Erwin Teufel:"Es gibt nicht genug Kretschmänner bei den Grünen"

Mit seinem Abschied aus der Politik begann in Baden-Württemberg der Abstieg der CDU: Im SZ-Interview spricht Erwin Teufel über die Erfogsaussichten von Grün-Rot, den Atomausstieg und den Machtverlust der Konservativen im Ländle.

Roman Deininger und Joachim Käppner

Die kleine Stadt Spaichingen im Süden Baden-Württembergs: Weit reicht der Blick von Erwin Teufels Haus über Wiesen und Obstbäume bis zum Dreifaltigkeitsberg. Von hier aus ist Teufel zu Amtszeiten täglich Punkt 6.30 Uhr im Zug nach Stuttgart gefahren, 14 Jahre lang war er Ministerpräsident für die CDU: "Es war die einzige Zeit am Tag, in der ich in Ruhe Akten lesen konnte." Er galt als Inbegriff des volkstümlichen Landesvaters. Mit seinem Abschied aus der Politik 2005 begann der Niedergang der CDU in ihrer Hochburg. Nun verlor Ministerpräsident Stefan Mappus, ein Vertrauter Teufels, die Macht. Das strukturkonservative "Ländle" wird bald vom ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands regiert, Winfried Kretschmann. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung"- seinem ersten großen seit Jahren - spricht Teufel über die Niederlage, den Bürgerprotest und die Aussichten für Grün-Rot.

Erwin Teufel wird 70

Erwin Teufel (CDU) war 14 Jahre Ministerpräsident in Stuttgart. Er galt als volkstümlicher Landesvater.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Teufel, Sie waren 14 Jahre Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Nun soll dieses traditionell schwarze Land einen grünen Ministerpräsidenten bekommen. Es heißt jedoch, er sei eigentlich ein Typ wie Sie, eine Art integrierender Landesvater. Was halten Sie davon?

Teufel: Herr Kretschmann zitiert mich fast täglich und sagt, dass er eine Politik der Mitte anstrebe. Ihm persönlich glaube ich das, denn er ist ein seriöser Mann. Ich kann ihm auch nur raten, alle Baden-Württemberger in seiner neuen Aufgabe im Auge zu behalten.

SZ: Was spricht dagegen?

Teufel: Herr Kretschmann konnte über Jahre in der Opposition nur mit Worten Politik machen. Jetzt wird er an Taten gemessen. Jetzt muss er von "Gesinnungsethik" auf "Verantwortungsethik" umstellen. Leider sehe ich bei den Grünen nicht viele "Kretschmänner" oder "Kretschfrauen". Viele sind viel ideologischer als er und stehen viel weiter links. Der Mann geht einen schweren Gang.

SZ: Warum das? Grün-Rot hat eine stabile Mehrheit.

Teufel: Er hat eine knappe Mehrheit und wird schon in der eigenen Partei viele Kompromisse schließen müssen. Die SPD wird nicht von Wahl zu Wahl ihr jeweils schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit erreichen wollen und sie wird nicht Juniorpartner bleiben wollen. Deswegen muss sie sich auch profilieren, und es wird in vielen Fragen schwierig sein, Kompromisse zu finden und trotzdem das Richtige zu tun.

SZ: Wo sehen Sie die Bruchstellen?

Teufel: Zuerst bei einem schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie. Ich halte die Kernenergie seit der Erfahrung von Tschernobyl für eine Übergangstechnologie. Aber man kann nur stufenweise aussteigen, wenn man für die Wirtschaft und für die Haushalte eine sichere Stromversorgung will zu noch bezahlbaren Preisen und wenn man die Ziele des Klimaschutzes einhalten will. Die erste Stufe des Ausstiegs war, dass wir keine neuen Kernkraftwerke mehr gebaut haben. Die zweite war die konsequente Förderung von alternativen Energiearten. Die dritte Stufe war die Abschaltung des Kernkraftwerks in Obrigheim. Die vierte war die Erweiterung des Wasserkraftwerkes in Rheinfelden, die alleine mehr Strom bringt als 1000 Windräder. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen.

SZ: Grün-Rot will aber noch stärker auf alternative Energien setzen.

Teufel: Aber wie will man die alternativen Energien ausbauen, wenn sich im Land dagegen jedes Mal massiver Widerstand regt, der örtlich ist, aber nicht geringer als bei Stuttgart 21? Windräder sollten dahin, wo der Wind richtig bläst - aufs Meer. Aber solche Masten, hoch wie das Ulmer Münster, gehören nicht in die wunderbaren Landschaften des Schwarzwaldes oder der Schwäbischen Alb. Dazu erzeugen sie zu geringe Mengen Strom. Viel effizienter ist die Wasserkraft...

