Barack Obama:Gefahr im Anzug

Seine politischen Ideen sind nicht wirklich neu. Doch im Kampf um die US-Präsidentschaft rückt Barack Obama Hillary Clinton immer mehr auf den Leib.

Lars Jensen

Um das Viertel zu besuchen, in dem womöglich der künftige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wohnt, fährt man eine halbe Stunde lang die Autobahn von Chicagos Innenstadt Richtung Süden. Man nimmt die Ausfahrt 103. Straße, lässt die gigantische Müllhalde und den verseuchten See zur Linken hinter sich, gleitet an verlassenen Stahl- und Zementwerken vorbei. Wenn die Ampeln auf Rot stehen, klopfen Obdachlose an die Fenster der wartenden Autos und fragen nach Kleingeld. Draußen riecht es nach altem Frittierfett.

Dann biegt man in eine Seitenstraße, wo an einem kleinen Park das bescheidene Haus steht, in dem Senator Barack Hussein Obama mit seiner Frau Michelle und den Töchtern Sasha und Malia wohnt. Die Hypothek fürs Eigenheim zahlte Obama erst vor wenigen Monaten ab, mit dem Geld, das er für seine Bestseller "Dreams from My Father" und "The Audacity of Hope " - zu Deutsch "Hoffnung wagen" - bekam.

Chicagos Schwarzenviertel ist ein ungewöhnlicher Wohnort für einen aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten, Obama hätte in jeden Winkel Amerikas ziehen können, um Politiker zu werden. Doch 1985 gab er einen lukrativen Job in New York auf, um für 10.000 Dollar Jahresgehalt als Sozialarbeiter in einem Bezirk zu arbeiten, zu dem auch die berüchtigte Hochhaussiedlung Altgeld Gardens gehörte. "Niemals wieder habe ich so viel gelernt wie in jenen Jahren", sagt Obama.

Der Pfarrer Alvin Love erklärte Obama damals, wie er dem Viertel und seinen Bewohnern am besten helfen könne. "Da klingelte dieser dürre Kerl an meiner Tür und redete immer davon, dass er die Dinge fundamental ändern wollte. Ich hoffe, er kann damit demnächst beginnen."

Bevor Barack Obama tatsächlich Präsident wird, muss er noch eine Menge Reden halten und Spenden sammeln, außerdem im Frühjahr 2008 bei den Vorwahlen für die Kandidatur seiner Partei Hillary Clinton schlagen; die Präsidentschaftswahlen folgen dann im November 2008. An der South Side von Chicago sind sie jedenfalls überzeugt, dass er es schaffen wird. "Er gibt dir - wie heißt das Wort? - Zuversicht", sagt ein Latino, der dort an einer Tankstelle arbeitet. Und die Kassiererin im Supermarkt nebenan erklärt, sie wolle im nächsten Jahr zum ersten Mal wählen - natürlich Obama.

Der neue John F. Kennedy

Nicht nur in Chicago hat die Sympathie für Barack Obama in den vergangenen Wochen und Monaten rapide zugenommen, im ganzen Land sind die Menschen begeistert: Er sei der neue John F. Kennedy, sagt man, der neue Abraham Lincoln oder der neue Martin Luther King. Andere vergleichen ihn mit Muhammad Ali oder Cary Grant. Mit seiner Hochspringerfigur, dem elastischen Gang, den perfekt sitzenden Anzügen und dem stets ein wenig geöffneten weißen Hemd sieht Obama aus wie ein Hollywoodstar.

Besonders attraktiv wirkt er, wenn seine Ehefrau Michelle mit ihm auftritt. Sie hat breitere Schultern und dunklere Haut als er, überragt ihn um einige Zentimeter und macht Witze über ihn wie die Ehefrau aus einer Seifenoper. Es heißt, sie hasse die Politik, aber noch weniger mag sie Niederlagen. Er sagt: "In unserer Familie haben alle ein bisschen Angst vor ihr." Sie erwidert: "Er ist ein talentierter Mann, aber am Ende ist er auch nur ein Mann." So lässt Michelle Obama den Kandidaten noch souveräner wirken.

Seit er im Januar seine Kandidatur erklärte, bringt der zuvor weitgehend unbekannte Senator die demokratische Favoritin Hillary Clinton in den Meinungsumfragen und beim Spendensammeln konstant in Bedrängnis; die sechs anderen demokratischen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur sind ohnehin schon so gut wie geschlagen.

Dabei unterscheiden sich Barack Obamas Ideen nicht grundsätzlich von denen anderer liberaler Politiker: Er tritt ein für das Recht auf Abtreibung, das Ende ungerechter Steuersenkungen, eine neue Energiepolitik. Doch er formuliert diese Überzeugungen so, dass sie nicht nur bei Anhängern seiner Partei Widerhall finden, sondern auch beim konservativen Gegner. Obama ist bestrebt, einen neuen Stil - den mitfühlenden Liberalismus - in die politische Auseinandersetzung einzuführenden und so die gesellschaftliche Spaltung der Bush-Jahre zu überwinden.

Er sagt: "Ich bin ein linker Demokrat. Aber wenn ein rechter Republikaner eine bessere Idee hat, klaue ich sie von ihm, ohne zu zögern." Die Folge: Achtzig Prozent der Republikaner halten Hillary Clinton für unwählbar, aber nur dreißig Prozent lehnen Obama komplett ab.

Lesen Sie weiter im SZ-Magazin

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: