Barcelona:Flucht nach der Todesfahrt

Spanien fahndet nach einem jungen Mann aus Marokko, er soll den Lieferwagen in die Menschenmenge gesteuert haben. Im Küstenort Cambrils konnte die Polizei offenbar Schlimmeres verhindern.

Von Thomas Urban

Bruno G. hielt seinen fünfjährigen Sohn an der Hand, als ihn der Lieferwagen mit voller Wucht erwischte. Seine Lebensgefährtin konnte das Kind gerade noch zur Seite ziehen, der Vater aus Italien aber starb vor den Augen seiner Familie. Der Mann zählt zu den 14 Todesopfern der Terrorfahrt über die Ramblas, die Flaniermeile im Herzen Barcelonas. Noch am Abend wurden erste Verdächtige festgenommen, seither dominiert die Frage: Wer ist verantwortlich für diesen eiskalt ausgeführten Anschlag? Der Tag danach ist aber auch ein Tag der Trauer. Ganz Spanien nimmt Anteil. Um Punkt zwölf Uhr gedenkt das Land der Opfer der Attacken, die nicht nur Barcelona getroffen haben, sondern auch das 140 Kilometer südwestlich gelegene Küstenstädtchen Cambrils. Die Tat war islamistisch motiviert, davon jedenfalls gehen die Behörden aus. Mehr als 100 Personen wurden verletzt, darunter nach Angaben des Auswärtigen Amtes 13 Deutsche. In Cambrils erlag am Freitag eine Frau ihren Verletzungen, sie war angefahren worden, als die Polizei eine mutmaßliche Terroristengruppe verfolgte.

Fünf bewaffnete Männer wurden erschossen, als sie fliehen wollten. Die Polizei nahm vier Verdächtige fest. Drei stammen aus Marokko, einer aus der spanischen Stadt Melilla. Der Fahrer des Lieferwagens hatte vom Tatort entkommen können. Allerdings war zunächst unklar, ob sich nur eine Person in dem Lieferwagen befunden hatte. Zeugen berichteten von einem etwa 1,70 Meter großen jungen Mann mit schwarzen Haaren, der aus dem Wagen gesprungen sei, als dieser nach etwa 550 Metern mit schwer demolierter Front zum Stehen gekommen war. Spanische Medien berichteten unter Berufung auf Sicherheitskreise, dass eine vermutlich aus acht bis zwölf Personen bestehende Terrorzelle nicht nur in Barcelona, sondern auch an anderen Orten Anschläge geplant habe. Den Berichten zufolge hatte die Gruppe in einem Haus in der Ortschaft Alcanar im Süden Kataloniens ein Depot aus Dutzenden Gasflaschen angelegt; dieses war am Mittwoch explodiert und hatte das Haus völlig zerstört. Die Feuerwehr fand in den Trümmern eine verkohlte Leiche, sieben Personen hatten Verletzungen erlitten. Zunächst waren die Behörden von einem Unglücksfall ausgegangen; doch dann wurde bekannt, dass die Wohnung von einem Bürger aus Melilla, einer mehrheitlich von Muslimen bewohnten spanischen Exklave in Nordafrika, angemietet wurde. Er soll Kontakte zu dem mutmaßlichen Fahrer des Lieferwagens unterhalten haben.

Bei der Schweigeminute klatschen die Menschen und rufen, sie hätten keine Angst

Den Anschlag von Barcelona reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat für sich. Es handelt sich um den größten Terrorakt in Spanien seit 2004, als in vier Madrider Vorortzügen Bomben explodierten und 191 Menschen in den Tod rissen. Die Opfer der Ramblas waren bis Freitagabend noch nicht alle identifiziert, die Behörden konnten daher über ihre Nationalität noch keine weiteren Aussagen machen. Auf dem 550 Meter langen Abschnitt mit zahlreichen Andenkenläden, Boutiquen und Blumenständen, durch den der Lieferwagen raste, waren Tausende Touristen unterwegs.

Barcelona: Barcelonas Flaniermeile war am Donnerstag voller Touristen, darunter viele Familien, als der Lieferwagen die Menschen überrollte. Wer sich retten konnte, floh in Seitenstraßen, Läden oder Restaurants.

Barcelonas Flaniermeile war am Donnerstag voller Touristen, darunter viele Familien, als der Lieferwagen die Menschen überrollte. Wer sich retten konnte, floh in Seitenstraßen, Läden oder Restaurants.

