Autonome:Selbstverwirklichung - nur einen Steinwurf entfernt

GERMANY - G20- SUMMIT - PROTEST

Inzwischen sind sich die Behörden sicher, dass Militante aus halb Europa zum G-20-Gipfel anreisten.

(Foto: Christof Stache/AFP)
  • Inzwischen sind sich die Behörden sicher, dass Militante aus halb Europa zum G-20-Gipfel anreisten.
  • Wer von den ausländischen Gipfelgegnern tatsächlich gewalttätig wurde, sei derzeit noch nicht zu sagen, heißt es beim Bundesamt für Verfassungsschutz.
  • Gerade im Grenzbereich zu Nachbarländern sind die Kontakte zwischen Autonomen intensiv.

Von Bernd Kastner

Manchmal, wenn er in den Urlaub fährt, wird Armin Pfahl-Traughber zum Polittouristen. Dann verbindet er Freizeit und Arbeit und besucht Orte der ganz linken Szene. In Göteborg, erzählt er, spazierte er vergangenes Jahr in eine Anarcho-Buchhandlung. Da lagen Aufkleber, die für eine Demo in Hamburg warben, in diesem Fall eine gegen Neonazis. Pfahl-Traughber ist Politologe und Soziologe an der Hochschule des Bundes in Brühl und forscht zum Linksextremismus. Die Aufkleber in Schweden illustrieren, dass die autonome Szene in Europa vernetzt ist. Jene Szene, deren Anhänger am Wochenende das Schanzenviertel in Hamburg verwüstet haben.

Inzwischen sind sich die Behörden sicher, dass Militante aus halb Europa zum G-20-Gipfel anreisten: aus der Schweiz etwa mit einem Sonderzug, viele aus Italien und aus Skandinavien, wo sich das Bündnis Arna ("Autonomous Revolutionary Nordic Alliance") formiert hat. Allein, wer von den ausländischen Gipfelgegnern tatsächlich gewalttätig wurde, sei derzeit noch nicht zu sagen, heißt es beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Noch laufen die Ermittlungen.

Nach Einschätzung des Anwaltlichen Notdiensts des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins kommt der überwiegende Teil der Inhaftierten nicht aus Hamburg. Der Notdienst vertritt 47 mutmaßliche Straftäter.

Gerade im Grenzbereich zu Nachbarländern sind die Kontakte intensiv. Der bayerische Verfassungsschutz registriert etwa ein enges Miteinander von bayerischen und österreichischen Autonomen, es gibt das "Rabatz"-Bündnis von Linksextremisten aus Oberbayern, Salzburg und Tirol. Und als es vor gut einem Jahr Krawall am Brenner gab, waren auch Bayern dabei.

Die Szene schottet sich extrem ab

Das alles wundert Pfahl-Traughber gar nicht. Zwar sei die Szene nicht organisatorisch vernetzt. Ein echter Autonomer lehnt feste Strukturen ab, und Worte wie "Verein" würde er wohl nicht mal denken. Aber natürlich seien sie im Austausch, vor allem übers Internet. Und ebenso selbstverständlich sei, dass man sich gegenseitig besucht und unterstützt.

Beim Protest gegen die Eröffnung der Zentrale der Europäischen Zentralbank 2015 seien viele Autonome aus Frankreich nach Frankfurt gekommen; schon 2001, bei der Randale gegen den G-8-Gipfel in Genua, waren viele Deutsche dabei. Relevante extrem linke Szenen gebe es in Frankreich, Italien, den Niederlanden, in Griechenland, Dänemark und Schweden.

Armin Pfahl-Traughber ist zurückhaltend beim Vergleich dieser Szenen, allein deshalb, weil sie überall unterschiedlich bewertet und erfasst würden. Wann sprechen die Behörden von einem Autonomen, wann gilt Randale offiziell als linksextremistisch?

Ihre Maxime lautet: "Keine Macht für niemanden"

Soziologen tun sich ohnehin schon schwer, die linke gewaltbereite Szene wissenschaftlich zu durchleuchten: "Wir wissen recht wenig über die sozialen Besonderheiten dieser Gruppe", sagt Armin Pfahl-Traughber. Zu sehr schotte sie sich ab, gegen Forscher und auch gegen Journalisten. Fragen würden schnell als Ausspionieren gewertet.

Deshalb könne er nur "sehr grobe Aussagen treffen" über jene Menschen, die man als schwarz vermummte Gestalten wahrnimmt. Die meisten seien jung, zwischen 16 und 30 Jahre alt; viele hätten ein Gymnasium besucht. Schwarze Klamotten dienten als eine Art Demo-Uniform, im Alltag trügen die Autonomen gewöhnliche, legere Kleidung. Die einen bevorzugen ein Leben von "Staatsknete", also Sozialhilfe, andere gehen sozialen Berufen nach oder Minijobs, studieren oder sind zumindest an Hochschulen eingeschrieben.

Hierarchien lehnen die Autonomen zwar ab gemäß ihrer Maxime: "Keine Macht für niemanden", es würde nie einen Vorsitzenden von irgendwas geben. Und doch sind da die "Altautonomen": Die sind fünfzig, sechzig Jahre alt und genießen einen "informellen Kultstatus", dank ihrer Erfahrung und ihres Charismas. Die heimlichen Anführer eines führerlosen Milieus.

Charakteristisch für die ideologischen Versatzstücke der Autonomen sei, dass sie sich um Widersprüche nicht groß kümmerten. Wenn sie einerseits die Abschaffung von Gefängnissen fordern, weil die Teil der staatlichen Repression seien, nähmen sie in Kauf, dass dann auch "Faschos" freikämen, die ihnen so verhassten Neonazis.

Generell, sagt Professor Pfahl-Traughber, nehme die Politisierung zwar leicht ab, die Gewaltbereitschaft aber nehme zu. Doch gingen Ideologie und Randale Hand in Hand. Hier die typische Antihaltung (gegen Globalisierung, Faschismus, Neoliberalismus, Gentrifizierung et cetera); dort die Gewalt als Tabubruch im "Schweinesystem" und Teil der Selbstvergewisserung, nach dem Motto: Ich zünde Barrikaden an, also gehöre ich dazu. Gewalt gelte als eine Art Selbstverwirklichung.

Neuere Bündnisse innerhalb der Szene verzichten "aus strategischen Gründen weitgehend auf ein offenes Bekenntnis zur Gewalt". So stellt es jedenfalls der Verfassungsschutz in seinem jüngsten Jahresbericht dar. Für "klassische Autonome" sei Gewalt dagegen unverzichtbares Element im Kampf gegen ein angebliches System aus Ausbeutung und Unterdrückung. "Wir träumen nicht, das Bestehende zu verändern, uns genügt, wenn wir es brennen sehen." So sei es zu lesen gewesen auf der Plattform "linksunten.indymedia". Die Verfassungsschützer konstatieren: "Immer häufiger ist die Bereitschaft erkennbar, im Zuge dieser Übergriffe Menschenleben zu gefährden."

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