Barack Obama: USA und Afghanistan:"Der Begriff 'gemäßigte Taliban' ist Rhetorik"

Lesezeit: 2 min

Die Afghanistan-Expertin Citha Maass hält Obamas Vorhaben, mit den Taliban zu sprechen, für sinnvoll - aber auch für problematisch.

B. Vorsamer

sueddeutsche.de: US-Präsident Barack Obama hat angekündigt, mit "gemäßigten Taliban" sprechen zu wollen. Was halten Sie davon?

Ein Taliban-Sprecher informiert im pakistanischen Swat-Tal Medienvertreter über Verhandlungen mit der Regierung in Islamabad. (Foto: Foto: AP)

Citha Maass: Zunächst einmal ist diese Ankündigung nicht überraschend. Sie hat einen längeren Vorlauf. Seit dem vergangenen Jahr gibt es geheime Kontakte. Das Problem ist jetzt: Geht es überhaupt, einen Teil der aufständischen Gruppen aus dieser sehr heterogenen Front herauszubrechen und sie in den politischen Prozess zu integrieren?

Ich habe hier bewusst das Wort "Taliban" vermieden und stattdessen aufständische Gruppen gesagt, weil es viele unterschiedliche Strömungen gibt, die eigenständig agieren. Zugleich besteht aber auch eine lose Kooperation zwischen den verschiedenen Taliban-Gruppen und al-Qaida.

sueddeutsche.de: Gibt es denn "gemäßigte Taliban"?

Maass: Dieser Begriff ist immer schon politische Rhetorik gewesen. Auch Afghanistans Präsident Hamid Karzai gebraucht diesen Begriff seit mehreren Jahren. Die offizielle Definition ist, dass mit moderaten Taliban diejenigen gemeint seien, die bereit sind, ihre Waffen niederzulegen und auf die afghanische Verfassung zu schwören.

sueddeutsche.de: Ein Sprecher der Taliban hat verkündet, moderate Taliban gäbe es nicht, daher würde die US-Regierung niemanden finden, mit dem sie sprechen könne.

Maass: Auch das ist ein politischer Reflex. Eine Untergrundbewegung wie die Taliban hat immer Subgruppen und Strömungen, doch natürlich wollen sie nach außen geschlossen erscheinen.

sueddeutsche.de: Welche Gruppierungen gibt es innerhalb der Taliban?

Maass: Es gibt vier Hauptgruppen, die sich teilweise überschneiden. Erst mal gibt es die international operierende Terrororganisation al-Qaida, dann die pakistanisch-kaschmirischen Gruppen, die unter anderem für die Anschläge in Mumbai verantwortlich waren. Die dritte und vierte Gruppe sind die pakistanischen und die afghanischen Taliban. Führer der afghanischen Neo-Taliban ist Mullah Omar.

Maass: Das Ziel Barack Obamas ist es, den afghanischen Teil für einen politischen Prozess zu gewinnen. Angesichts der Machtverhältnisse in Afghanistan ist das ein sinnvolles Vorhaben.

sueddeutsche.de: Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Maass: So sinnvoll wie Obamas Strategie ist, so unklar ist, ob er Erfolg haben wird. Und selbst wenn er Erfolg hat, kann es sein, dass die politischen Kosten höher sind als der Nutzen.

Eine Zusammenarbeit mit den Taliban muss die Region nicht stabilisieren, sie kann sogar weitere Unruhen hervorrufen. Entscheidend ist, ob Taliban-Führer Mullah Omar bereit zu Verhandlungen ist und was seine Motive sind.

sueddeutsche.de: Der US-Präsident hat Gespräche mit Omar aber bereits ausgeschlossen.

Maass: Selbstverständlich. Offizielle Verhandlungen wird es bei diesem Prozess nicht geben, das ist absolut unrealistisch. Alle Gespräche werden über Stellvertreter geführt.

sueddeutsche.de: Was halten die Afghanen von Gesprächen mit den Taliban?

Maass: Sie gehen jetzt schon davon aus, dass jeder mit jedem spricht. Zwar muss man die Paschtunen von den anderen Stämmen unterscheiden (Anm. d. Red.: Die Paschtunen sind der größte Volksstamm in Afghanistan. Auch die meisten Taliban sind Paschtunen.). Doch auch nichtpaschtunische Politiker haben bereits vor über einem Jahr Geheimkontakte mit Mullah Omar eingeräumt.

sueddeutsche.de: Und wie sieht es die Bevölkerung? Tadschiken, Usbeken und Hazaren sind doch sicher gegen eine Beteiligung der Taliban.

Maass: Das sind sie, weil in diesem Fall weniger die Ideologie der Taliban als vielmehr ihre paschtunische Zugehörigkeit eine Rolle spielt. Ein erfolgreicher Abschluss der Gespräche und eine Integration der Taliban würde aber das politische Gewicht der Paschtunen in dem Vielvölkerstaat Afghanistan weiter stärken. Daher könnten innenpolitisch Spannungen zwischen den Ethnien neu aufbrechen.

Dr. Citha Maass ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt sind die Perspektiven für eine Konsolidierung Afghanistans.

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