SZ: ... aber im Schwarzwald drohen Bürger schon, sich anzuketten, wenn ein Wasserkraftwerk ausgebaut wird.

Teufel: Eine schöne Herausforderung für einen grünen Ministerpräsidenten. Das nächste Problem wird Stuttgart 21 sein. Die SPD hat dem neuen Bahnhof im Landtag erst zugestimmt und später versucht, aus der Geschichte wieder herauszukommen, indem sie eine Volksabstimmung fordert. Ich frage mich: Worüber und wo will sie denn abstimmen lassen?

SZ: Sie halten ein Plebiszit für unzulässig?

Teufel: Es gibt Rechtsgutachten von namhaften Wissenschaftlern, dass eine solche Abstimmung nicht möglich ist. Stuttgart 21 ist eine Bundesmaßnahme, die im Bundeshaushalt etatisiert ist. Wo will man abstimmen? Im Stadtgebiet von Stuttgart? In der Region Stuttgart? Im Land Baden-Württemberg? Oder auf Bundesebene? Teile der Protestgruppen wehren sich bereits gegen eine Volksabstimmung im Land, weil sie befürchten, dass das Ergebnis nicht ihren Vorstellungen entspricht.

SZ: Zu Ihrer Partei: Ist der Machtverlust im Stammland Baden-Württemberg nicht ein Menetekel für die CDU? Warum hat sie so viel Vertrauen verloren?

Teufel: Die Wahl wurde in der Schlussphase der atomaren Katastrophe in Fukushima entschieden. Sie hat alle anderen landespolitischen Fragen überlagert. Nicht mehr die Spitzenstellung unseres Landes stand für viele Bürger zur Wahl, sondern eine hochemotionale Einstellung zur Kernenergie. Zwei Wochen vorher hatte die CDU mit der FDP zusammen die Mehrheit gehabt. Nichts ist leichter als jetzt die ganze Schuld auf Stefan Mappus abzuschieben. Dabei war sein Ergebnis von 39 Prozent unter diesen Umständen gar nicht schlecht. Er hat sogar fast 200000 Stimmen mehr bekommen als die CDU bei der letzten Landtagswahl. Und den Streit um Stuttgart21 hat er gut eingefangen und neutralisiert, indem er Heiner Geißler als Schlichter berief und das Schlichtungsergebnis akzeptiert und punktgenau umgesetzt hat. Es war in der Schlussphase des Wahlkampfs für die Opposition natürlich ein gefundenes Fressen, dass Stefan Mappus sich vor kurzem für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke eingesetzt hatte. Aber das hat die ganze Bundesregierung auch getan.

"Langfristig mag gar keiner mehr denken"

SZ: War deren jähe Wende in der Atompolitik nicht völlig unglaubwürdig?

Teufel: Es war richtig von Angela Merkel, der Bundesregierung und den CDU-Ministerpräsidenten, ein Moratorium von drei Monaten zu beschließen. Die Ergebnisse in Japan mussten zwingend zu einer neuen Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke führen. Aber ich frage mich, ob man dann die Sicherheitsüberprüfung nicht abwarten muss, bevor man einzelne Kernkraftwerke schließt. Das hat manche Leute irritiert. Ich frage mich auch, was es für eine moralische Position ist, wenn bei uns viele die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke fordern und anschließend Strom aus französischen Kernkraftwerken beziehen. Sind für uns in Baden-Württemberg vier Kernkraftblöcke in Fessenheim am Rhein, 50 Meter von unserer Landesgrenze entfernt, weniger gefährlich? Ist ein Kernkraftwerk an der Grenze Schweiz/ Deutschland bei Waldshut für uns weniger gefährlich? Eine solche Politik halte ich für wenig glaubwürdig.

SZ: Sie fordern Glaubwürdigkeit von der Politik - aber woran soll ein CDU-Wähler noch glauben? Beim Atomausstieg ist seine Partei grüner als die Grünen, die Regierung lässt beim Libyen-Einsatz die Nato-Partner im Stich.

Teufel: Ich finde es schon richtig, dass die Bundesregierung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurückhaltend ist. Man kennt den Einstieg, aber nicht den Ausstieg. Aber wenn Deutschland schon einen Platz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstrebt, muss man auch unpopuläre Entscheidungen treffen und mittragen. Ich halte die Enthaltung bei der Libyen-Resolution für einen Fehler.

SZ: Weil sie einen weiteren Grundpfeiler der CDU-Identität gefährdet, die Solidarität mit den Bündnispartnern?

