Avi Primor zur Ägypten-Krise:"Der Frieden mit Israel hält, selbst wenn Islamisten regieren"

Avi Primor, Israels Ex-Botschafter in Deutschland, über die Angst seiner Landsleute vor einem islamistischen Ägypten, das Abrücken Washingtons von Mubarak und die Chance auf Frieden in Nahost.

Oliver Das Gupta

Avi (Avraham) Primor kam 1935 in Tel Aviv zur Welt, die Frankfurter Familie seiner Mutter wurde während der Nazi-Zeit ermordet. Primor trat 1961 in den diplomatischen Dienst ein. Nach mehreren Botschafter-Posten vertrat er zwischen 1993 und 1999 Israel in Deutschland. Danach wurde er Vizepräsident der Universität Tel Aviv. Seit 2005 ist er an einer Privatuniversität in Herzliya und als Publizist tätig.

Tahrir-Platz Mubarak Demonstrantinnen

Gegen Mubarak und sein Regime - aber nicht gegen den Westen: ägyptische Demonstrantinnen auf dem Weg zum Tahrir-Platz.

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Herr Primor, Ägyptens Präsident Mubarak lehnt einen Rücktritt ab mit der Begründung, es würde sonst Chaos ausbrechen. Teilt man in Israel diese Ansicht?

Avi Primor: Hier herrscht Beklommenheit. Viele Israelis fürchten Chaos und Schlimmeres: die Machtübernahme der islamistischen Muslimbruderschaft in Ägypten und, dass in kurzer Zeit die übrige arabische Welt in diese Richtung umkippt.

sueddeutsche.de: Israel nimmt bislang für sich in Anspruch, die einzige Demokratie der Region zu sein, nun erkämpfen sich die Menschen in den Nachbarländern ihre Rechte - das sollte doch Hoffnung machen.

Primor: Eigentlich schon, ja. Die beschriebene Furcht vieler meiner Landsleute und unserer Regierung teile ich nicht.

sueddeutsche.de: Was stimmt Sie optimistisch?

Primor: Der Charakter der Demonstrationen. Bislang sind sie eben nicht gegen den Westen, Amerika und Israel gerichtet.

sueddeutsche.de: Einzelne Demonstranten hielten Mubarak-Plakate, auf denen dem Präsidenten Schweineohren und Davidsterne aufgemalt worden waren.

Primor: Das mag sein, aber wie sie schon sagten: Es sind Einzelfälle. Der überwältigende Teil der Demonstranten schwenkt ägyptische Fahnen - von grünen Flaggen der Islamisten ist nichts zu sehen. Von Israel ist nicht die Rede, nicht einmal von Palästina. Diese Massenproteste sind nicht religiös motiviert, im Mittelpunkt stehen innerägyptische Probleme: die hohen Lebensmittelpreise, die darbende Wirtschaft, die Armut und die Korruption. Der Ruf nach Demokratie kommt übrigens eher am Rande vor.

sueddeutsche.de: Die Sorge Israels ist trotzdem nicht grundlos: Die fundamentalistischen Muslimbrüder sind bestens vernetzt und sind mächtiger Faktor. Vizepräsident Suleiman hat ihnen Mitarbeit in einer künftigen Regierung angeboten - wie will man sie da noch aufhalten?

Primor: Die Islamisten lauern auf ihre Chance, das ist gewiss. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bürgertum erfolgreich Revolution macht und später durch die Extremisten von der Macht verdrängt wird. Im Falle Ägyptens sollten wir uns trotzdem weniger sorgen: Der Frieden wird halten, selbst wenn die Islamisten an die Macht kommen.

sueddeutsche.de: Was macht Sie so sicher?

