Bamf aus Sicht der Flüchtlinge:Behörde ohne Gesicht

Identitätsprüfung von Flüchtlingen

Während der Anhörung eines äthiopischen Asylbewerbers in einer Außenstelle des Bamf

(Foto: picture alliance / Daniel Karman)
  • In der Bremer Bamf-Außenstelle sollen mehr als 1200 Asylanträge ohne ausreichende Prüfung gewährt worden sein.
  • Laut Asylsuchenden und Begleitern ist der Skandal jedoch ein anderer: überforderte Mitarbeiter, undurchsichtige Verfahren und chaotischer Papierkram.
  • So kommt es, dass 40 Prozent der Klagen gegen Asylbescheide beim Verwaltungsgericht zugunsten der Antragsteller entschieden werden.

Von Jana Anzlinger und Vera Deleja-Hotko

Ein Tisch, ein PC und drei Stühle. Auf einem der Stühle sitzt eine Frau, die auf den Boden starrt, während sie erklärt, warum sie von Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Manchmal hebt sie den Kopf. Peinlich berührt senkt sie ihn wieder, wenn ihr Blick den der Frau auf der anderen Seite des Tisches trifft. "Das ist nicht glaubwürdig", würgt die Bamf-Mitarbeiterin die Geflüchtete ab. Warum, begründet sie nicht.

So laufen viele Asylanhörungen ab, erzählt Sayed Khan, der oft auf dem dritten Stuhl sitzt. Khan ist Dolmetscher und möchte seinen echten Namen nicht veröffentlicht wissen, weil er seinen Job behalten will. An der linken Hand zählt er auf, wie viele Sprachen er fließend spricht. Zu zählen beginnt er beim kleinen Finger und endet beim Daumen. Von rechts nach links. So wird in Afghanistan gelesen, seiner Heimat, aus der er 2013 geflohen ist.

"In Afghanistan gilt es als respektlos, jemandem lang in die Augen zu schauen." Egal, ob Mann oder Frau. Das wüssten jedoch viele Mitarbeiter der Asylbehörde nicht. Dadurch komme es zu Missverständnissen, denn in Deutschland gilt der Blick zum Boden als Indiz einer Lüge. Dass Körpersprache außerhalb Deutschlands anders interpretiert werde, darüber würden sich viele Sachbearbeiter keine Gedanken machen. "Und es erklärt ihnen auch keiner." Kein Wunder also, dass die Bamf-Mitarbeiterin die Geschichte der afghanischen Antragstellerin nicht glaubt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat mehr als 7200 Mitarbeiter an bundesweit knapp 70 Standorten. 2017 waren es 600 000 Asylanträge, die bearbeitet wurden. Seit Wochen steht das Bamf im Fokus der Öffentlichkeit. In der Bremer Außenstelle soll in mehr als 1200 Fällen das Verfahren manipuliert und ohne ausreichende Prüfung Asyl gewährt worden sein. Am Freitag hat Innenminister Seehofer deswegen die Chefin des Bamf, Jutta Cordt, entlassen.

Dass es beim Bamf nicht rund läuft, sagen Asylsuchende und Begleiter schon lange. Das Problem seien nicht die positiven Bescheide aus Bremen, sondern die Behörden und das Verfahren an sich. Sie erzählen von überforderten Mitarbeitern, undurchsichtigen Verfahren und chaotischem Papierkram. Diese Probleme ziehen sich vom Antrag über die Anhörung bis hin zur Entscheidung.

Der Antrag: "Viele wünschen sich, dass man mal nachfragen kann"

Nach dem Grenzübertritt muss ein Asylsuchender einen Antrag mit Personalien und kurzem Abriss der Fluchtgeschichte stellen. Für Länder, die als sicher gelten, gibt es beschleunigte Verfahren. Wer hingegen aus einem Land kommt, in dem Krieg herrscht oder in dem Menschen verfolgt werden, wartet Monate auf die Anhörung.

Die Wartezeit beschreiben viele als eine Art Schwebezustand: Arbeiten ist verboten, sich ein Leben aufzubauen kaum möglich. Dazu kommt die Unnahbarkeit der Asylbehörde. "Viele wünschen sich, dass man mal nachfragen kann, was mit dem Verfahren ist, ohne abgewiesen zu werden", sagt Angela Müller, Asylberaterin beim Sächsischen Flüchtlingsrat.

Wenn sie Antragsteller begleitet, trifft sie auf Sachbearbeiter, die "nett und aufgeschlossen sind und sich Mühe geben", aber auch überforderte, "die sehr barsch auf Nachfragen reagieren". Der Ton insgesamt sei meist "freundlich-professionell". "Aber mir berichten viele Ratsuchende, dass mit ihnen allein anders umgegangen wird."