Teufel: Genau deshalb. Unsere Bündnispartner standen in allen kritischen Lagen seit der Berliner Blockade bis zur Wiedervereinigung auf der Seite Deutschlands. Dann müssen wir in kritischen, unpopulären Fragen auch auf ihrer Seite sein.

SZ: So wie Helmut Kohl in der Nachrüstungsdebatte 1982?

Teufel: Ja, oder wie Kanzler Kohl beim Golfkrieg. Er hat sich auf die Seite der Verbündeten gestellt, ohne sich militärisch zu engagieren. Das wäre auch jetzt die bessere Lösung gewesen. Es wäre auch innenpolitisch besser gewesen. Man hat bei der Politik manchmal den Eindruck, dass die Demoskopie das mittelfristige Denken bestimmt; langfristig mag gar keiner mehr denken. Wählerbindung entsteht durch Verlässlichkeit. Wir haben in unserer Geschichte einen "langen Weg nach Westen" hinter uns. In früheren Zeiten wussten wir nicht, wohin wir gehören und unsere Nachbarn wussten nicht, wo wir stehen. Konrad Adenauer hat deshalb dieses Land in die Europäische Gemeinschaft und in das Bündnis mit den Vereinigten Staaten und die Nato gebracht. Diese Grundorientierung ist auch für die Zukunft von entscheidender Bedeutung.

SZ: Manche in der CDU fordern ein konservativeres Profil.

Teufel: Das "C" in der CDU steht nicht für "konservativ", sondern für "christlich". Das muss deshalb die Grundorientierung unserer Partei bleiben. Die CDU ist auch Heimat für die Konservativen. Ich habe mich noch nie als Konservativen bezeichnet, teile aber mit allen Konservativen die Orientierung an Werten, die immer gelten. Für mich ist der Rechtsstaat die größte Errungenschaft unserer Kultur und Geschichte.

SZ: Wie groß ist das Potential der Union denn noch?

Teufel: Wir haben ein größeres Potential, als wir es derzeit bei Wahlen im Bund und in den Ländern ausschöpfen können. Unser Potential liegt ganz sicher über 40 Prozent und in Bayern über 50 Prozent.

SZ: Was bedeutet das konkret?

Teufel: Das heißt konkret, dass wir die vorletzte und die letzte Bundestagswahl auswerten und uns fragen müssen, woran es lag, dass wir so stark abgenommen haben und warum so viele CDU-Wähler in die Wahlenthaltung gegangen sind. Man kann das nicht einfach auf die kleineren Milieus und auf den Rückgang der Kirchenbindung vieler Wähler zurückführen. Wir müssen unser Profil stärken durch mittel- und langfristige Ziele und dürfen nicht nur aufarbeiten, was täglich angeschwemmt wird.

SZ: Schadet es der CDU, dass sie den Anschluss an die neuen bürgerlichen Protestbewegungen verpasst hat?

Teufel: Die CDU braucht keinen Anschluss an Protestbewegungen, sondern muss eine bürgernahe Politik betreiben. Unsere Stärke ist die Verankerung in der Kommunalpolitik und in den Vereinen und Verbänden. Im Feld der ehrenamtlich tätigen Bürger, die sich für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl engagieren, liegt das große Potential der Union.

SZ: Sind die Proteste gegen Stuttgart 21 nicht eine Bürgerbewegung neuen Typs?

Teufel: Bei Stuttgart 21 ist es den Grünen, die im Stadtrat ja schon sehr stark waren, einfach gelungen, ihre Anhängerschaft sehr wirkungsvoll zu mobilisieren. Ich habe in über dreißig Jahren Mitgestaltung der Landespolitik kein Großprojekt erlebt, das ohne erbitterten Protest vor Ort und unter fünfzehn Jahren von der Planung bis zur Realisierung abgegangen wäre: die ICE-Strecke Mannheim-Stuttgart, die Verlängerung der Start- und Landebahn des Flughafens Stuttgart, der Bau der neuen Landesmesse, die Ortsumfahrung Freiburg, um einige Beispiele zu nennen. Bei der Westumfahrung Freiburg-Ebnet haben beim Baubeginn die Demonstranten eine Kuh mit Parolen bemalt und alle Wege versperrt. Ich bin mit Halbschuhen über nasse Wiesen zum Bauplatz gelaufen. Aber nach der Fertigstellung dieser Großvorhaben findet man nur noch Zustimmung. Politik muss deshalb gewiss auf die Bürger hören und sie beteiligen, aber sie muss auch führen - und für wichtige Zukunftsprojekte stehen und einstehen.

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