Belgien:Kontrolliertes Chaos

Belgien: Andrang am Abflugterminal: Mehr als einen Monat nach dem Terror von Brüssel ist die zerstörte Halle wieder geöffnet.

Andrang am Abflugterminal: Mehr als einen Monat nach dem Terror von Brüssel ist die zerstörte Halle wieder geöffnet.

(Foto: Eric Lalmand/AFP)

Brüssels Flughafen ist nach den Terroranschlägen wieder geöffnet. Doch die Sicherheitsmaßnahmen kosten jeden Passagier Stunden und bringen den Betrieb fast zum Erliegen.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Der Flughafenchef sprach voller Stolz. "Wir sehen wieder das gewohnte Bild von Passagieren in unserer Abflughalle. Das ist ein großer Schritt hin zur Normalität auf dem Flughafen, welcher der Volkswirtschaft einer ganzen Nation einen Schub geben wird", verkündete Arnaud Feist, Vorstandschef der Brüsseler Flughafengesellschaft. Das war am Sonntag bei der feierlichen Wiedereröffnung der beim Terroranschlag am 22. März teilweise zerstörten Abflughalle. Zwei Tage danach klingen die Worte wie Hohn. Für die Passagiere am Flughafen Zaventem kann von einer Rückkehr zur Normalität keine Rede sein.

Immer noch werden Reisende aufgefordert, spätestens drei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Stundenlang mussten sie Anfang der Woche vor dem Flughafengebäude anstehen, um sich zunächst einer Gepäckvorkontrolle zu unterziehen. Besonders betroffen sind die Vielflieger aus dem Brüsseler EU-Kosmos. "Die Prozeduren sind mühsam und kosten viel Arbeitszeit", klagt die Chefin der CSU-Abgeordneten im Europaparlament, Angelika Niebler. Und fügt hinzu: "Wenn sie aber tatsächlich einen Sicherheitsgewinn bringen, wären sie vertretbar."

Wenn. Die Passagiere, die scheinbar endlos in einer großen Menschenansammlung im Freien warten müssen, haben eher das Gefühl, zusätzlichen Risiken ausgesetzt zu werden. Denn wer hier eine Bombe werfen wollte, hätte leichtes Spiel. Tatsächlich sind die Vorkontrollen am Flughafeneingang gegen den Expertenrat auf Druck der belgischen Polizeigewerkschaft eingeführt worden, die mit Streik gedroht hatte. Offenbar geht es nicht darum, die Reisenden zu schützen, sondern die Bediensteten im Flughafengebäude. "Einige Gewerkschaftler" machten 40 Tage ununterbrochener Arbeit zur Wiederaufnahme des Flughafens mit dieser "lächerlichen Vorkontrolle" zunichte, schäumte der Leiter der Fluggesellschaft Brussels Airlines, Marc Descheemaecker, auf Facebook. Sein Unternehmen war von der langen Schließung des Brüsseler Flughafens besonders betroffen; es hat im Vergleich zum vergangenen Jahr ein Fünftel seines Umsatzes verloren. Ein Gewerkschaftssprecher weist jede Schuld von sich: "Wir wissen noch nicht einmal, wer über die Zahl der eingesetzten Zelte und Screening-Apparate entschieden hat."

"Je früher Zaventem zur Normalität zurückkehrt, desto besser"

Auch in Brüssels Europa-Gemeinde sorgt die Lage für Frust, wenngleich der Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versichert: "Wir leben in Brüssel und sehen uns als integraler Bestandteil von Brüssel, der Hauptstadt der Europäischen Union. Natürlich müssen wir uns anpassen."

In der EU-Kommission wächst aber die Sorge, dass die chaotischen Zustände am Flughafen die Arbeit der europäischen Institutionen auf Dauer beeinträchtigen. "Es ist keine Überraschung, dass Zaventem ein wichtiger Flughafen für die Institutionen ist", sagt ein Sprecher von EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Sie machte sich am Dienstag persönlich ein Bild von der Lage am Flughafen. "Zaventem wird immer wichtig sein für uns alle in Brüssel. Je früher es zur Normalität zurückkehrt, desto besser", resümiert der Sprecher.

Während am Montag viele Menschen nach bis zu fünf Stunden Warterei ihre Flüge verpasst hatten, entspannte sich die Lage am Dienstagmittag wieder etwas. Bis zu diesem Mittwoch soll die Prozedur aber unverändert bleiben. "Für die Warteschlangen gibt es eine simple Lösung: alle Vorkontrollen abschaffen", sagt Innenminister Jan Jambon. "Aber das ist mir zu leicht. Wir müssen die Sicherheit auf einem hohen Niveau halten."

Belgien, das sich gerade wieder in die Normalität zurücktastet, kann sich das Chaos in Zaventem eigentlich nicht leisten. Die zusätzlichen Kontrollen seien nur "Sicherheitstheater", so die Zeitung De Morgen. Sie sollten die Bürger beruhigen, seien in Wirklichkeit aber unsinnig.

Wie eine sinnvollere Lösung aussehen könnte, zeigten Sicherheitsspezialisten des Flughafens Tel Aviv den Belgiern bei einem Besuch in der vergangenen Woche: nicht mehr jede und jeden kontrollieren, also etwa Familien, die ganz offensichtlich auf Urlaubsreise sind, sondern nur jene, die gefährlich sein könnten. Die Auswahl müssten geschulte Experten treffen, die sich auch unter die Leute mischen dürften. Israel habe vor 44 Jahren begonnen, sich gegen Terror in Flughäfen zu wappnen, zitiert Le Soir einen israelischen Ex-Agenten. Damals starben bei einem Attentat in einer Abflughalle 26 Menschen.

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