Nicht immer garantiert ein Termin, dass die Anhörung stattfindet. Antragsteller warten oftmals stundenlang und werden am Ende des Tages vertröstet: "Sie kriegen dann einen Brief mit einem neuen Termin."

Die Anhörung: ein Trauma nacherzählen in 20 Minuten

Die Krawatte der Stewardess war hellblau. Das weiß Sayed Khan heute noch. Er ist einen Teil seiner Fluchtroute mit dem Flugzeug geflogen. "Mit einem gefälschten Pass war das damals möglich", sagt Khan über seine Flucht vor fünf Jahren. Die Krawattenfarbe war eins der trivialen Details, nach denen er beim Bamf gefragt wurde, neben dem Logo der Fluglinie und der Mahlzeit, die er im Flieger gegessen hatte. Diese Details beschreiben nicht die persönliche Verfolgung, wegen der Khan am Ende Asyl gewährt wurde. Mit den Rückfragen wurde die Konsistenz seiner Geschichte sichergestellt.

"Meine Anhörung dauerte acht Stunden", sagt Khan. "Und nicht einmal das hat ausgereicht." Die Anhörungen, bei denen er heute dabei ist, sind noch kürzer. Der Zeitdruck zwinge die Anhörer, die Asylsuchenden zu unterbrechen, wenn sie detailliert über ihr Leben vor, während und nach der Flucht sprechen.

Drei Anhörungen oder zwei bis drei Entscheidungen pro Tag: Diesen Richtwert gibt das Bamf seinen Mitarbeitern vor, weil die Zahl der Anträge nach dem Sommer 2015 rasant angestiegen ist. Ohne Pausen bleiben so zweieinhalb Stunden für jede Anhörung. In der Zeit müssen Personalien abgeglichen, Fragen gestellt und das gesamte Gesprächsprotokoll rückübersetzt werden. Wenig Zeit, um auf individuelle Geschichten einzugehen.

Betroffene und Begleiter berichten sogar von Anhörungen, die nur 20 Minuten dauern. "Dabei geht es da um traumatisierende Situationen, die nie verarbeitet wurden", empört sich David Offenwanger von Arrival Aid, einer NGO, die Asylsuchende bei der Anhörung und bei Klagen unterstützt. Die Traumata nachzuerzählen, sei eine Belastung an sich. "Wir sagen nicht, dass jeder Asyl bekommen soll. Aber jeder muss die Chance bekommen, zu erzählen, was ihm passiert ist und warum er nicht zurück kann."

Sachbearbeiter ohne Schulung

2015 mussten zahlreiche Menschen aufgrund des Krieges in Syrien und den Spannungen in den angrenzenden Ländern fliehen. Die Asylanträge in Deutschland verdoppelten sich im Vergleich zu 2014, weswegen das Bamf in den Jahren 2015 und 2016 Tausende Mitarbeiter rekrutierte. Einen bestimmten Studiengang muss man für die Stelle nicht absolvieren. Drei bis zwölf Wochen sollen die neuen Mitarbeiter geschult werden. Aber selbst diese Schulungen fallen häufig aus, klagt der Personalrat.

Das führe dazu, dass vielen Anhörern das nötige Hintergrundwissen fehle, um Nachfragen zu stellen, sagen Unterstützer. "Asylsuchende erzählen mir: Der hat sich gar nicht interessiert, gar nicht nachgefragt. Ich konnte das gar nicht ausführlich erzählen", so Offenwanger.

Khan öffnet das Anhörungsprotokoll eines Bekannten. Er ist aus Afghanistan geflohen, weil ihn die Taliban verfolgten. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Mit dem Finger tippt Khan auf die zweite Seite. "Da steht, er ist Paschtune." Seine Muttersprache ist also Paschtu. Khan blättert zur letzten Seite. "Und hier steht, dass während der Anhörung Dari gesprochen wurde." Paschtu und Dari sind die beiden Amtssprachen in Afghanistan. Jedoch spricht sie nicht jeder. Vor der Anhörung muss der Asylsuchende bestätigen, dass er den Dolmetscher versteht. Khans Bekannter tat das, obwohl er nicht gut Dari spricht. Er hatte Angst, dass er erneut monatelang auf einen Termin warten muss. "Er ist nicht der Einzige", sagt Khan.

Der Dolmetscher wird von den Sachbearbeitern beauftragt. "Aber die wissen oft gar nicht, welche Sprachen in den Herkunftsländern gesprochen werden", sagt Khan.