(Foto: Giannis Papanikos/AP)

Die spanischen Sicherheitsbehörden hatten zunächst eine Fahndung nach dem 17-jährigen Marokkaner Moussa O. ausgeschrieben. Er soll an dem Attentat beteiligt gewesen sein, doch die These, dass er den Lieferwagen in die Menge steuerte, verlor laut einem Polizeisprecher am Freitagabend an Kraft. Ursprünglich hatte sein älterer Bruder Driss als Hauptverdächtiger gegolten, auf seinen Namen war der Wagen gemietet worden. Ein Sondereinsatzkommando konnte Driss O. noch am Donnerstagabend in seiner Wohnung festnehmen. Ein Sprecher der Polizei gab an, dieser habe erklärt, von der Anmietung und von einem geplanten Anschlag nichts gewusst zu haben; sein jüngerer Bruder habe ihm den Ausweis entwendet. Die zwei marokkanischen Staatsangehörigen leben legal in Spanien und sind auch ordnungsgemäß gemeldet. Wenige Minuten nach dem Anschlag auf den Ramblas wurde ein Alarmplan ausgelöst, bei dem Kontrollpunkte an allen großen Ausfallstraßen von Barcelona und an vielen anderen Punkten in ganz Katalonien eingerichtet wurden. Bei einer Fahrzeugkontrolle in Cambrils fiel den schwer bewaffneten Polizisten ein mit fünf jungen Männern besetzter Wagen auf. Als die Insassen zum Aussteigen aufgefordert wurden, gab der Fahrer Gas. Nach wenigen Hundert Metern geriet der Wagen ins Schleudern und überschlug sich. Die mit Messern bewaffneten jungen Männer wollten zu Fuß flüchten, doch sie kamen nicht weit. Ein Polizeisprecher gab an, ein Beamter habe im Dunkeln die Messer für Pistolen und Handgranaten gehalten und die Männer erschossen. In dem Wagen fand die Polizei Sprengstoffgürtel, doch erwiesen diese sich als Attrappen. Den Ermittlern zufolge hatten sie für Freitag einen Anschlag geplant.

Sie seien alle identifiziert worden, teilte die Polizei am Freitagabend mit, ohne allerdings Namen zu nennen. An der Gedenkfeier auf der Plaça de Catalunya im Zentrum Barcelonas, von der die Ramblas abgehen, nahmen auch König Felipe VI. und der spanische Premier Mariano Rajoy teil. Ihre Reise nach Barcelona war aus Sicherheitsgründen geheim gehalten worden. Zu dem Platz waren Zehntausende Menschen geströmt, die Polizei hatte Sicherheitsschleusen eingerichtet. Personen mit großen Taschen und Rucksäcken wurden nicht vorgelassen. Die Schweigeminute war indes kein Moment der Stille, vielmehr klatschten die Trauernden zwei Minuten lang. Vielen Menschen liefen Tränen über die Wangen. Die Oberbürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, hatte in der Nacht zum Freitag erklärt: "Wir haben keine Angst, auf die Straße zu gehen, wir lassen uns nicht unterkriegen. Barcelona bleibt eine offene, gastfreundliche Stadt." Nach der Schweigeminute ertönten Rufe: "Wir lassen uns nicht einschüchtern!" Tausende Menschen stimmten in den Ruf ein. Rajoy hatte zuvor eine dreitägige Staatstrauer angeordnet.

In den frühen Morgenstunden hatten Reinigungstrupps die Spuren der Todesfahrt über die Ramblas beseitigt. Durch die Innenstadt patrouillierten mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten. Am Nachmittag herrschte wieder normaler Geschäftsbetrieb auf den Ramblas, erneut waren Tausende Touristen unterwegs.

Über Twitter hatten angebliche Zeugen am Donnerstagabend verbreitet, zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Terroristen hätten sich in einem Restaurant verschanzt und Dutzende Gäste als Geiseln genommen. Ein Behördensprecher stellte am Freitag klar, dass es sich dabei um Falschinformationen gehandelt habe. Er rief dazu auf, über die sozialen Medien keine Gerüchte zu verbreiten, dies könne Panik auslösen und die Arbeit der Sicherheitskräfte erschweren. Da das Viertel um die Ramblas, in dem sich viele Hotels befinden, abgesperrt wurde, konnten viele Touristen am Abend nicht in ihre Unterkünfte zurückkehren. Die Nacht war warm, ein Teil verbrachte sie in Parks oder in Bars.

Die spanischen Medien berichteten erste Einzelheiten über die Opfer. Die größte Gruppe unter den Verletzten sind demnach mit 26 Personen Franzosen. Insgesamt stammten die Opfer, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, aus 35 Staaten. Erste Kritik übten Kommentatoren an dem offensichtlichen Kompetenzwirrwarr unter den Sicherheitsbehörden: Die Stadtpolizei untersteht der linksalternativen Oberbürgermeisterin Ada Colau, die katalanische Polizei der Regionalregierung, die nationale Polizeitruppe Guardia Civil, die auch die Antiterroraktionen unternimmt, der Zentralregierung. In den vergangenen Wochen waren in der katalanischen Polizeiführung Umbesetzungen vorgenommen worden. Die Presse spekulierte darüber, dass die Guardia Civil ein für den 1. Oktober angesetztes Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens unterbinden solle, während die regionale Polizeitruppe, die Mossos, dieses absichern solle. Am Freitag standen der spanische Premier Mariano Rajoy und der katalanische Premier Carles Puigdemont, die als große Gegenspieler in dem Konflikt gelten, dann einträchtig nebeneinander.

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