Balkan:Die Balkanroute ist dicht? Von wegen

Migrants  in Belgrade

Anwohner haben die Wiese am Belgrader Hauptbahnhof nach den Flüchtlingen benannt, die dort auf die Weiterreise warten: Afghani Park.

(Foto: Koca Sulejmanovic/dpa)

Um nicht am Zaun in Idomeni zu enden, schlagen sich jede Woche hunderte Flüchtlinge von Bulgarien über Serbien nach Ungarn durch. Die grünen Grenzen sind offen - aber nur für die Starken.

Von Nadia Pantel, Belgrad

Davon, dass die sogenannte Balkanroute geschlossen ist, spürt man rund um den Belgrader Hauptbahnhof wenig. Zwischen 150 und 300 Flüchtlinge kommen hier täglich an. Iraker, Marokkaner, Syrer und so viele Afghanen, dass die Anwohner die kleine Grünfläche am Bahnhof nach ihnen benannt haben. Afghani Park. Beinahe alle, die hier sind, haben Schlepper bezahlt.

In Belgrad wird die Kehrseite des Zauns von Idomeni sichtbar. Wer dort nicht länger ausharren will, hat folgende Möglichkeiten: In ein griechisches Lager gehen und darauf hoffen, dass das europäische Asylsystem ihn nicht vergisst. Oder weiterfahren. Unmöglich ist das nicht geworden, nur teurer und gefährlicher.

Um vier Uhr morgens beginnt Dejan Đošić seine Runde. In der Stunde vor Sonnenaufgang tauchen die Neuankömmlinge auf. Die Routine von Đošić ist dieselbe wie zu der Zeit, als die Balkanroute noch offen war: Tee, Decken und warme Jacken verteilen, schauen, ob jemand einen Arzt braucht. Đošić hat sich seinen Ausweis vom Asyl-Infocenter umgehängt, damit die Menschen verstehen, dass er Hilfe anbietet.

Nachtlager im Parkhaus

Im Parkhaus am Busbahnhof liegen zwischen den parkenden Autos die Schlafenden. Um sich vor der Kälte zu schützen, haben sie sich eng nebeneinander gelegt, unter den grauen Wolldecken schauen nur die Haare heraus. Ein paar Hundert Meter weiter, unter einem Baum im Park, hocken drei Männer. "Alles in Ordnung?", fragt Đošić. "Guten Tag, wie geht's", sagt einer der Männer auf Serbisch. Sie sind Afghanen und stecken schon so lange in Serbien fest, dass sie den Basis-Smalltalk beherrschen.

Als Österreich, Kroatien, Serbien und Mazedonien sich am 8. März entschieden, ihre Grenzen zu schließen, war die Gruppe gerade im südserbischen Preševo angekommen; sechs Männer, eine Frau, ein Fünfjähriger. Zwei Monate warteten sie dort im Lager auf eine legale Möglichkeit der Weiterreise. Dann haben sie sich einem Mann anvertraut, der versprach, sie nach Deutschland zu bringen.

Es dauert eine Weile, bis Đošić die Gruppe überreden kann, mit ins Infocenter zu kommen. Die Flüchtlinge versuchen sich daran zu halten, dass es sie offiziell nicht mehr gibt, seit die Balkangrenzen geschlossen sind. Sie verhalten sich möglichst unsichtbar. "Unsere Arbeit ist schwerer geworden", sagt Đošić, "die Menschen haben Angst vor Verhaftungen und daher Angst, zum Arzt zu gehen."

Das Asyl-Infocenter ist ein kleiner, verrauchter Raum. Đošić und seine Kollegen bekommen ein bescheidenes Gehalt von verschiedenen Hilfsorganisationen und der Stadt Belgrad, Freiwillige unterstützen sie. Es gibt Kaffee in rosa Plastikbechern. Und wenn das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gerade eine neue Lieferung Energieriegel vorbeigebracht hat, verteilen sie hier Essen. Doch gegen Ende des Monats können sie manchmal nur noch Internet anbieten. An den Wänden hängen Kinderbilder, Herzchen und ein paar krakelige Versuche, kyrillisch zu schreiben.

Auf einem Bild sind Männer mit Knüppeln zu sehen. Zwei Mädchen aus Marokko haben das gezeichnet, erzählt Đošić: "Das ist die bulgarische Polizei." Gemeinsam mit einer serbischen Menschenrechtsorganisation protokollieren sie im Infocenter seit über einem halben Jahr, wie Flüchtlinge in Bulgarien misshandelt werden. Sie hören immer wieder dieselben Geschichten: Auf die Migranten werden Polizeihunde gehetzt, sie werden inhaftiert und weder mit Brot noch Wasser versorgt, sie werden geschlagen und gedemütigt.

