Barack Obama:Treibjagd auf Whistleblower

U.S. President Obama listens during a meeting with his Yemeni counterpart Hadi in Washington

Präsident Obama lässt Informanten hart verfolgen

(Foto: REUTERS)

Der US-Präsident lässt angebliche Staatsfeinde gnadenloser verfolgen als seine umstrittensten Vorgänger. Er hat mehr Verfahren gegen Enthüller initiiert als alle früheren Präsidenten zusammen - auf Grundlage eines Gesetzes von 1917.

Von Hans Leyendecker

Vor gut zwei Jahren gab die US-Regierung die geheimen "Pentagon Papers" über den Vietnamkrieg frei. Ein historisches Ereignis: Vierzig Jahre zuvor, im Frühjahr 1971, hatte der Whistleblower Daniel Ellsberg einen Teil der Dokumente an die New York Times lanciert. Die Unterlagen belegten, dass die Öffentlichkeit über den Vietnamkrieg systematisch in die Irre geführt worden war, und das war der Anfang vom Ende des Vietnamkrieges.

Der heute 82 Jahre alte Ellsberg ist so zum Helden geworden: einer, der sich was traut. Seine Geschichte wurde in vielen Büchern und dem Film "Der gefährlichste Mann in Amerika - Daniel Ellsberg und die Pentagon-Papiere" nacherzählt.

Natürlich hat auch Ellsberg darauf gesetzt, dass Barack Obama mit Whistleblowern anders umgehen würde als dies beispielsweise die Präsidenten Richard M. Nixon oder George W. Bush getan haben. Als Präsidentschaftskandidat hatte Obama das Aufdecken von Missständen als "patriotischen Akt" gelobt, den er belohnen und nicht bestrafen wolle. Er schwärmte vom "Mut" anonymer Enthüller.

Die Treibjagd auf den echten Enthüller Edward Snowden, der die Welt über den Digital-Wahn der amerikanischen Nachrichtendienste aufklärte, zeigt, was von dem Versprechen zu halten war.

Gnadenloser als die umstrittensten Vorgänger

Seit Obama Präsident ist, lässt er Whistleblower gnadenloser verfolgen, als dies selbst seine umstrittensten Vorgänger getan haben. Er hat mehr Verfahren gegen Enthüller initiiert als alle früheren Präsidenten zusammen. Bereits in seiner ersten Amtszeit gab es sechs Strafverfahren wegen Geheimnisverrats nach einem Gesetz von 1917, das die Kooperation mit dem Feind unterbinden sollte.

So wurde jüngst der Obergefreite Bradley Manning, den Ellsberg für einen "Helden" hält, von einem US-Militärgericht wegen Spionage und Diebstahls von Regierungseigentum und wegen anderer Delikte verurteilt. Er hatte unter anderem ein Video beschafft, das zeigt, wie die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers in Bagdad Menschen wie Rebhühner jagt. Das Strafmaß für Mannig steht noch nicht fest - ihm drohen bis zu 136 Jahre Haft.

Das muss aber nicht so kommen. Die weltweite Gemeinde der Whistleblower verfolgt irritiert das Treiben der staatlichen Verfolger in den Vereinigten Staaten. Seine Freunde in den USA und auch er seien "tief enttäuscht" über die Entwicklung, sagt der deutsche Bundesrichter Dieter Deiseroth, der sich seit mehr als zwanzig Jahren um die Materie kümmert und so etwas wie der Vater der deutschen Whistleblower-Bewegung geworden ist.

Gemeinwohlorientierte Hinweisgeber

1778 gab es in Amerika das erste Schutzgesetz für Leute, die Alarm schlagen. Das englische Wort "Whistleblower", das - soweit ersichtlich - erstmals 1963 in den USA benutzt wurde, ist zum Synonym für gemeinwohlorientierte Hinweisgeber geworden. Die Bezeichnung "ethische Dissidenten" verwendet Deiseroth.

Es sei ein "starkes Stück", sagt der Richter, dass in den USA diejenigen, die wie Manning im Irak auf Kriegsgräuel aufmerksam machten, verurteilt würden und diejenigen, die Gräuel verursacht hätten, straffrei davonkämen.

Die Fälle Manning und Snowden sind nur der vorläufige Endpunkt einer langen Liste. Da ist der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou, der Reportern bestätigte, was die Welt ahnte: Dass die Foltermethode "Waterboarding", bei der Opfer fürchten, sie würden ertrinken, gängige Praxis bei den Diensten war. Für diesen Hinweis auf die Praxis bekam der ehemalige Nachrichtendienstler zweieinhalb Jahren Haft. Allerdings hatte er bei der Gelegenheit den Klarnamen eines Agenten, der gefoltert hatte, verraten. Der frühere FBI-Dolmetscher Shamai Leibowitz wurde zu zwanzig Monaten Haft verurteilt, weil er einem Blogger Informationen gab.

Thomas Drake, der viele Jahre für die NSA gearbeitet hatte, wollte nur sparsam sein und wurde so zum Staatsfeind. Er hatte Anstoß daran genommen, dass der Geheimdienst ein viel zu teures Software-Programm kaufen wollte statt ein weit billigeres. Wie es sich für Whistleblower gehört, hatte er erst den Dienstweg gesucht und als er da kein Gehör fand, sich einer Reporterin anvertraut. Die schrieb dann über Verschwendung und Missmanagement bei der NSA, Drake wurde angeklagt. Ihm drohte eine Gefängnisstrafe bis zu 35 Jahren. Kurz vor dem Prozess im Juni 2011 wurden die wichtigsten Anklagepunkte fallen gelassen, und Drake wurde wegen Zweckentfremdung eines Computersystems zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Einschüchterung potenzieller Informanten

Auf ihre Prozesse warten noch die Whistleblower Stephen Jin-Woo Kim und Jeffrey Sterling, die Reportern Material geliefert hatten. Es fällt auf, dass das Strafmaß oft deutlich geringer ist als die Ankündigung. Offenbar sollten potenzielle Informanten eingeschüchtert werden.

Immer geht es, auf der Grundlage des Gesetzes von 1917, um angeblichen Geheimnisverrat. Die Argumentation der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden lautet, dass die Weitergabe von Staatsgeheimnissen an Journalisten noch schlimmer sei als ein Spionagefall. Bei der Journalisten-Variante könne jeder ausländische Gegner von der Information profitieren. Bei der Spionage würden nur Informationen an ein feindliches Land verkauft.

Die Geheimgesellschaft macht nicht nur Jagd auf Quellen, sondern auch auf Journalisten. Vor ein paar Monaten wurde bekannt, dass im Frühjahr 2012 Reporter der Nachrichtenagentur AP ausgeschnüffelt worden waren, als sie von heimischen Informanten beliefert worden waren. Und dem vielfach ausgezeichneten New-York-Times-Reporter James Risen droht Beugehaft, wenn er nicht die Namen seiner Informanten nennt.

John Podesta, einst enger Vertrauter von Obama, klagte vor dem Fall Snowden in der Washington Post: Der Geheimhaltungswahn seines früheren Chefs verstoße gegen die demokratischen Prinzipien, "die unser Land seit den frühesten Tagen geleitet haben".Daniel Ellsberg wurde einst angeklagt - und freigesprochen. Heute müsste er mit einer Verurteilung rechnen.

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