer, aber immerhin versucht er nun, alarmiert vom Proteststurm, eine Teil-Wiedergutmachung.

Die Kanzlerin hat mit ihrer Ermahnung richtig gehandelt und sie hatte, anders als dies nun mancher Bischof insinuiert, alles Recht dazu.

Dies ist keine Einmischung in die Angelegenheiten der katholischen Kirche, sondern die Antwort darauf, dass der Papst gegen die Religion verstoßen hat, nämlich gegen die Zivilreligion, die in diesem Land gilt. Jean-Jacques Rousseau hat in seinem "Gesellschaftsvertrag" 1762 den Begriff von der Zivilreligion geprägt.

Die Zivilreligion soll als konsensuales Glaubensbekenntnis der Bürger zu ihrem Staat nicht nur religiöse Konflikte verhindern, sondern den Gesellschaftsvertrag, die Toleranz und die Herrschaft der Gesetze sichern.

Zur deutschen Zivilreligion gehört das an christliche Werte angelehnte Menschenbild des Grundgesetzes. Zentraler Pfeiler ist aber auch das "Nie wieder", die Bundesrepublik als staatlich organisierte Antithese zur Nazi-Diktatur.

Dazu zählt die besondere Verantwortung gegenüber den Juden, zumal gegenüber jenen, die noch oder wieder in Deutschland leben. Deswegen steht bei uns die Leugnung der Judenvernichtung unter Strafe.

Es ist anstrengend, die Zivilreligion zu verteidigen, und manchmal wirkt es angestrengt, ja gutmenschlerisch. Trotzdem haben die Identität Deutschlands und sein Ruf in der Welt viel mit der Zivilreligion zu tun.

Ein Papst, der aus Deutschland stammt, die jüdischen Gemeinden in Deutschland gegen sich aufbringt und einem Holocaust-Leugner nachsichtig zu Prominenz verhilft, hat etwas Grundsätzliches nicht verstanden.

Die Trennung zwischen Staat und Kirche existiert bei uns, aber sie hat keine scharfen Grenzen. Der Staat zum Beispiel zieht Kirchensteuer ein, was den Kirchen Wohlstand garantiert, weil sie niemals so viel Geld bekommen würden, wenn ihre Mitglieder nur zu spenden hätten.

Die Kirchen gelten als "gesellschaftlich relevante Gruppen", sie sitzen in Rundfunkräten und Kommissionen. Sie reden bei vielen Dingen mit; gerade die katholischen Würdenträger kritisieren die Politik, wenn es um die Regelung der Abtreibung, die Genforschung oder den Jugendschutz geht.

Die Kirche will mitten in der Gesellschaft leben. Dann muss sie auch akzeptieren, dass sich die Gesellschaft wehrt, wenn der Papst die Kirche an den Rand zu rücken scheint.

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