Bahnstreik:Ein Mann, ein Prinzip

Die GDL legt für eine Woche den Bahnverkehr lahm, um mehr Geld für ein paar wenige Lokrangierführer in ihren Reihen durchzusetzen. GDL-Chef Claus Weselsky hält das sogar für seine Pflicht.

Von Daniela Kuhr

Es ist ein paar Jahre her, dass Claus Weselsky bei einem zwanglosen Kaffeetrinken über eine Schwäche redete, die ihm sehr zu schaffen machte. Manchmal, sagte der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) damals, könne er sich nicht so klar ausdrücken, wie er das gern würde. Wenn er beispielsweise mit Vertretern der Deutschen Bahn verhandele, habe er das Gefühl, dass die ihm rhetorisch überlegen seien. Es wurmte ihn, das war deutlich zu spüren. Doch seither ist einiges an Zeit vergangen - und Weselsky hat dazugelernt.

Als der 56-Jährige am Montag in Berlin vor die Presse tritt, lassen seine Worte jedenfalls an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Es gebe genau einen einzigen Verantwortlichen für den "längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn AG", sagt der Gewerkschaftschef ruhig: die Deutsche Bahn selbst. Sie habe genügend Zeit gehabt, Ergebnisse zu erzielen. Doch offenbar verstehe das Management keine andere Sprache. Deshalb habe die GDL erneut zum Streik aufgerufen. Es ist der zweite in diesem Jahr - und bereits der achte in diesem Tarifkonflikt. Von Montagnachmittag an solle der Güterverkehr und von der Nacht zu Dienstag an auch der Personenverkehr bestreikt werden. Bis Sonntag früh, 9 Uhr. Gut fünf Tage. So lange wie nie.

Güterzüge auf einem Rangierbahnhof in Hagen

Rangierbahnhof in Hagen, Nordrhein-Westfalen.

(Foto: dpa)

Schuld an der Eskalation sei allein die Bahn, das sagt Weselsky immer wieder. Zwar tue sie immer so, als sei man kurz vor einem Abschluss. Doch die Wahrheit sieht anders aus - jedenfalls, wenn man dem GDL-Chef Glauben schenkt. Tatsächlich seien die Verhandlungspartner keinen Schritt vorangekommen.

Was diesen Tarifkonflikt tatsächlich schwierig macht, ist der Umstand, dass die Bahn erstmals mit zwei Gewerkschaften über ein- und dieselben Berufsgruppen verhandeln muss. Hatte die GDL bisher nur die Lokführer vertreten und die weitaus größere Eisenbahngewerkschaft EVG alle anderen Mitarbeiter, so besteht die GDL nun darauf, ebenfalls fürs ganze Zugpersonal abzuschließen. Die Bahn ist zwar bereit, mit beiden Gewerkschaften parallel zu verhandeln, will aber erreichen, dass am Ende identische Tarifverträge dabei herauskommen.

Das wiederum hält Weselsky für unerreichbar. Und er kann dies sehr klar, sozusagen unmissverständlich ausdrücken: Die Tarifverträge von EVG und GDL seien "niemals zu vereinbaren". Verhandlungsspielraum also gleich null. Dass die Bahn das noch immer vorhabe, sei schlicht ihr Problem. Öffentliche, vielleicht auch nur angedeutete Zweifel sind die Sache des Streikführers nicht: Die GDL habe das grundgesetzlich geschützte Recht, für jedes ihrer Mitglieder einen Tarifvertrag abzuschließen. Punktum. Und die Kosten des Streiks? Das, wie er formuliert, Klagen des Managements über angeblich bereits aufgelaufene Streikschäden von 200 Millionen Euro? Nichts als "Krokodilstränen". Die Bahn selbst habe diese 200 Millionen Euro "verbraten", sagt Weselsky. "Das ist viel mehr Geld, als wir jemals in unseren Forderungen unterbringen können."

