Ausstieg:Sechs Jahre noch

Ausstieg: SZ-Grafik; Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz.

SZ-Grafik; Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz.

Kaum ein anderes Thema hat die Republik derart gespalten wie die Atomkraft. Ihre Abwicklung kommt jetzt langsam voran.

Von Michael Bauchmüller

Es kommt nicht oft vor, dass Sigmar Gabriel und Peter Altmaier gemeinsam einen Brief verfassen. Vorigen Donnerstag war so ein Tag. Der SPD-Vizekanzler und der Kanzleramtsminister von der CDU wandten sich ans Parlament. "Wir bitten, das Anliegen, die Streitigkeiten mit Bezug zur Kernenergie beizulegen, zu unterstützen", schrieben sie. Die Adressaten: die Fraktionschefs von Union, SPD und Grünen.

Das ist jene Phalanx, die seit 2011 den Atomausstieg in Deutschland vorantreibt, ursprünglich ergänzt noch um die FDP, die aber seit 2013 nicht mehr im Bundestag sitzt. Die Allianz aus Regierung und Opposition sollte auch helfen, das Projekt Atomausstieg juristisch abzusichern: Er wurde so zu einem Projekt nicht nur einer Regierung, sondern quasi der ganzen Gesellschaft. Fast vier Jahrzehnte lang hatte der Konflikt um die Atomkraft die Republik gespalten wie kaum ein Thema sonst. Doch beim Ende dieser Epoche ziehen nun alle an einem Strang. Sechs Jahre noch, dann geht der letzte Reaktor vom Netz.

Vorigen Donnerstag aber ging es Gabriel und Altmaier nicht um den Ausstieg, sondern um dessen Abwicklung. Der Bundestag debattierte erstmals über ein Gesetz, mit dem die Entsorgung des Atommülls nicht länger in der Verantwortung der Atomkonzerne liegt, sondern auf einen staatlichen Fonds übertragen wird. Danach sollen die Unternehmen nur noch den Rückbau der Atomkraftwerke aus eigener Tasche zahlen. Für alles, was dann mit dem strahlenden Müll geschieht, soll der Fonds aufkommen. Insgesamt 23,6 Milliarden Euro sollen die vier Betreiberfirmen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dazu einzahlen. Eingebracht hat den Gesetzentwurf die Koalition - zusammen mit den Grünen. Auch das kommt nicht oft vor.

Die Regelung der Finanzen ist die letzte große Baustelle des Ausstiegs. Lange Zeit hatte sich niemand groß darum gekümmert, wer die Entsorgung der nuklearen Hinterlassenschaft übernehmen würde. Den Stromkonzernen ging es schließlich prima, auch angesichts florierender Atomkraftwerke. Dass es den Unternehmen irgendwann auch einmal schlecht gehen könnte, weil die Atomkraft eben nicht mehr floriert, konnte oder mochte sich lange Zeit kaum jemand vorstellen.

2014 gab Gabriels Wirtschaftsministerium ein Gutachten in Auftrag, um das Problem zu erforschen. Darin stand: Auf Basis der gegenwärtigen Rechtslage bestünden "Risiken faktischer und rechtlicher Art", dass die Vorsorge der Betreiber nicht ausreiche. Im schlimmsten Fall drohten der öffentlichen Hand "erhebliche Kosten für die komplette Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie inklusive aller Folgekosten". Gehe ein Stromkonzern pleite, müsse der Staat blechen.

Die Bundesregierung zog dieselbe Konsequenz wie einst nach dem Reaktorunglück in Fukushima: Sie gründete eine Kommission. Ein halbes Jahr lang suchten 19 Experten und Politiker einen Ausweg aus dem Problem. Die Leitung, klar, hatten in Gestalt von Ole von Beust, Matthias Platzeck und Jürgen Trittin abermals Vertreter von Koalition und Grünen gleichermaßen. Auf diese Kommission stützt sich nun - wie einst bei der Ethikkommission zum Atomausstieg - der Gesetzesvorschlag, der den Konzernen gegen Milliarden die Aufräumarbeit abnimmt. "Dieser Kompromiss ist eine historische Zäsur", sagt der Berliner Jurist Olaf Däuper, einer der Autoren jener Studie, die einst den Stein ins Rollen brachte. "Beide Seiten haben einen großen Schritt aufeinander zu gemacht." Nur ein Problem bleibe noch: die restlichen Klagen der Konzerne.

Tatsächlich sind die Verfassungsbeschwerden, zu denen an diesem Dienstag ein Urteil fällt, nur ein Teil der vielen juristischen Scharmützel zwischen öffentlicher Hand und Konzernen. Eine regierungsinterne Liste weist derzeit 31 Verfahren auf, in denen die AKW-Betreiber Geld von Bund oder Ländern fordern. Mal geht es um die Finanzierung der Endlagersuche, mal um Kosten für das Endlager Schacht Konrad, das radioaktiven Schutt aufnehmen soll; beide Seiten streiten vor Gericht um die überstürzte Stilllegung älterer Reaktoren nach Fukushima und die Zulässigkeit einer Steuer auf Brennelemente.

Die Bundesregierung wäre all diese Klagen lieber gestern als heute los, auch die Kommission warb dafür. In ihrem Schlussbericht heißt es: "Die von den Betreibern angestrebte Neuaufstellung ihrer Unternehmen wird durch einen anhaltenden Rechtsstreit über die Atomenergie eher verhindert als befördert." Und offenbar gibt es in der Causa sogar Bewegung. Theoretisch könnten die Konzerne einen Großteil der Klagen zurückziehen. Im Gegenzug erhielten sie Klarheit, wann sie welche Summe in den Fonds überweisen müssen. Sie müssten dann nicht mehr befürchten, dass sie wegen Zeitverzugs noch Millionen an Zinszahlungen drauflegen müssen.

Gut möglich, dass auch dieser Deal noch klappt. Und wenn am Dienstag Karlsruhe das Urteil gefällt hat, blieben vom Streitthema Atomausstieg vielleicht noch ein, zwei Klagen übrig.

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