Primor: Jeder, der an die Macht kommt, auch eine Ideologie wie die islamistische, steht erst einmal in der Pflicht: Staatsräson ist die Hauptsorge und Hauptaufgabe, sie ist stärker als Ideologie und sie zwingt dazu, pragmatisch zu agieren. Zur Staatsräson in Ägypten zählt: Frieden mit Israel. Die künftige Regierung muss sich zuallererst einer Sache widmen: Die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. In solch einer Situation sucht niemand den Konflikt mit Israel, selbst die Muslimbrüder nicht. Mit Krieg kann man kein Volk ernähren.

sueddeutsche.de: Sie raten Israel und dem Westen also, entspannt zu bleiben?

Avi Primor Gedenken an NS-Opfer - Neue Synagoge Mainz

Angesehener Ex-Diplomat mit Wurzeln in Frankfurt: Avi Primor während einer Rede in der neuen Synagoge in Mainz im Januar 2011

(Foto: dapd)

Primor: Selbst ein islamistisch geprägtes Land wie Saudi-Arabien hat einen Friedensplan mit Israel entworfen - weil für Riad der Friede mit Israel im eigenen Interesse ist.

sueddeutsche.de: US-Präsident Barack Obama ist innerhalb weniger Tage vom Langzeit-Verbündeten Mubarak abgerückt und bastelt hinter den Kulissen an dessen Abgang, die israelische Regierung betrachtet das mit Skepsis. Agiert Washington klug?

Primor: Obama macht es richtig - nur wir, die Israelis, sollten unsere Finger da raushalten, das tun wir auch.

sueddeutsche.de: Das war nicht immer so: Während der Proteste in Iran 2009 wollte sich Washington nicht einmischen.

Primor: Und auch das war richtig so: Das Regime in Teheran war noch nicht wackelig genug und Staatschef Mahmud Ahmadinedschad versuchte, die Demonstrationen als vom Westen gesteuert hinzustellen. Die USA hatten damals recht, nichts zu tun, und sie haben in diesen Tagen recht, wenn sie Stellung beziehen und bei einem geordneten Übergang helfen. Es macht keinen Sinn mehr, Mubarak zu stützen. Er ist verloren. Würde Washington ihn weiter stützen, würde sich die Revolution radikalisieren.

sueddeutsche.de: Steht Ägypten nun vor einer Demokratisierung?

Primor: Es wird ein Schritt in Richtung Demokratie sein, aber noch nicht die Demokratie selbst. Wir sollten uns nichts vormachen: Demokratie wird es nicht mit einem Schlag geben, Demokratie muss wachsen, das kann nur schrittweise kommen - das zeigt auch die Geschichte Europas. Die Ägypter werden sich Stück für Stück mehr Freiheiten holen. Die neue Regierung wird sicherlich demokratischer, aber nach wie vor etwas diktatorisch sein. Die alten Eliten werden noch eine Weile die Strippen ziehen.

sueddeutsche.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unter dem Eindruck des Aufruhrs in der arabischen Welt Israels Premier Netanjahu aufgerufen, mit den Palästinensern zu einer Lösung zu kommen, die Zeit dränge. Ist es in dieser unruhigen Zeit nicht ratsamer, erst einmal stillzuhalten?

Primor: Merkel hat vollkommen recht, wobei Sie sich als Deutscher fragen können, warum von der Kanzlerin nicht schon viel früher so deutliche Worte gekommen sind. Merkel ist politisch wie emotional proisraelisch und weist zu Recht darauf hin, dass Israel gerade dabei ist, eine historische Chance zu verpassen.

sueddeutsche.de: Veröffentlichte Geheimdokumente belegen, dass die Palästinenserführung um Präsident Machmud Abbas weitreichende Konzessionen machen würde.

Primor: Diese Dinge sind zwar längst bekannt gewesen, nur eben nicht offiziell. Aber gerade weil es mit Abbas einen moderaten und seriösen Partner gibt, sollte Israel ungeachtet des arabischen Aufruhrs ernsthaft verhandeln - nicht nur mit den Palästinensern, sondern auch mit Damaskus. Ich befürchte nur, dass unsere Regierung das nicht tut, weil Premier Netanjahu vor allem eines kümmert: sein Machterhalt.

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