Baden-Württemberg:Guter Mann, gute Arbeit, guter Verlierer

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Die einzigen grünen Schwachstellen, die SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid findet, sind in der Wand des Stuttgarter Opernhauses. (Foto: Franziska Kraufmann/dpa)

Keiner kann Schlechtes über den Spitzenkandidaten Schmid sagen, dennoch droht der SPD ein historisches Tief.

Von Josef Kelnberger

Nils Schmid stand irgendwie abseits, und doch mittendrin. Man hatte den SPD-Chef auf dem Wahlpodium der Stuttgarter Nachrichten zwischen Guido Wolf und Hans-Ulrich Rülke platziert, den Spitzenkandidaten von CDU und FDP. Die beiden wollen Schmid neuerdings ja in ihre Mitte zwingen, das Rot der SPD als Teil einer sogenannten Deutschlandkoalition zwischen Schwarz und Gelb. Deshalb wird Schmid nun geschont, deshalb richteten sich auch an diesem Abend ihre Attacken auf Grün, auf Ministerpräsident Kretschmann. Als doch die Rede darauf kam, Finanz- und Wirtschaftsminister Schmid habe nicht ausreichend gespart, ergriff der sofort die Gelegenheit zur Attacke.

Obwohl die SPD schwächelt, wird sie von fast allen anderen Parteien umworben

"Schauen Sie sich doch die Herren hier an", sagte er und deutete mit der einen Hand nach links, mit der anderen nach rechts, "die beiden haben fast 60 Jahre lang hier regiert." Und was in Erinnerung geblieben sei: der verfassungswidrige EnBW-Deal, die Verwerfungen um Stuttgart 21, unsolides Wirtschaften . . . Wolf und Rülke schauten belämmert, das Publikum hatte seinen Spaß, offenbar überrascht von der Schlagfertigkeit des SPD-Kandidaten. Aber ob Schmids Botschaft wirklich angekommen ist?

Der SPD-Chef hat nicht die geringste Lust, mit CDU und FDP zu regieren und weiß sich einig mit seiner Basis. Ein Koalitionsvertrag muss den Mitgliedern vorgelegt werden, und auch wenn die FDP beileibe nicht 60 Jahre mitregiert hat in Baden-Württemberg, so gilt sie vielen Sozialdemokraten ebenso als Feindbild wie die CDU. Die Spekulationen um die Deutschlandkoalition werden bis zur Wahl am 13. März trotzdem nicht verstummen. Weil die Sozialdemokraten in Deutschland ja doch immer irgendwie mitregieren - auch wenn sie in den Umfragen immer randständiger werden.

Und so steht dieser Nils Schmid, 42 Jahre alt, der 2011 beinahe jüngster deutscher Regierungschef geworden wäre, exemplarisch für seine Partei. Guter Mann, gute Arbeit, aber: zweite Reihe. Der Mann hinter Kretschmann eben.

16 Prozent prophezeite am Freitag das Institut Forsa Schmids SPD. Das wäre ein historisches Tief, noch unter dem Niveau der Nachbarn aus Bayern, eine neue Hiobsbotschaft aus der brüchigen SPD-Südschiene, von der es immer wieder heißt, an ihr liege es, dass die SPD im Bund nicht auf die Beine kommt. Und genaugenommen wären die 16 Prozent auch ein schlechter Witz angesichts der Leistung der SPD in dieser Regierung.

Innenminister Reinhold Gall hat sich in der Flüchtlings- und Terrorkrise als Garant der Inneren Sicherheit profiliert. Kultusminister Andreas Stoch konnte nach anfänglichem Chaos Ruhe in die Schulen bringen. Schmid konnte als Finanzminister viermal eine "schwarze Null" vorweisen. Bilkay Öney (Integration) und Katrin Altpeter (Soziales) komplettierten die Ministerriege, und bei aller Kritik an der Arbeit der Fünf: Niemand würde behaupten, die SPD sei der schwächere Teil der Koalition. Laut Umfragen sind fast zwei Drittel der Bürger mit der Arbeit der grün-roten Regierung zufrieden, auch Schmid verfügt über beachtliche Popularitätswerte. Doch wer profitiert? Kretschmanns Grüne. Sie liegen gleichauf mit der CDU bei 30 Prozent.

Nils Schmid wird bis zur Wahl auch um die eigene Zukunft als Vorsitzender kämpfen. Eine Neuauflage der grün-roten Koalition würde ihn retten, sie ist nun auch wieder in Reichweite. Aber die Machtverhältnisse hätten sich deutlich gewandelt. Bei der Wahl vor fünf Jahren lagen Grüne (24,2 Prozent) und SPD (23,1 Prozent) fast gleichauf. Winfried Kretschmann versprach damals eine Zusammenarbeit "auf Augenhöhe". Davon ist nicht mehr viel geblieben.

Nils Schmid hätte nun allen Grund zur Bitternis. Er hat diese grün-rote Koalition durchgesetzt, gegen den Willen von Sigmar Gabriel, der befürchtete, die SPD könnte im Bund hinter die Grünen zurückfallen. Er hat mit der Idee eines Volksentscheids über Stuttgart 21 die Brücke zu den Grünen gebaut, die das Projekt ablehnten. Das Votum pro S 21 war Schmids Sieg. Ironischerweise profitierte davon der Ministerpräsident. Kretschmann akzeptierte die Niederlage klaglos und begründete so seinen Ruf als überparteilicher Staatsmann.

Bitternis ist Nils Schmid fremd, aber das Verhältnis zwischen Schmid und Kretschmann ist durchaus schwierig. "Die Chemie", so heißt es in ihrem Umfeld, habe manches Mal nicht gestimmt. Schmid selbst weist darauf hin, dass Kretschmann einer anderen Generation entstamme, 67 Jahre alt und damit älter als sein Vater. Aber sie sind auch unterschiedliche Typen. Schmid ist von Jugend an viel gereist, hat eine türkisch-stämmige Frau geheiratet. Ein Mann von rasanter Auffassungsgabe. Kretschmann setzt sich ungern in ein Flugzeug, fühlt sich am wohlsten daheim auf der Alb. Ein erdverwachsener und bedächtiger Mensch, nach dem Geschmack von Schmid manchmal allzu bedächtig.

Nils Schmid hatte damit gerechnet, dass der Amtsbonus Kretschmann und den Grünen zugutekommen würde - aber dieses Ausmaß hatte er nicht erwartet. Wenn sie gemeinsam auf Podien auftreten, wird der Grüne bestaunt als Staatsphilosoph. Schmid dagegen scheint sich manchmal dafür rechtfertigen zu müssen, dass er sein Abi mit einer Eins gemacht hat. Manche Medien nennen ihn noch heute "kleiner Nils".

So ungerecht ist die politische Welt - aber auch wieder so gerecht. Denn über den Erfolg bei Wahlen entscheidet letztlich nicht das brave Abarbeiten von Koalitionsverträgen, wie Sozialdemokraten gerne glauben. Sondern der Machtinstinkt. Und der ist bei Kretschmann zweifellos stärker ausgeprägt. Schon vor Monaten legte sich Nils Schmid darauf fest, er werde im Wahlkampf nicht mit Vertretern der AfD debattieren. Es war ihm ein Herzensanliegen. Mit Rassisten, sagte er, setze er sich nicht an einen Tisch. Kretschmann erklärte sich zunächst solidarisch, machte aber angesichts des Medienechos sofort einen Rückzieher. Schmid schloss sich dem Ministerpräsidenten an. Er war mal wieder nur Zweiter.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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