Wer als Dolmetscher beim Bamf arbeiten will, muss Deutsch auf C-1-Niveau, dem zweithöchsten Sprachlevel, beherrschen und dafür ein Zertifikat vorlegen. Bei der Ausgangssprache ist das weniger streng. "Ich habe schon einige Dolmetscher getroffen, die der Sprache, die sie angegeben hatten, nicht mächtig waren", sagt Khan. Ähnliches erlebt Lars Hülser von der Refugee-Law-Klinik Köln. Bei Asylsuchenden aus afrikanischen Staaten werde oft ein Dolmetscher für Englisch bestellt, weil sich keiner für die Muttersprache finden lasse. Und bei Englisch gibt es Probleme. "Da muss ich dann einhaken und sagen, dass die Übersetzung so nicht korrekt ist." Auch deswegen rät er dazu, nicht ohne Begleitung zur Anhörung zu gehen.

Der Zeitdruck, das fehlende Hintergrundwissen und die schlechten Übersetzungen führen oft zu fehlerhaften Anhörungsprotokollen - mit verheerenden Folgen: Das Anhörungsprotokoll ist eines der wichtigsten Dokumente des Verfahrens. Denn der Anhörer spricht zwar persönlich mit dem Asylsuchenden, befragt ihn und protokolliert die Antworten. Doch nicht in jedem Fall entscheidet der Anhörer über den Antrag. Das ist die Aufgabe des Entscheiders - eines Mitarbeiters, den der Asylsuchende in manchen Fällen nie zu Gesicht bekommt.

Die Entscheidung: "individuelle" Begründungen aus vorformulierten Textblöcken

Die Entscheiderin hat kein Gesicht. Zwischen ihrem Hemdkragen und dem Mittelscheitel ist eine weiße Fläche. Sie sitzt an einem Schreibtisch voller Formulare, die mit Paragrafen und Häkchen versehen sind und steckt gerade einen Asylentscheid mit aufgedrucktem Bundesadler in einen Umschlag. Was wie eine Karikatur klingt, die die Unnahbarkeit der Behörde auf die Schippe nehmen soll, ist ein offizielles Bild auf der Bamf-Website. Die Überschrift: "Entscheiderinnen und Entscheider".

Eine bürokratische Maschine, so sehen viele Betroffene das Bamf. Eine, die negative Bescheide mit absurden Begründungen ausspuckt.

Berater erzählen, dass die "individuellen" Begründungen sich aus vorformulierten Textblöcken zusammensetzen - häufig falsch zusammenkopiert. Wie bei einer algerischen Lehrerin, die wegen ihrer Homosexualität in ihrem Herkunftsland verfolgt wird. Das Berliner Bamf lehnte ihren Asylantrag ab - mit der Begründung, dass sie in Afghanistan doch sicher sei.

Fehler, die bundesweit vorkommen. "Ich habe schon 15 oder 20 Bescheide gesehen, in denen ein Textblock die Situation in Land X schilderte, obwohl der Asylbewerber aus Land Y kommt", sagt der Münchner Unterstützer Offenwanger. Laut der Dresdner Beraterin Müller werden bei 50 von den 700 Fällen, die sie im Jahr betreut, formelle Fehler gemacht. Es werde zwar besser, aber die Bescheide würden auch insgesamt weniger. "Die werden häufig gar nicht ausgestellt, bis ich nachfrage." Außerdem nehmen ihr zufolge fehlende und falsche Übersetzungen zu. "Zum Beispiel wird Arabisch mit Farsi verwechselt, weil beide dasselbe Schriftalphabet haben. Aber das sind komplett unterschiedliche Sprachen, wie Englisch und Deutsch."

Die Klage: "in Zehntausenden Fällen Mist gebaut"

Ein Iraker, der gefoltert wurde, eine Nigerianerin, die ihre Vergewaltigung verdrängen will: Es kostet große Überwindung, solche Erlebnisse in der Anhörung zu schildern. Umso frustrierender empfinden es Betroffene, wenn sie vor Gericht alles noch mal erzählen müssen - und das kommt häufig vor: Neun von zehn abgelehnten Antragstellern ziehen vor Gericht. In 40 Prozent der Fälle, in denen es eine inhaltliche Entscheidung gibt, entscheiden die Verwaltungsrichter zugunsten des Antragstellers. Die häufigste Begründung ist, dass individuelle Umstände nicht geprüft wurden oder nicht in die Entscheidung eingeflossen sind.

Die Bremer Außenstelle scheint keine Ausnahme zu sein. Bundesweit gibt es Probleme: liegengelassene Anträge, fehlerhafte Protokolle, überforderte Mitarbeiter. "Das Bamf gibt Bescheide aus, die nicht dem Rechtsstaat entsprechen. Das ist der Skandal", schimpft der Jurist Offenwanger. "Was würde denn passieren, wenn die Antragsteller nicht klagen würden? Dann hätte ein deutsches Amt in Zehntausenden Fällen Mist gebaut und keiner wüsste davon."

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