Bahnstreik: SZ-Grafik; Quelle: WSI Tarifarchiv

SZ-Grafik; Quelle: WSI Tarifarchiv

Trotz aller Appelle will die GDL partout nichts von einem Schlichter wissen

Tatsache ist: Bei den meisten Berufsgruppen, etwa den Zugbegleitern oder den Bordgastronomen, waren Bahn und GDL sich bereits weitgehend einig. Knackpunkt sind im Moment nur noch "die berühmten Lokrangierführer", wie Weselsky es ausdrückt. Diese Berufsgruppe wurde bislang allein von der EVG vertreten. Im Gegensatz zu anderen Lokführern, die ihre Züge von einem Bahnhof zum nächsten fahren, leisten Lokrangierführer überwiegend Rangierdienste: fahren also eine Lok dahin, wo sie gebraucht wird, und spannen sie dort vor den Zug. Allerdings kommt es durchaus vor, dass sie auch "auf die Strecke gehen", sagt Weselsky. Deshalb sieht er nicht ein, warum Lokrangierführer nach dem bisherigen Tarifwerk mit der EVG ein niedrigeres Grundgehalt bekommen als andere Lokführer - auch wenn sie es mit hohen Zulagen für Schichtdienste deutlich aufbessern können. Weselsky will partout erreichen, dass beide Lokführergruppen gleich behandelt werden. Und deshalb der Streik bis Sonntagfrüh.

Wie viele Lokrangierführer Mitglied bei der GDL sind, sagt Weselsky nicht. Darum geht es auch nicht für ihn. Es geht vielmehr ums Prinzip. "Selbst wenn ich nur ein Mitglied habe, ist es unser Recht und unsere Pflicht, für dieses Mitglied zu tarifieren." Man könnte die Situation auch anders umschreiben: Die GDL legt den Bahnverkehr für eine Woche lahm, um für ein paar Lokrangierführer einen Tarifvertrag abzuschließen. Allzu groß wird deren Zahl nicht sein. Bisher war die deutliche Mehrheit der Lokrangierführer bei der EVG organisiert.

Aktuelles Lexikon: Schlichtung

Wenn es in einem Tarifkonflikt auch nach Wochen des Verhandelns und der Warnstreiks noch keine Lösung gibt, entscheiden sich Gewerkschaft und Arbeitgeber oft für eine Schlichtung. In der Regel rekrutieren sie dafür einen unabhängigen Dritten - gerne einen angesehenen, ehemaligen Politiker - als Schlichter. Er führt sodann den Vorsitz der Schlichtungskommission, die aus ihm sowie jeweils gleich vielen Vertretern beider Tarifparteien besteht. Meistens tagt sie an geheimem Ort, und solange sie berät, besteht wieder Friedenspflicht; eine Gewerkschaft darf also währenddessen nicht zum Streik aufrufen. Am Ende des Verfahrens steht der Schlichterspruch. Im Idealfall stimmen Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter in der Kommission ihm zu, dann darf man damit rechnen, dass der Tarifkonflikt gelöst ist. Es kommt aber auch vor, dass eine Seite zustimmt und eine ablehnt. In dem Fall kann der Schlichter zwar mit seiner Stimme trotzdem einen Spruch bewirken. Aber weil Gewerkschaft und Arbeitgeber frei sind in ihrer Entscheidung, diesen abzulehnen oder zu akzeptieren, ist ein Schlichterspruch, bei dem es Gegenstimmen gab, in der Regel nicht viel wert. Einen Zwang zur Schlichtung gibt es im deutschen Arbeitsrecht nicht. Bei der Bahn bestimmt daher GDL-Chef Claus Weselsky vorläufig den Fortgang der Dinge, wenn er (wie am Montag) erklärt: "Wir werden in keine Schlichtung gehen." Detlef Esslinger

Erschwerend kommt hinzu: Auch alle anderen GDL-Mitglieder müssen deshalb weiter auf eine Gehaltserhöhung warten. Doch offenbar sind sie dazu bereit. Weselsky betont, dass seine Leute voll und ganz hinter den Streiks stünden. Warum er nicht auf den Vorschlag der Bahn eingeht, einen Schlichter einzuschalten? Ganz einfach, sagt der Gewerkschaftschef: "Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten!" Auch das wieder eine sehr klare Ansage.

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