Bayern:Weiße Fahne

Horst Seehofer droht und poltert. Doch seine markigen Worte zum Thema Flüchtlinge sind Rufe nach Hilfe - und kein strategisches Machtspiel mit Kanzlerin Angela Merkel.

Von Sebastian Beck

Vielleicht ist es langsam an der Zeit, sich wieder einmal an den 20. Mai 1949 zu erinnern. An diesem Tag hatte der Bayerische Landtag das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt. Zu gottlos, zu zentralistisch erschien den Abgeordneten die Verfassung. Trotzdem reihte sich das ehemalige Königreich Bayern in die Riege der Bundesländer ein, wo es fortan die Doppelrolle des Primus und der Nervensäge übernahm. In diesen Tagen richtet der Rest Deutschlands entgeistert den Blick auf Bayern, dessen Staatsregierung immer schärfere Drohungen Richtung Berlin ausstößt. Falls der Zuzug von Flüchtlingen nicht umgehend gebremst werde, dann könne der Freistaat auch eigenmächtig handeln, lautet der Tenor, den Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer mit dem griffigen Wort "Notwehr" überschrieb.

Den Austritt aus der Bundesrepublik hat Seehofer zwar bisher noch nicht erwogen. Jedoch zeigt die Ankündigung, wonach Bayern notfalls auch gegen gesetzliche Regelungen verstoßen werde, wie sehr die Staatsregierung unter Druck geraten ist. In den vergangenen Wochen haben sich die Sorgen der CSU erst in Angst und schließlich in einen panikartigen Zustand verwandelt.

Seehofers Drohungen zeigen Machtlosigkeit, nicht Stärke

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann rechnete es am Wochenende vor: Seit Kanzlerin Angela Merkel am 5. September die Einladung an die Ungarn-Flüchtlinge aussprach, sind 340 000 Asylsuchende über Bayern nach Deutschland eingereist. Im Bayerischen Wald überqueren täglich Tausende die Grenze. Viele verschwinden danach einfach. Doch während sich am Münchner Hauptbahnhof noch die Augen der Welt auf die Ankommenden richteten, finden die Hilferufe aus Ostbayern wenig Widerhall.

Zum einen ist der Weg nach Breitenberg für Fernsehteams weit, zum anderen hat eine Art Gewöhnungseffekt eingesetzt: 5000 Flüchtlinge am Tag, das erscheint inzwischen irgendwie normal. In zahlreichen Landkreisen aber sind die Behörden fast ausschließlich mit der Versorgung der Flüchtlinge und dem Beschaffen von Notunterkünften beschäftigt. Seehofer muss sich von Kommunalpolitikern aller Parteien anhören, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Auch ehrenamtliche Helfer, die oft der CSU und der Kirche nahestehen, signalisieren: Wir können nicht mehr. Was in der Macht des Freistaats steht, hat die Staatsregierung getan - zuletzt schnürte sie ein Paket mit 3772 neuen Stellen für Polizei, Justiz und Schulen. Nun sieht Seehofer die Bundesregierung in der Pflicht, der er Obergrenzen für Flüchtlinge abtrotzen will. Hinter dem Dauerfeuer auf Merkel steckt freilich kein strategisches Machtspiel, sondern schlichte Not.

Denn so hilflos stand eine bayerische Regierung noch nie da. Normalerweise ist es so, dass sich die ganze Welt von München sagen lassen muss, wie man es richtig macht. Das gilt besonders für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber auch die Innere Sicherheit. Selbst die Griechen wurden von Finanzminister Markus Söder mit allerlei Weisheiten bedacht, den Umgang mit Schulden betreffend. Maut, Betreuungsgeld, Energiepolitik - all das sind Themen, mit denen die CSU ihre Koalitionspartner lange strapaziert hat.

Jetzt schwenkt die Staatsregierung selbst die weiße Fahne. Die Reaktionen darauf fallen arrogant bis herablassend aus: Die sollen sich mal nicht so haben, diese Bayern. Inhaltlich aber ist sogar die SPD inzwischen nahe an Seehofer herangerückt, auch in der CDU wollen immer mehr Politiker eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Als Wortführer der Konservativen in Deutschland taugt Seehofer dennoch nicht, dafür ist er viel zu sehr Regional- und Landespolitiker, der fast ausschließlich die Interessen seines Freistaats im Auge hat.

In der CSU steht Seehofer damit im Moment zwar gut da, die Partei aber ist in die gefährlichste Lage seit Jahren geraten. In der jüngsten Meinungsumfrage lag die AfD in Bayern bei neun Prozent, die CSU bei nur noch 43 Prozent. Je lauter Seehofer schreit, desto mehr demonstriert er den Wählern auch seine Machtlosigkeit. Aber was soll er sonst tun? Soll er weiter auf Merkel schimpfen und deren Machtbasis schwächen? Sollen bayerische Polizisten wirklich Flüchtlinge hinter der Grenze festnehmen und nach Österreich zurückschicken? Mitten im Winter?

Früher gab es in der Partei einen wie Alois Glück. Immer dann, wenn Edmund Stoiber hyperventilierte, trat Glück mit seiner liberal-katholischen Besonnenheit auf den Plan. Leider ist Glück längst im Ruhestand. Dabei sollte die CSU das tun, was bei Panikattacken angeraten wird: ein paar Atemzüge aus der Papiertüte nehmen. Danach sieht man wieder klarer.

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