Belgien:Unbewiesene Vorwürfe

Nach den Anschlägen in Brüssel habe ein "bedeutender Teil" der belgischen Muslime "getanzt", sagte Innenminister Jan Jambon am Wochenende in einem Interview. Beweise hat er keine, bleibt aber dabei.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Es war einer dieser typischen Sätze, mit denen Populisten ihre Anhänger erfreuen und Gegner in Rage bringen. Nach den Anschlägen in Brüssel habe ein "bedeutender Teil" der belgischen Muslime "getanzt", sagte Innenminister Jan Jambon am Wochenende in einem Interview. Getanzt vor Freude, ist natürlich gemeint. Eine starke Aussage, die dem 55 Jahre alten Politiker der flämisch-nationalistischen N-VA heftige Kritik eingetragen hat. Beweise kann er dafür nicht vorlegen, was misslich ist für einen Minister, dem qua Amt auch der innere Frieden im Land angelegen sein sollte. Mehrere Oppositionsabgeordnete haben ihn aufgefordert, sich vor dem Parlament zu erklären und sich zu entschuldigen. Er stigmatisiere die ganze muslimische Gemeinschaft, sagte eine flämische Liberale. Eine Anti-Rassismus-Initiative will ihn verklagen.

Einlenken wird Jambon aber mitnichten. "Wir nehmen kein Wort zurück", sagte sein Sprecher. Dem Minister ist der Satz nicht einfach herausgerutscht. Er hat ihn am Wochenende selbst auf Twitter verbreitet und in den vergangenen Wochen bei zwei anderen Gelegenheiten fast identisch geäußert. Als Quelle für seine Behauptung nennt er Angaben "verschiedener Dienste", die im Nationalen Sicherheitsrat vorgetragen worden seien. Das ist vorerst nicht zu überprüfen, denn dieses Gremium tagt geheim.

Die flämische N-VA bricht mit demokratischen Gepflogenheiten

Belgische Medien haben drei Fälle aufgezählt, bei denen eine Art Freude über den islamistischen Terror im Land ausgedrückt worden sei: einer nach den Anschlägen in Paris, zwei nach den Brüsseler Bomben. Beteiligt waren jeweils nur wenige Menschen. Darüber hinaus gab es anlässlich von Polizeiaktionen in Molenbeek und anderen Brüsseler Stadtteilen gelegentlich Buhrufe und andere Missfallenskundgebungen, überwiegend von halbstarken Einwandererkindern. Jambons Satz lasse sich aus diesen Vorfällen aber noch nicht ableiten, so die Zeitung Le Soir, die die Phrase "bedeutender Teil" sogar linguistisch hinterfragt. Ein US-Medium zog eine Parallele zu Donald Trump, der behauptet, "Tausende und Tausende" Araber hätten von New Jersey aus gejubelt, als die New Yorker Twin Towers 2001 zusammenfielen.

Jambon wird die Episode leicht überstehen. Er weiß, dass ihm Premier Charles Michel, der erst vor wenigen Tagen seine Verkehrsministerin Jacqueline Galant entlassen musste, den Rücken deckt. Der Liberale ist angewiesen auf die Zusammenarbeit mit der N-VA, der wählerstärksten Partei im Land, und Jambon ist nach Bart De Wever deren bekanntestes Gesicht. Die N-VA, die für einen eigenen flämischen Staat eintritt, breche ganz bewusst mit den Gepflogenheiten, um sich von den "normalen" Parteien abzuheben, sagt der Politologe Jean Faniel. Zu diesen Gepflogenheiten zählt es, eine Beschuldigung mit Beweisen belegen zu können.

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