Beitrittsgespräche:Erdoğan will EU-Parlament ignorieren

Der türkische Präsident erklärt, das Votum der Abgeordneten zu den Beitrittsverhandlungen habe "überhaupt keinen Wert".

Von Daniel Brössler, Straßburg

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will ein Votum des Europäischen Parlaments ignorieren, das ein Einfrieren der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land fordert. "Diese Abstimmung hat überhaupt keinen Wert, egal welches Ergebnis herauskommt", sagte Erdoğan am Mittwoch bei einem Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Istanbul. Es sei ihm "unmöglich, die Botschaft zu verdauen", die das Parlament aussenden wolle.

Die Fraktionen hatten sich am Dienstagabend in Straßburg auf den Wortlaut einer Entschließung verständigt, die die "unverhältnismäßigen" Maßnahmen nach dem Putschversuch vom Juli scharf verurteilt und in der die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei "vorübergehend einzufrieren". Eine Mehrheit bei der Abstimmung an diesem Donnerstag galt als nahezu sicher. "Das ist kein Tag zum Feiern. Wir nehmen den Beitrittsprozess sehr ernst", sagte die Türkei-Berichterstatterin des Parlaments, die niederländische Sozialdemokratin Kat Piri. Erdoğans Vorgehen lasse dem Parlament aber keine andere Wahl.

Gefordert wird in dem fraktionsübergreifenden Entwurf allerdings zunächst ausdrücklich nicht die formelle Aussetzung der Verhandlungen, sondern eine politische Entscheidung. Außerdem sieht er eine Überprüfung der Position nach Aufhebung des Ausnahmezustands in der Türkei vor. Für den Fall der Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei muss der Beitrittsprozess nach Ansicht der Abgeordneten allerdings formell ausgesetzt werden.

Als "Zumutung" bezeichnete der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn die Äußerungen Erdoğans. "Es ist unmöglich, dass Erdoğan das Europäische Parlament als unmündig hinstellt", sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Im Rat wird das Votum des Parlaments selbstverständlich nicht auf taube Ohren stoßen", fügte er hinzu. Bisher hatten die Mitgliedstaaten der EU es abgelehnt, die 2005 begonnenen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei infrage zu stellen. Eine formelle Aussetzung wäre beschlossen, wenn 16 der 28 EU-Staaten einem solchen Antrag zustimmen und sie mindestens 65 Prozent der EU-Bürger vertreten.

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