"Ihr könnt übrigens auch hier in Serbien bleiben"

Bereits am 11. Dezember vergangenen Jahres hat Amnesty International die bulgarische Regierung aufgefordert, den Vorwürfen nachzugehen. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert. Das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass immer mehr Menschen lieber über die grüne Grenze zwischen Bulgarien und Serbien gehen, anstatt vor dem Zaun im griechischen Idomeni zu enden. Die Zahl der Grenzübertritte von Bulgarien nach Serbien ist laut der serbischen zentralen Asylstelle um 75 Prozent gestiegen.

"Ihr könnt übrigens auch hier in Serbien bleiben", sagt Đošić zu den Afghanen und teilt eine Broschüre aus, Informationen über das Asylverfahren in Serbien. Die Männer nicken müde, die Frau fragt nach Milch für ihren Sohn, um sieben Uhr morgens gehen sie weiter, zum Bus nach Subotica. Serbien biete immerhin Sicherheit, so schlecht sei es hier nicht, sagt Đošić. Aber gut ist es auch nicht, sagt ein Kollege. Dass das Land arm ist, kann man nicht nur an den niedrigen Löhnen und der hohen Arbeitslosigkeit ablesen, man kann es an den grauen, verwitterten Häusern sehen, sobald man aus dem Bus steigt.

Man erkennt die Schlepper an ihren bunten, nagelneuen Turnschuhen

Als die Weiterfahrt nach Kroatien im März unmöglich wurde, waren gerade 2000 Flüchtlinge auf der Durchreise vom Süden Serbiens in den Norden, die meisten Syrer und Afghanen. 81 von diesen 2000 haben Asyl beantragt, 100 harren in einem der serbischen Lager aus und warten ab, und 1819 haben sich "zerstreut", wie es die serbische Migrationsbehörde ausdrückt.

Die Zahl derer, die an dieser "Zerstreuung" verdient, steigt. Seit Januar hat die serbische Polizei 81 Fälle von Schlepperei angezeigt. Nach ein paar Stunden am Bahnhof wird deutlich, was für eine niedrige Quote das ist. "Der hier ist Schlepper", sagt Đošić, "und die da auch." Er beobachtet sie seit Wochen, wie sie die Menschen in Taxis verfrachten, im Park bequatschen, in den Bus setzen. Die Männer erkenne er an den Schuhen: bunte, nagelneue Luxussneaker. Bei den Frauen sei es schwieriger.

Aus den Geschichten der Geflüchteten kann man den Durchschnittspreis der illegalisierten Migration errechnen: Die Reise von Griechenland bis Serbien kostet 1000 Euro, wer bis nach Deutschland will, zahlt 2500 Euro. Die Schlepper müssen für ihr Geld vergleichsweise wenig tun. Sie fangen die Übernächtigten im Park ab, setzen sich mit ihnen in den Bus nach Subotica, bringen sie zum Zaun an der ungarischen Grenze und fahren dann zurück, die Nächsten holen. Den Weg über die Grenzen, durch die Zäune gehen die Menschen allein.

Irgendeine Lücke gibt es immer, eine Stelle, wo das Gras besonders hoch ist, ein kleines Waldstück, wo man warten kann, bis die Polizei gerade anderes zu tun hat. Der ungarische Zaun hat sich als durchlässig erwiesen. Laut der Internationalen Organisation für Migration haben die Behörden in Budapest im März und April wöchentlich zwischen 700 und 1000 Geflüchtete registriert, die über Serbien ins Land kamen. Nach ein paar Tagen in Asyllagern werden die meisten dann weiter nach Österreich geschickt. Das häufigste Zielland heißt nach wie vor Deutschland.

Es sind vor allem junge Männer, die den Weg über die grünen Grenzen wählen. Wenn man das improvisierte Zeltlager im Park von Belgrad mit dem 12 000-Menschen-Lager in Idomeni vergleicht, ist der größte Unterschied die Anzahl von Frauen und Kindern. Entlang der Schlepper-Route sind sie eine verschwindend kleine Minderheit. Unter denen, die in Idomeni warten, sind sie in der Mehrheit. Für die Schwächsten ist die Balkanroute geschlossen, für die Stärkeren bleibt sie offen.

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