Bamf-Affäre:"Unglaublich scharfe Konfliktlinien"

  • Vor dem Innenausschuss des Bundestages kritisiert der Gesamtpersonalratsvorsitzende des Bamf, Rudolf Scheinost, die Personalpolitik und eine strukturelle Überlastung der Behörde.
  • Abgeordnete von CDU, Grünen und FDP zeigen sich beeindruckt von seinem Auftritt.

Von Stefan Braun, Berlin

Dass Rudolf Scheinost in diesen Wochen ziemlich sauer ist, weiß die Öffentlichkeit inzwischen. Dass der Gesamtpersonalratsvorsitzende des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) das auch deutlich aussprechen kann, ist ebenfalls nach außen gedrungen. Und doch hat sein Auftritt am Freitag im Bundestagsinnenausschuss noch einmal große Wirkung hinterlassen. Alle Abgeordneten, die anschließend auftraten, zeigten sich beeindruckt von dem trüben Bild, das der Mann im Namen seiner Kollegen gezeichnet hat.

Die Bamf-Präsidentin Jutta Cordt sprach von anderen Missständen. Demnach sind bei der Überprüfung von Asylverfahren sind mehr als 30 000 Fälle aufgefallen, bei denen unklar ist, ob von den Asylbewerbern Fotos und Fingerabdrücke vorhanden sind. Das Amt überprüfe 2,2 Millionen Verfahren aus den Jahren 2005 bis 2018, berichtete Cordt. Bei 35 000 sei keine erkennungsdienstliche Behandlung vermerkt.

FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle spricht nach der Sondersitzung von einer "unglaublich scharfen Konfliktlinie" zwischen den langjährigen, erfahrenen Mitarbeitern und der gar nicht mehr so neuen Hausleitung, die im Herbst 2015 das Ruder übernommen hatte. "Die strukturellen Probleme", so Kuhle, "sind auf dramatische Weise sichtbar geworden."

Bislang anders in der Konsequenz, aber kaum anders in der Tonlage klingt die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg. Sie spricht von einer "katastrophalen Personalpolitik" der Bamf-Leitung und des Bundesinnenministeriums. Sie meint damit vor allem die Fürsorgepflicht. Die Führung des Amtes sei dieser in den vergangenen Jahren in keiner Weise nachgekommen. Schulungen seien ausgesetzt worden oder man habe sie gleich ganz gestrichen, wenn die Fallzahlen nicht erfüllt worden seien, sagt die Grünen-Politikerin. Tausende von Überstunden hätten sich angehäuft - und trotzdem habe keiner wirklich reagiert, um die Belastung der Mitarbeiter abzubauen. Die Folge, die Amtsberg ausgemacht hat: Viele, viele Bescheide hätten "nicht mehr rechtsstaatlichen Ansprüchen" genügt. Ein bitteres Urteil.

Scheinost, so viel ist nach einer Stunde Sondersitzung schon klar, hat die allermeisten Befürchtungen mit Blick auf die Probleme des Bamfs bestätigt. Und als dann auch noch aus der Sitzung heraus berichtet wird, Scheinost habe erklärt, die Probleme in Bremen würden für jede Außenstelle gelten - da scheint der Skandal perfekt, weil umfassend zu sein.

Erst Minuten später folgt eine nicht unwichtige Relativierung: Scheinost habe diesen Satz nicht auf den Verdacht auf Korruption und Rechtsbrüche bezogen (wie es sie im Fall Bremen gibt), berichtet der CDU-Abgeordnete Armin Schuster. Er habe stattdessen die allgemein deutlich gewordenen strukturellen Probleme und die Überlastung des Amtes gemeint. Das gilt umso mehr seit dem Sommer 2015 mit besonders hohen Flüchtlingszahlen und der Einsetzung Frank-Jürgen Weises als Bamf-Chef.

Schuster ist als ehemaliger Direktor der Bundespolizei und Innenpolitikexperte der CDU alles andere als zart besaitet. Trotzdem spielt er seit Beginn der Aufklärungsversuche durch den Innenausschuss eine bemerkenswerte Rolle. Eine, in der er auf schrille Töne verzichtet.

"Es gab einen breiten demokratischen Konsens, und den habe ich damals akzeptiert"

Statt laut vom großen Skandal zu sprechen, erinnert der 57-Jährige daran, dass sich die Bamf-Mitarbeiter wünschten, die unbestritten gravierenden Probleme in Bremen würden eben gerade nicht zum Anlass für eine allgemeine Anti-Flüchtlingsdebatte genutzt werden. Ja, es gebe schwere Strukturprobleme, so Schuster. Und ja, die Standards seien im Gefolge der großen Flüchtlingskrise abgesenkt worden. Aber es sei "ehrlich gesagt vollkommen weltfremd" zu glauben, dass die Qualität in einer solchen "humanitären Ausnahmesituation" nicht leiden werde.

Dieser Verweis, der Luft aus dem allgemeinen Skandalgeschrei von FDP und AfD nehmen soll, ist auch deshalb etwas Besonderes, weil Schuster keineswegs zu denen zählt, die die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel immer für richtig gehalten haben.

Ganz im Gegenteil: Schuster lag früh und entschlossen auf der Linie derer, die Kontrollen und Asylprüfungen an der Grenze bevorzugt hätten. Aber Schuster wird seit Wochen nicht müde daran zu erinnern, dass im Sommer und Herbst 2015 keineswegs nur die Kanzlerin, sondern viele Parteien und selbst Medien wie die Bild-Zeitung die Anfangsentscheidung der Kanzlerin gelobt hätten. "Es gab einen breiten demokratischen Konsens, und den habe ich damals akzeptiert", sagt Schuster dazu.

Eine Linie ist das, die zu den lauten Attacken anderer gar nicht so recht passen wollen. Nun kann man davon ausgehen, dass der Christdemokrat Schuster die von der Christdemokratin Angela Merkel geführte Regierung nicht unbedingt stürzen möchte. Aber wenn es sein muss, zählt Schuster ganz gewiss nicht zu denen, die einen Kollegen aus taktischen Motiven schonen würden.

Ihm geht es eher darum, in dieser Krise rund ums Bamf den Blick zu bewahren für das politische Klima, in dem sich die Flüchtlingspolitik seit Jahren bewegt hat. Deshalb sagt er an diesem Morgen auch, was alle Skandal-Fixierten vielleicht gar nicht so gerne hören wollen: Hätte er sich mit seiner Linie durchgesetzt, also mit der Idee, Flüchtlinge an der Grenze zu prüfen und im Zweifel zurückzuschicken, dann "würden wir wahrscheinlich ganz genauso hier stehen und die Überforderung der Bundespolizei zum Thema haben". Deutlicher kann einer kaum zeigen, dass er sich tatsächlich Gedanken macht, was als Reaktion auf die "humanitäre Ausnahmesituation" (Schuster) möglich gewesen wäre, welche Folgen es gehabt hätte - und was tatsächlich eben nicht machbar gewesen ist.

An einer Stelle freilich klingt Schuster genauso wie der Liberale Kuhle und die Grüne Amtsberg: Angesichts der vielen mittlerweile fragwürdigen - weil unter riesigem Zeitdruck gefällten - Entscheidungen dürfte auf das Bamf eine zusätzliche Großaufgabe zukommen: Die Widerrufsprüfungen, so Schuster, könnten in den kommenden Wochen "zum neuen Verkaufsschlager" werden. Mit dem Wort "Schlager" in Anführungszeichen.

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