Balkan-Route:Stecken Flüchtlingshelfer hinter dem "Kommando Norbert Blüm"?

Frustrated Migrants Stranded On The Border Attempt To Walk In To Macedonia

Flüchtlinge aus Idomeni versuchen, einen gefährlichen Fluss nach Mazedonien zu überqueren. Wie kam es zu dem riskanten Marsch?

(Foto: Matt Cardy/Getty Images)

Die Flussquerung Hunderter Flüchtlinge bei Idomeni war lebensgefährlich. Wer hat sie initiiert? Flugblätter nähren den Verdacht, dass freiwillige Helfer dahinter stecken.

Von Nadia Pantel

Es dauerte weniger als eine Stunde, da waren die Menschen, die zu Fuß vom griechischen Idomeni in Richtung Mazedonien liefen, in den sozialen Netzwerken zu "Marschierenden" geworden. Unter dem Schlagwort "March of Hope" konnte man live mitverfolgen, wie knapp 2000 Flüchtlinge versuchten, einen über die Ufer getretenen Fluss zu überqueren, und wie die Strömung an ihren Beinen zerrte.

Am anderen Ufer wurden sie vom mazedonischen Militär erwartet, das die durchnässten Männer, Frauen und Kinder zurück nach Griechenland brachte. Wer gestern noch marschierte, ist heute wieder im Schlamm von Idomeni. Die Flussquerung war nicht nur eine hochgefährliche Aktion, sie ist auch eine gescheiterte.

Und dank des Labels "March of Hope" ist sie außerdem ein politischer Akt. Unter diesem Motto hatten Anfang September syrische Aktivisten gemeinsam mit europäischen Unterstützern einen Protestmarsch von Budapest nach Wien organisiert. Tausende liefen damals über die Autobahn, nachdem sie vorher unter verheerenden Bedingungen mehr als zehn Tage im Bahnhof von Budapest auf ihre Weiterreise gewartet hatten. Die Marschierenden, die große Mehrheit von ihnen Kriegsflüchtlinge aus Syrien, waren damals ein Grund für die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Flüchtenden seien in Deutschland willkommen.

Wurde der Marsch von Flüchtlingen organisiert oder von freiwilligen Helfern?

Dass dies mehr als 17 Prozent der Wähler in Deutschland explizit verneinen, zeigen die jüngsten Wahlerfolge der AfD. An dem Druck, unter dem die Menschen in Idomeni stehen, ändert das Erstarken der Rechten hierzulande jedoch nichts. Die große Mehrheit der 12 000 Menschen, die dort ausharren, will nach Deutschland - weil sie befürchten, von Griechenland in die überfüllten Lager in der Türkei zurückgebracht zu werden, oder weil ihre Familie und ihre Bekannten bereits in Deutschland sind.

Nicht wenige in Idomeni sind Frauen, die mit ihren Kindern zu ihren Ehemännern nach Deutschland wollen. Ebendieser Umstand aber wirft unweigerlich die Frage auf, wer es für eine gute Idee gehalten hat, Frauen mit Kleinkindern und Babys an das Ufer eines reißenden Flusses zu bringen. Wurde der Marsch von Idomeni an die mazedonische Grenze von den Flüchtlingen selbst organisiert oder von außen initiiert, etwa durch freiwillige Helfer?

Am Montag tauchten Flugblätter in arabischer Sprache auf, auf denen stand, dass den Menschen in Idomeni die Ausweisung in die Türkei drohe, und die eine Alternative dazu aufzeigten: "Der Zaun endet fünf Kilometer von hier entfernt. Deutschland akzeptiert noch Flüchtlinge." Beides ist sachlich richtig. Dazu zeigte der Flyer eine Umgebungskarte samt Fluss, außerdem den Hinweis: "Wenn Sie zu Tausenden gleichzeitig versuchen, über die Grenze zu kommen, wird die Polizei Sie nicht stoppen können." Das erwies sich als falsch.

