Barack Obama:Wie Bush, nur netter

US-Präsident in Bedrängnis: Linke in den Vereinigten Staaten sind empört über Barack Obama - weil er CIA-Agenten schont, die gefoltert haben.

Christian Wernicke, Washington

Stephen Colbert, der oberste Zyniker unter Amerikas TV-Komikern, hat galliges Lob übrig für Barack Obama.

In der Kritik: Barack Obama; dpa

In der Kritik: Barack Obama

(Foto: Foto: dpa)

Der Präsident, so ätzte Colbert diese Woche, verdiene Respekt dafür, dass er nicht nur Piraten erschießen lasse. Nein, noch wichtiger sei, dass er all jene "Liebhaber der Bürgerrechte" ins Visier nehme, die für Gefangene eines sehr fernen US-Militärcamps im afghanischen Bagram doch tatsächlich nach mehr als sechs Jahren Internierung ohne jede Anklage eine gerichtliche Überprüfung verlangten. Gott sei Dank, so Colbert, habe der Oberbefehlshaber diesen Anspruch auf Anwalt und Richter zurückgewiesen: "Damit folgt er nur dem langjährigen Prinzip amerikanischer Justiz: 'Schuldig bis zum Beweis des Vergessens'."

Mit zufriedener Miene resümiert Colbert, der 44. Präsident setze so exakt den Anti-Terror-Kurs seines Vorgängers George W. Bush fort - "mit einem wichtigen Unterschied: Obama schafft es, dass die Kinder es mögen."

Die "Causa Bagram" ist nur ein Grund dafür, warum Bürgerrechtler und links-liberale Juristen mit der Obama-Regierung bereits vor Ende der üblichen Schonzeit von 100 Amts-Tagen brechen. Am Donnerstag kam der nächste Fall hinzu: Der präsidentielle Freispruch für alle CIA-Agenten, die zwischen 2002 und 2005 terrorverdächtige Gefangene in US-Geheimlagern gefoltert und misshandelt hatten, empörte Amnesty International, Human Rights Watch und die Bürgerrechts-Organisation ACLU gleichermaßen.

"Längst unglaubwürdig"

Dass das Justizministerium zugleich vier berüchtigte Terror-Memos der Bush-Regierung offenlegte, war ihnen nur ein schwacher Trost. Solcherlei Transparenz und Offenheit hatte der demokratische Senator als Präsidentschaftskandidat zwar versprochen - aber in den Augen seiner Kritiker ist Obama auch hier "längst unglaubwürdig" geworden. So sagt es etwa Glenn Greenwald, linker Jurist und Publizist.

Auf Salon.com, einer unter Liberalen sehr einflussreichen Webseite, wettert er seit Wochen gegen die demokratische Regierung. "Obamas Justizministerium beruft sich wiederholt auf dieselben Rechtstheorien wie die Bush-Regierung", schreibt er, "und zumindest in einem Fall hat er eine neue Theorie erfunden, zu der sich nicht mal Bush verstiegen hat.'' Also: Obama schlimmer als Bush? Genau das hat neulich die Electronic Frontier Foundation (EEF) verkündet - ohne jedes Fragezeichen.

Die EEF, deren Mission der stete Kampf um bürgerliche Freiheitsrechte ist, führt derzeit einen Musterprozess gegen die National Security Agency (NSA) - also gegen jenen technologisch hochgerüsteten US-Geheimdienst, der unter Bush millionenfach Telefonate und Emails amerikanischer Bürger ohne jegliche richterliche Kontrolle abfing und auswertete.

Auch Obama hatte diese Praxis im Wahlkampf kritisiert - doch vor Gericht argumentierten die Anwälte seiner Regierung nun, der Richter solle die EEF-Klage unverzüglich niederschmettern. Ein Verfahren nämlich könne "einen außergewöhnlich schweren Schaden für die nationale Sicherheit" anrichten. Diese Berufung auf den Schutz vorgeblicher Staatsgeheimnisse war unter Bush stete und umstrittene Praxis geworden - jetzt beging Obama in den Augen seiner einstigen Verbündeten "exakt denselben Sündenfall".

Entsetzt registrierten linke Juristen zudem, als die neue Regierung obendrein noch eine zweite Verteidigungslinie entwickelte: Die exekutive Gewalt, so das Justizministerium, sei zum Sammeln von allerlei Daten sehr wohl berechtigt - und selbst im Falle eines Rechtsbruchs genieße sie solange "höchste Immunität", wie der Geheimdienst seine Erkenntnisse für sich behalte und nicht "willkürlich" veröffentliche.

Jonathan Turley, Jura-Professor an der George Washington University, kritisierte daraufhin, die demokratischen Machthaber wollten sich offenbar "rechtsfreie Räume" schaffen: "Diese Regierung verkündet routinemäßig Prinzipien, ehe sie dann im nächsten Schritt exakt diese Prinzipien verletzt."

Widerstand im Kongress

Die Prozesstaktik der Regierung stößt inzwischen auch im Kongress auf Widerstand. Mehrere Demokraten kündigten an, sie wollten per Gesetz künftig verhindern, dass die Exekutive mit dem bloßen Verweis auf vermeintliche Staatsgeheimnisse weiterhin jede strafrechtliche Aufarbeitung blockieren könne. Justizminister Eric Holder versicherte prompt, unter ihm würden Anwälte der Regierung vorsichtiger mit den Privilegien exekutiver Geheimhaltung umgehen. Wo und wann dies jedoch zu einem Bruch mit dem juristischen Bush-Erbe führen werde, wollte er nicht verraten: "Das weiß ich noch nicht", sagte Holder.

In Bagram, dem US-Lager in Afghanistan, hat sich mit dem Regierungswechsel nichts verändert. Ungefähr 30 der 600 dort internierten Männer wurden aus fernen Ländern an den Hindukusch deportiert, um sie dort außerhalb des US-Rechtsstaats festhalten zu können.

Dies geschah zum Teil zu Zeiten, da auch George W. Bush bereits verkündete, er wolle das weltweit heftig kritisierte Gefangenenlager auf Guantanamo "am liebsten schließen". Obama will dies nun umsetzen. Aber gegen mehr Rechtsschutz in Afghanistan haben seine Anwälte inzwischen Einspruch eingelegt, zum Wohlgefallen des Satirikers Stephen Colbert - und zum Entsetzen der New York Times. Die Zeitung warnt bereits davor, dass Bagram ,,das nächste Guantanamo'' werde.

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