Beitritt der Türkei:EU-Parlament fordert Einfrieren der Gespräche

Die Resolution erregt Ärger in der Türkei. Doch bindend für Kommission und Mitgliedsländer der Union ist sie nicht.

Von Luisa Seeling

Das EU-Parlament hat gefordert, die Beitrittsgespräche mit der Türkei vorübergehend einzufrieren. Die Kommission und die Mitgliedsländer der Europäischen Union müssten eine entsprechende Initiative ergreifen, verlangte das Parlament am Donnerstag in Straßburg in einer Resolution, die von Christ- und Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gemeinsam erarbeitet worden war. Für den Text stimmten 479 Abgeordnete, 37 votierten dagegen und 107 enthielten sich.

Die Resolution ist für die EU-Kommission und Mitgliedstaaten nicht bindend. Sie gilt aber als starkes politisches Signal. Die Beitrittsgespräche mit der Türkei laufen seit Dezember 2005, sind aber schon lange nicht mehr von Fortschritten, sondern gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Die Parlamentarier begründen ihre Forderung mit den "unverhältnismäßigen Repressionen" in der Türkei seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli. Mehr als 120 000 Staatsbedienstete sind entlassen oder suspendiert worden, mehr als 35 000 Menschen sitzen in Untersuchungshaft. Den meisten werden Verbindungen zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen. Die türkische Regierung hält ihn für den Drahtzieher des Putsches. Die Resolution des EU-Parlaments hat in der Türkei Ärger hervorgerufen. Der türkische Regierungschef Binali Yıldırım nannte die Gründe für die Entscheidung am Donnerstag "an den Haaren herbeigezogen." Indirekt drohte er mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes: ""Wir sind einer der Faktoren, die Europa beschützen. Wenn Flüchtlinge durchkommen, werden sie Europa überfluten und übernehmen. Die Türkei verhindert dies." Bereits am Mittwoch hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt, das Resultat der Abstimmung im EU-Parlament habe für die Türkei keinen Wert, egal wie es ausfalle. Zuvor hatte er in Aussicht gestellt, sein Land nächstes Jahr per Referendum über die Fortsetzung der Verhandlungen abstimmen zu lassen.

Wenn Menschenrechte wieder gelten, sollen die Gespräche wieder aufgetaut werden

Das EU-Parlament fordert in der Resolution ausdrücklich nicht die formelle Aussetzung der Gespräche, sondern ein vorübergehendes "Einfrieren". Es nennt auch Bedingungen für eine Wiederaufnahme: die Aufhebung des nach dem Staatsstreich verhängten Ausnahmezustands, die Wiederherstellung des Rechtsstaats und die Einhaltung von Menschenrechten. Für den Fall der Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei muss der Beitrittsprozess nach Ansicht der Abgeordneten allerdings formell ausgesetzt werden. Die türkische Regierung hatte nach dem gescheiterten Militärputsch eine Rückkehr zur 2004 abgeschafften Todesstrafe ins Gespräch gebracht. Sie bräuchte dafür allerdings eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament; die regierende AKP wäre auf Stimmen der Opposition angewiesen.

Dass sich die Resolution jenseits ihrer Symbolkraft unmittelbar auswirkt, gilt als unwahrscheinlich. Bisher hatten die meisten Mitgliedstaaten der EU es abgelehnt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stoppen. Sie haben in der Frage das letzte Wort: Eine formelle Aussetzung wäre beschlossen, wenn 16 der 28 EU-Staaten einem solchen Antrag zustimmen und sie mindestens 65 Prozent der EU-Bürger vertreten. Länder wie Deutschland oder Frankreich scheuen einen sofortigen Abbruch der Gespräche, auch deshalb, weil sie um das Flüchtlingsabkommen fürchten, das die EU nach langem Ringen mit der Regierung in Ankara im März geschlossen hat.

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