Baden-Württemberg:Kretschmann ruft "neue Gründerzeit" aus

Keine Revolution, aber eine "ökologisch-soziale Erneuerung": Winfried Kretschmann sendet in seiner ersten Regierungserklärung als baden-württembergischer Ministerpräsident versöhnliche Signale an die Automobilbranche. Er umwirbt die CDU beim Thema Stuttgart 21 - und bringt mit kleinen Spitzen seinen Vorgänger Stefan Mappus zum Lachen.

Seine Krawatte ist nicht grün, nicht an diesem Tag. Bei seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident von Baden-Württemberg trägt der Grüne Winfried Kretschmann einen blauweißgestreiften Schlips - eine staatsmännische, keine parteipolitische Kombination. Und so fällt dann auch die Rede des 63-Jährigen aus: fest in der Sache, aber versöhnlich im Tonfall.

Kretschmann, Prime Minister of German state of Baden-Wuerttemberg holds government policy statement in Stuttgart

Winfried Kretschmann bei seiner ersten Regierungserklärung im Stuttgarter Landtag: Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg verspricht eine "ökologisch-soziale Erneuerung".

(Foto: REUTERS)

Vor allem die Automobilindustrie dürfte die Rede als entgegenkommend empfunden haben. Mit ihr hatte sich der erste grüne Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik kurz nach dem Wahlsieg angelegt, als er für "weniger Autos" plädiert hatte - so verkürzt kam seine Aussage zumindest bei vielen Baden-Württembergern an. Die CDU und auch der Koalitionspartner SPD mahnten daraufhin, die Industrie als wesentlicher Wirtschaftsfaktor dürfe nicht in Frage gestellt werden.

In der Regierungserklärung an diesem Mittwoch ist die Wirtschaft Kretschmanns zentrales Thema. Im prall gefüllten Plenum des Stuttgarter Landtags verspricht der neue Ministerpräsident, seine grün-rote Koalition werde Baden-Württemberg "zum Modell ökologisch orientierten Wirtschaftens" unter den Bundesländern machen. Seine Regierung stehe für eine "neue Gründerzeit", die den Weg "zu den Arbeitsplätzen der kommenden Jahrzehnte" einschlagen werde.

Auch eine gezielte Förderpolitik verspricht Kretschmann - für eine "neue und tragfähige industrielle Basis" der Wirtschaft. Manch ein besorgter Unternehmer wird das gerne gehört haben.

Die grünen Motive kommen in Kretschmanns Rede nicht zu kurz. Dabei bleibt der neue Landesvater vage und geht inhaltlich kaum darüber hinaus, was ohnehin im Koalitionsvertrag stehe.

Das Leitmotiv der Politik der grün-roten Koalition in den nächsten fünf Jahren laute: "Verantwortung für Nachhaltigkeit und Erfolg durch Nachhaltigkeit." Baden-Württemberg stehe keine politische Revolution bevor, sondern eine "ökologisch-soziale Erneuerung", sagt Kretschmann und ruft: "Die braucht es allerdings!"

Seine Koalition habe sich zum Ziel gesetzt, eine "Bürgerregierung" zu stellen. Der Koalitionsvertrag solle nicht einfach abgearbeitet werden, sondern eine "Dynamik" in der Bevölkerung auslösen. "Die Zeit des Durchregierens ist vorbei", sagt Kretschmann - eine Spitze gegen seinen Vorgänger Stefan Mappus, der als CDU-Abgeordneter einen Platz in den hinteren Reihen eingenommen hat. Mappus verfolgt die Rede zunächst mit steinerner Miene, beim Stichwort "Durchregieren" - seinem einstigen Credo - muss er jedoch lachen.

Laut wird es im Landtag, als Kretschmann seine Sicht der Haushaltslage des Landes präsentiert: Nach 58 Jahren CDU-Herrschaft stehe Baden-Württemberg vor einem gewaltigen Schuldenberg, sagt der neue Ministerpräsident. Es seien gewaltige Anstrengungen nötig, um das Land auf einen "soliden und seriösen Pfad der Nachhaltigkeit" zu bringen. Die Opposition quittiert das mit lauten Buhrufen und höhnischem Gelächter.

Beim Reizthema Stuttgart 21 wirbt Kretschmann dann um die Zustimmung der CDU: Er will sie dazu bewegen, einer niedrigeren Hürde bei Volksabstimmungen ihren Segen zu geben. Statt wie bisher 33 Prozent sollen nur noch 20 Prozent der Wahlberechtigten nötig sein, um einer Abstimmung Gültigkeit zu verleihen. "Überlegen Sie sich Ihre Haltung zu diesem Punkt doch noch einmal in aller Ruhe", appellierte Kretschmann an die stärkste Fraktion.

Spätestens im Oktober sollen die Bürger nach dem Willen der grün-roten Landesregierung über den derzeit auf 4,1 Milliarden Euro geschätzten Umbau des Stuttgarter Bahnhofs abstimmen. Nach den bisherigen Bedingungen müssten 2,8 Millionen Bürger zur Abstimmung gehen, um die nötige Beteiligung zu erreichen.

Mit einer Einigung auf ein Quorum von 20 Prozent würde eine zeitgemäße Mitsprache der Bürger an politischen Entscheidungen näher rücken, sagte Kretschmann. Eine gewisse Anpassung an die Gepflogenheiten in anderen Bundesländern sei schon eine deutliche Verbesserung. Bayern, Hessen und Sachsen hätten bei einfachen Gesetzen gar kein Quorum, Nordrhein-Westfalen verlange nur 15 Prozent, Bremen 20 Prozent sowie Niedersachsen und Rheinland-Pfalz 25 Prozent.

Die CDU ist bislang jedoch nicht gewillt, den Grünen entgegenzukommen. Ihr Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag erteilte Kretschmanns Bitte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung eine verklausulierte Absage: "Wir sind einer Verbesserung der Bürgerbeteiligung nicht grundsätzlich abgeneigt. Aber wir werden es niemals aus tagesaktuellem Anlass machen."

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