Autoren:Hinz, Kunz und Goethe

Wie wird man Schriftsteller? Die Leipziger Buchmesse hilft Menschen auf dem Weg zum eigenen Werk.

Von Lothar Müller

Das hässliche Entlein des Literaturbetriebs ist das unverlangt eingesandte Manuskript, das kein Verlag drucken will. Den Traum, sich in einen Schwan zu verwandeln, gibt es nicht auf. Doch geht sein Autor meist unerkannt durch die Welt. Groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auf Buchmessen anzutreffen ist. Zumal die Leipziger Buchmesse lässt er sich nicht entgehen. Sie ist berühmt dafür, ein großes Lesefest zu sein, das nicht nur die Messehallen, sondern den gesamten Stadtraum einschließt, und zudem eine Bühne für das junge, in aufwendige Kostüme gehüllte Publikum, das in die "Manga-Comic-Con" strömt. Seit Jahren stellt die Leipziger Buchmesse die Figur des Lesers ins Zentrum ihrer Marketing-Strategie. Der unerkannte Autor des unverlangt eingesandten Manuskripts aber gibt sich mit dieser Rolle nicht zufrieden. Seit sich im 18. Jahrhundert die Figur des modernen Autors herauszubilden begann, wuchs im modernen Leser die Sehnsucht, selbst zum Autor zu werden.

Leipzig, damals die Hauptstadt des deutschen Buchhandels, ist immer noch ein Fixpunkt dieser Sehnsucht nach Autorschaft. Die großen internationalen Stars haben ihre Auftritte eher auf der Frankfurter Buchmesse, oft sind sie abgeschirmt, Figuren der Unberührbarkeit. In Leipzig dominiert ein erreichbarer, im Nahbereich agierender Autorentypus. Und die Messebesucher werden zunehmend nicht nur als Leser angesprochen, sondern zugleich als künftige Autoren.

Plakate werben für Schreibratgeber, Verlagsmitarbeiter verteilen Broschüren mit der Aufschrift "Autor werden - einfach und professionell". Vor allem dort, wo die Self-Publishing-Verlage residieren und die "Book on Demand"-Spezialisten ihre Dienste anbieten, verdichtet sich das Reizklima, das die Autorfantasien in den Lesern zum Erblühen bringt.

Hier erläutern Schaubilder an Wänden und auf Monitoren den Weg vom Text zum Buch, die Umformatierung einer Datei in ein E-Book und in einen Datensatz, der sich bei Bedarf in ein gedrucktes Taschenbuch oder in das exklusive Format eines professionell gestalteten Hardcovers verwandeln lässt. Hier werden die Stars der Self-Publishing-Szene interviewt, kursieren Berichte von Auflagenhöhen im sechsstelligen Bereich, die auch bei einem E-Book-Preis unter drei Euro den Autoren viel Geld einbringen. In Leipzig wird die Sehnsucht nach Autorschaft professionell bewirtschaftet, gibt es Beratung für jeden Aspekt moderner Schriftstellerei, zu den Rechtsnormen, die es beim Publizieren einzuhalten gilt, zu der Preisbindung bei E-Books, zu den Tricks bei der Gestaltung einer Autorenwebsite.

Amazon spielt bei der Präsentation seines "kindle direct publishing" seine große Stärke als Distributionsagent aus und zeigt, wie man ein Buch durch Rubrizierung und die Koppelung an Schlüsselbegriffe ("Liebe", "Mallorca") für möglichst viele Leser auffindbar macht. Hier ist die Buchmesse eine große Maschine, die unablässig neue Autoren produziert. Es gibt keine unverlangt eingesandten Manuskripte und keine hässlichen Entlein. Hier ist jeder Autor, der im Leser schlummert, ein Schwan.

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