Begräbnis von Lech Kaczynski:Polen streitet über das Grab des Präsidenten

Auf dem Wawelberg in Krakau sind Polens Könige begraben. Nun soll dort auch Präsident Lech Kaczynski beigesetzt werden - viele Polen protestieren.

Corinna Nohn

Es sei eine große Ehre für Krakau, jubelte Stanislaw Dziwisz, Erzbischof der früheren polnischen Königsstadt, als Jaroslaw Kaczynski die Entscheidung getroffen hatte. Die Entscheidung, seinen Bruder, den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski, und dessen Frau Maria in der Wawel-Kathedrale in Krakau zu beerdigen. Dort, wo auch fast alle polnischen Könige, bedeutende polnische Generäle und die Nationaldichter Adam Mickiewicz und Juliusz Slowacki ihre letzte Ruhestätte haben.

Trotz allgegenwärtiger Anteilnahme und Trauer sind viele Polen von dieser Wahl als Grabstätte überhaupt nicht begeistert: In den Medien und im Internet äußern sie ihre Bedenken, rufen zu Protesten auf, polemisieren den Fall. Selbst Polens größte Tageszeitung Gazeta Wyborcza bezeichnet die Entscheidung offen als "übereilt" und veröffentlicht auf ihrer Internetseite die abschlägigen Kommentare zahlreicher prominenter Persönlichkeiten - Historiker, Politiker, Geistliche und andere gesellschaftlich relevante Größen.

"In der Wawel-Kathedrale liegen Könige, Königinnen, aber kein Präsident. Präsidenten werden in der Hauptstadt begraben" - und das sei nun einmal Warschau, schreibt etwa Bischof Tadeusz Pieronek. Und Tomasz Nalecz, Geschichtsprofessor, früherer stellvertretender Parlamentspräsident und Kandidat für die Präsidentenwahl im kommenden Herbst, sagte der Zeitung im Interview: "Ich weiß nicht, ob der Mensch Lech Kaczynski, der so ein hervorragendes Feingefühl für Geschichte hatte, sich selbst unter den Königen auf dem Wawel gesehen hätte."

Bei Facebook haben Gegner am Dienstag eine Gruppe gegründet, die diesen Staatsakt verhindern will, Titel: "Nein zur Bestattung der Kaczynskis auf dem Wawel". Innerhalb der ersten 36 Stunden haben sich etwa 30.000 Menschen auf der Seite als Fans registriert. Bereits am Dienstagabend fanden spontane Demonstrationen, unter anderem in Krakau, statt. Für Mittwoch hat die Facebook-Gruppe zu Informationsveranstaltungen in Krakau, Warschau, Poznan (Posen) und Wroclaw (Breslau) geladen.

Auf einer anderen Internetseite haben bereits mehr fast 10.000 Unterstützer eine Petition unterzeichnet, die sich an die Präsidialkanzlei, die Kanzlei des Premierministers und die Krakauer Kurie wendet und sich ebenfalls gegen die Bestattung des "tragisch verstorbenen Lech Kaczynskis auf dem Wawel" richtet.

Marek Prawda, Botschafter der Republik Polen in Berlin, hat Verständnis für die Diskussion um die Grablegung des Präsidentenpaares: "Ich hätte mich gewundert, wenn es die Debatte nicht gegeben hätte", sagte er im Gespräch mit sueddeutsche.de, denn der Wawel sei eben ein sehr ungewöhnlicher Ort. Jährlich besuchen Tausende Touristen den gleichnamigen Hügel, der zwischen der Altstadt Krakaus und der Weichsel liegt, besichtigen das Schloss und die Kathedrale. Die Entscheidung der Familie Kaczynski, das Paar nicht in Warschau, sondern auf dem Wawelberg zu bestatten, sei "durchaus etwas unerwartet" ausgefallen, stellt der Botschafter fest.

Prawda wisse zwar nicht, wann die Idee aufgekommen und wie der Entscheidungsprozess abgelaufen sei. Aber sie sei "in einem psychologischen Ausnahmezustand gefallen": "Wir sind alle sehr erschüttert, und in diesem Zustand wachsen die Bedürfnisse, den Vorfall angemessen zu würdigen."

Grablegung als Symbol für "das neue Katyn"

Prawda gibt an, er könne die Argumente der Kritiker nachvollziehen. Diese rügen auch, dass anderen polnischen "Helden" die Grablegung auf dem Wawel verwehrt worden sei, weil dort nach Angaben der Verantwortungsträger der Kirche kein Platz mehr sei, und dass die Frauen der dort bestatteten Generäle woanders beerdigt worden seien. Außerdem meinen sie, Kaczynskis "tragischer Tod verhindert eine realistische Bewertung der Situation. Eine solche Entscheidung sollte nicht auf der Welle der Emotion getroffen werden", wie es etwa in der Petition gegen die Grablegung heißt.

Andererseits kann Prawda einer Bestattung des Präsidentenpaares auf dem Wawel auch Positives abgewinnen: "Wenn das Präsidentenpaar auf dem Wawelberg beerdigt werden sollte, könnte es ein Symbol der Hoffnung werden, ein Symbol für dieses neue Katyn." Denn das Unglück, das den beiden Kaczynskis und ihren Begleitern widerfahren sei, sei eben "kein zweites Katyn, keine Fortführung des Tragödie von 1940, sondern ein anderes Katyn".

Bislang habe Katyn in Polen für die verlogene Geschichtspolitik der Sowjetunion gestanden, "ich habe in der Schule diese Lügen einpauken müssen, von denen ich schon als Kind wusste, dass es Lügen sind", sagt Prawda. Das "neue Katyn" stehe für einen Wendepunkt in den polnisch-russischen Beziehungen: Erstmals habe ein russischer Premier einen polnischen zu einer gemeinsamen Gedenkfeier nach Katyn geladen.

"Was wir am 7. April erlebt haben, das Treffen von Wladimir Putin und Donald Tusk, war ein historisches Erlebnis", sagt Prawda. "Wir haben einen anderen Putin erlebt." Durch das Treffen habe sich eine positive Dynamik entfaltet, die das polnisch-russische Verhältnis verändern könne, hofft Prawda.

Seiner Meinung nach wäre die Gedenkfeier mit Präsident Lech Kaczynski und den Familien der Opfer von Katyn eine Fortsetzung dieser positiven Dynamik gewesen.

Die Beisetzung der Kaczynskis auf dem Wawel könnte nach Ansicht von Prawda Symbol dieser Veränderung werden: "Es wäre eine Chance, diesem schrecklichen Unglück im Nachhinein doch noch einen Sinn zu geben." Man müsse nur aufpassen, dass die Bestattung nicht politisiert werde.

Der Botschafter selbst räumt allerdings sein, dass die Grablegung des Kaczynski-Paares auf dem Wawel nicht die einzige Möglichkeit sei, diesen Wendepunkt im polnisch-russischen Verhältnis zu würdigen.

Die Gegner dieses Staatsaktes sind überhaupt nicht auf die Idee gekommen, die Bestattung Kaczynkis in diesem Licht zu sehen. Einer von ihnen schreibt auf Facebook, es sei mal wieder "ein Fall von Größenwahn der Kaczynskis".

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