Manche glauben, das Flugblatt sei eine Fälschung

Unterschrieben war der Flyer mit "Kommando Norbert Blüm". Der ehemalige CDU-Politiker hatte am Wochenende im Camp von Idomeni übernachtet, um auf das Elend der 12 000 Menschen aufmerksam zu machen, die dort darauf hoffen, dass sich die Grenze wieder öffnet. Nun glaubt wohl niemand ernsthaft, dass Blüm hinter dem Flugblatt steckt; er selbst distanzierte sich von der Aktion und sagte: "Ich habe Verständnis für die Verzweiflungstat, die ich jedoch nicht initiiert habe."

So divers die Gruppen sind, die in Idomeni helfen, so divers sind nun auch die Reaktionen auf den Verdacht, das Flugblatt könnten freiwillige Helfer verfasst haben. Eine deutsche Gruppe, die sich "Refugee Support Tour" nennt, schreibt auf ihrer Website zu den Vermutungen: "Selbst wenn dem so ist, geht das natürlich an dem eigentlichen Problem vorbei: die Festung Europa, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft ausschließt."

Die von München aus organisierte Privatinitiative IHA, die Kleidung und Lebensmittel an die Balkangrenzen bringt, sieht das anders. Alexander Rossner vom IHA spricht von einer "dummen, rücksichtslosen Aktion". Er könne sich kaum vorstellen, dass Freiwillige sich so etwas ausdenken: "Es gibt unter Flüchtlingshelfern den Kodex, Flüchtlinge durch eigenes Verhalten nicht in Gefahr zu bringen."

Die deutsch-syrische Initiative "Adopt a revolution", die den "March of Hope" im September begleitete und syrische Aktivisten in ihrem Kampf gegen die Diktatur Baschar al-Assads unterstützt, spricht hingegen von einem "starken Zeichen, das zeigt, dass die Leute in Idomeni verzweifeln". Wieder andere glauben, das Flugblatt sei eine Fälschung.

Immer wieder kippt das Verhältnis zwischen Helfern und Geflüchteten ins Skurrile

Tatsächlich verwahrlost Idomeni auf irritierende Weise ebenso öffentlich wie unbeachtet. Zwischen den Mini-Zelten der Flüchtlinge wuseln Journalisten und Helfer herum; alles ist improvisiert, es gibt keine anständige Feldküche, keine ausreichend ausgestattete Krankenstation, keine geheizten Schlafplätze, von genügend Toiletten ganz zu schweigen. All das wird täglich fotografiert. Und täglich kommen neue Helferteams, die Suppe, Tee oder Kinderschuhe vorbeibringen. Alle in Idomeni sind übernächtigt und überspannt. Egal, ob sie nun aus Not, aus beruflichen Gründen oder aus Idealismus dort sind.

Immer wieder kippt das Verhältnis zwischen Helfern und Geflüchteten ins Skurrile. Nicht nur in Idomeni, sondern an all den Balkangrenzen, an denen zuletzt Westeuropäer mit der Not der Massen in Berührung gekommen sind. "Diese Menschen hier geben mir so viel Energie," schwärmt eine Spanierin, die in Idomeni Suppe kocht. Und Kinder wissen zwar nicht, wo sie trocken schlafen sollen, können sich aber kaum vor Kuscheltierspenden retten.

Der griechische Premier Alexis Tsipras hat die Wartenden in Idomeni erneut aufgefordert, sich in die von Griechenland bereitgestellten Lager zu begeben. Anwohner berichten allerdings, dass auch diese Lager völlig verschlammt seien und keine beheizbaren Zelte hätten. Anders als in Idomeni ist es für Journalisten kaum möglich, Zugang zu den offiziellen Lagern zu bekommen.

Auch die Berichterstattung über die Flussüberquerung wurde stark behindert. Die mazedonische Polizei verhaftete nach eigenen Angaben 72 Journalisten wegen illegalen Grenzübertritts. Sie wurden wieder freigelassen, nachdem jeder von ihnen 270 Euro Strafe gezahlt hatte.

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