Bayern:Der Albtraum der CSU

Vor 50 Jahren wurde mit der Viererkoalition letztmals eine Regierung ohne die Christsozialen gebildet: "Gottes Vorsehung hat es zu unserer Prüfung und Bewährung zugelassen".

Von Hans Kratzer

Für einen aufrechten bayerischen Sozialdemokraten muss die Geschichte wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht klingen. Die Anhänger der Jungen Union erinnert sie vermutlich eher an eine Lügengeschichte des Barons von Münchhausen.

Für die Bosse der CSU aber war es ein Albtraum, der sich nicht wiederholen durfte, weshalb dieses schmachvolle Kapitel der Parteigeschichte in den Sonntagsreden totgeschwiegen wird. 50 Jahre ist es nun her, dass die CSU für die so genannte Viererkoalition die Regierungsbank räumen musste, um drei Jahre lang in der Opposition zu schmoren.

Dabei hatte die Landtagswahl vom 28. November 1954 den Christsozialen ein verheißungsvolles Ergebnis beschert. Sie stutzten die bei der Wahl von 1950 stark auftrumpfende Bayernpartei (BP) wieder auf Normalmaß zurecht und wurden mit 38,4 Prozent der Stimmen klarer Wahlsieger. Der bisherige Koalitionspartner SPD stagnierte bei 28,1 Prozent.

Allerdings macht ein Rückblick deutlich, dass sich die CSU jene galante Überheblichkeit, von der sie heute aufgrund ihrer Zweidrittelmehrheit geplagt wird, in den 50er Jahren noch nicht leisten konnte. Auch wenn das ihre Matadore nicht glaubten.

Wer mit der CSU regieren wolle, müsse sich ihrem Führungsanspruch unterwerfen, erklärte der CSU-Fraktionsvorsitzende, Prälat Georg Meixner im Siegesrausch und forderte damit die Bockigkeit der möglichen Partner geradezu heraus. "Das gute Wahlergebnis hat uns überheblich gemacht", erinnert sich der spätere Staatssekretär Franz Sackmann (83), der damals gerade für die CSU in den Landtag gewählt worden war.

Ohne es zu spüren, versetzte die CSU den kleinen Parteien einen Tritt nach dem anderen. Vor allem verprellte sie die Bayernpartei, die mit 13,2 Prozent immer noch drittstärkste Kraft war.

Viererkoalition ohne Christsoziale

Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. SPD, FDP, die Vertriebenenpartei BHE und die Bayernpartei, die kaum Gemeinsamkeiten aufwiesen, fanden in ihrem Groll gegen die CSU zueinander und schmiedeten heute vor 50 Jahren, am 9.Dezember 1954, überraschend die Viererkoalition. Der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, der schon unter der amerikanischen Militärregierung von September 1945 bis Dezember 1946 Ministerpräsident war, stieg erneut in dieses Amt auf.

Der damalige Landtagskorrespondent der Augsburger Allgemeinen, Max-Hermann Bloch, der die Sensation als einer der ersten erfuhr, meldete den unerhörten Vorgang seiner Redaktion, aber diese glaubte ihm nicht.

Obwohl all diese Ereignisse in ihrer Wucht einzigartig dastehen, haftet der Ära der Viererkoalition in den Geschichtsbüchern immer noch etwas Staubtrockenes an. Dabei war es alles in allem doch ein hell leuchtender Abschnitt der bayerischen Geschichte, zumal das Kabinett Hoegner den Umbau des Agrarstaats Bayern in eine Wissenschafts- und Industrieregion stark forcierte und die Grundlagen für viele spätere CSU-Offensiven legte.

Hoegner setzte dabei voll auf die Atomenergie. Unter der Viererkoalition bekam Bayern als erstes Bundesland einen Forschungsreaktor, jenes markante Atom-Ei in Garching, das im aufstrebenden Freistaat lange Zeit als Symbol für den Fortschritt schlechthin galt. Doch aller Anfang war schwer.

Die CSU, übertölpelt und waidwund, langte erst einmal anständig in die politische Schmutzkiste und verunglimpfte die Viererkoalition mit Attributen, wie sie später höchstens noch der chinesischen Viererbande zugedacht wurden. "Bis heute war noch keine Landesregierung schon beim Amtsantritt so heftiger Kritik ausgesetzt wie die Viererkoalition", sagt der Politologe Bernhard Taubenberger, der die bewegenden Jahre von 1954-57 in einem Buch umfassend aufgearbeitet hat ("Licht übers Land - die bayerische Viererkoalition 1954-57").

Man bekam durchaus den Eindruck, als sei es eine Missachtung göttlichen Rechts gewesen, die CSU von der Macht zu vertreiben. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) giftete beispielsweise über die neue bayerische Regierung, sie grenze an "widernatürliche Unzucht".

Der CSU-Abgeordnete Richard Jaeger und so manche konservative Tageszeitung rückten die Viererkoalition gar in die Nähe der Machtergreifung der Nazis. Und das Passauer Bistumsblatt seufzte: "Gottes Vorsehung hat es zu unserer Prüfung und Bewährung zugelassen". In der Rückschau wird aber auch deutlich, dass die Oppositionszeit der CSU keinesfalls schadete.

Denn die Partei war in den 50er Jahren tief gespalten: hier der stockkonservative Flügel der Traditionalisten mit dem Wortführer Alois Hundhammer, dort der Fortschrittsflügel, mit Männern wie Josef Müller, Franz Josef Strauß und Friedrich Zimmermann. In der Partei flogen die Fetzen, und im Land ging nichts weiter. Die Kulturpolitik trat auf der Stelle, die Lehrerbildungsanstalten waren immer noch konfessionell getrennt.

Architekt der Koalition

Waldemar von Knoeringen, damaliger Chef der bayerischen SPD, hatte schnell erkannt, welche Chance sich bot, als die CSU die Bayernpartei förmlich in die Arme der SPD trieb.

Als Architekt der Viererkoalition zog er geschickt die Fäden, doch Ministerpräsident wollte er nicht werden. "Das war ihm irgendwie fremd", sagt SPD-Urgestein Hans-Jochen Vogel, der damals noch Amtsgerichtsrat in Traunstein war. Wilhelm Hoegner, jener kluge Mann des Ausgleichs, übernahm die schwierige Aufgabe, das fragile Bündnis zusammenzuhalten, wobei er sich geschickt auf den gefährlichen Klippen der Regierungsarbeit bewegte.

Immerhin mischte bei dem kleinen Koalitionspartner BHE eine Reihe ehemaliger Nationalsozialisten im Landtag mit.

Dass die Viererkoalition letztlich scheiterte, hängt maßgeblich mit der tragischen Rolle der Bayernpartei zusammen. Geblendet vom Erfolg der Union bei den Bundestagswahlen im September 1957, verhandelten BHE und BP mit der CSU-Opposition über die Bildung einer neuen Regierung und erklärten im Oktober 1957 ihren Austritt aus der Koalition.

Der neue CSU-Ministerpräsident Hanns Seidel bildete entgegen allen Absprachen ein Kabinett ohne die Bayernpartei, deren Untergang damit besiegelt war. Die CSU aber mutierte unter dem Eindruck des Schocks der Viererkoalition von einer Honoratiorenpartei zu einer modernen Volkspartei, die Bayern nun fest in ihren Griff nehmen sollte.

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