Außenpolitische Beziehungen:Diplomatie statt Sanktionen wagen

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Anreize, Druck und Zwang: Viel mehr außenpolitische Instrumente setzt die internationale Diplomatie nur selten ein. Doch Hilfsgelder, Sanktionen und Militäraktionen haben nur begrenzte Wirkung: Wer den Frieden will, muss verstehen können, was den anderen umtreibt.

Ein Gastbeitrag von Volker Perthes

Wenn es um Beziehungen zu anderen Ländern geht, setzen Deutschland und EU besonders gerne auf kooperative Maßnahmen: von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit über die Unterstützung bei wirtschaftlichen und politischen Umwandlungsprozessen, von der Förderung privatwirtschaftlicher Zusammenarbeit durch Marktzugänge oder Kreditgarantien bis hin zu auswärtiger Kulturpolitik oder der Zusammenarbeit im Bereich von Justiz, Umweltschutz, Polizei und Militär.

Gegen problematische Akteure und Regelverletzer werden Sanktionen verhängt. Und bei akuten Krisen, Konflikten und Bedrohungslagen sowie bei der notwendigen Stabilisierung nach Kriegen und Bürgerkriegen ist auch für Deutschland der Einsatz militärischer Mittel mittlerweile zu einem zwar nicht präferierten, aber nutzbaren Mittel der Staatskunst geworden.

Tatsächlich wird in der öffentlichen Diskussion vor allem nach diesen drei Instrumentenkategorien gefragt: Hilfe, Sanktionen, militärische Intervention - nach Anreizen, Druck und Zwang also. Alle drei haben ihre Grenzen. Die finanziellen Ressourcen, die die EU beispielsweise zur Unterstützung arabischer Transformationsländer zur Verfügung stellen kann, sind überschaubar.

Sanktionen wirken selten wie gewünscht

Andere Akteure, Katar etwa, stechen die Europäer hier leicht aus: Sie nehmen größere Beträge in die Hand und knüpfen daran ihre eigenen politischen Bedingungen. Beim Aufbau von Demokratie und verlässlichen staatlichen Institutionen können die EU und ihre Mitglieder reichlich Erfahrung einbringen. Aber diese Prozesse brauchen einen langen Atem. Sie helfen vor allem nicht, um akute innerstaatliche oder zwischenstaatliche Konflikte zu lösen.

Sanktionen dagegen wirken eigentlich immer, nur meist nicht so wie gewünscht: Sie schädigen die Wirtschaft des betroffenen Landes, und manchmal auch die eigene. Nur führen sie, wie das iranische Beispiel zeigt, selten zu den gewünschten Verhaltensänderungen.

Militärische Macht löst keine Konflikte

Militärisches Eingreifen wird immer wieder notwendig sein, um, wie zuletzt in Mali und Jahre zuvor in Bosnien oder Kosovo, Schlimmeres zu verhindern, um Menschen zu schützen, fragile Staaten zu stabilisieren, brüchige Waffenstillstände abzusichern oder auch, um die Sicherheit von Schifffahrtsrouten zu gewährleisten. Militärische Macht gehört zu den nach wie vor notwendigen Instrumenten der Staatskunst. Sie ist aber als Gestaltungsmittel unzureichend und löst selbst keine Konflikte. Das zeigt nicht nur der Afghanistan-Einsatz.

Von daher bleibt bedeutend, was wir die klassische Diplomatie nennen können - in der öffentlichen Diskussion allerdings wird sie zu wenig beachtet. In der internationalen Politik geht es immer darum, auf Verhältnisse außerhalb des eigenen Landes und auf andere staatliche oder nicht-staatliche Akteure Einfluss zu nehmen. Da hilft es durchaus, wenn man Anreize und Druckmittel in der Hinterhand hat.

Im Kern aber bleiben die traditionellen Fähigkeiten der Diplomatie gefragt: zu verstehen, was andere Akteure umtreibt; Interessen auszubalancieren; Übereinstimmungen zu finden und daraus, was sich ja nicht automatisch ergibt, Ansätze zu Kooperation und Konfliktlösung zu generieren; in multilateralen Abstimmungsprozessen Regeln zur Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und gemeinsamen Lebensgrundlagen zu etablieren und auch deren Durchsetzung abzusichern; nicht zuletzt aber gute Dienste zur Konfliktbearbeitung auch zwischen anderen Parteien zu leisten.

Diplomaten wissen, dass nicht jeder Konflikt lösbar ist, vor allem nicht unmittelbar. Oft sind eher umsichtige Bemühungen angesagt, um Auseinandersetzungen nicht eskalieren zu lassen und die Konfliktwahrnehmung nach und nach zu verändern.

Die US-amerikanische Diplomatie ist besonders gut, wenn sie das ganze Gewicht des Präsidenten zum Einsatz bringt. Dass Barack Obama jüngst Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dazu brachte, sich bei seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan für den Angriff auf die türkische Gaza-Flottille im Jahre 2010 zu entschuldigen und Entschädigungszahlungen zuzusagen, kann durchaus als diplomatische Meisterleistung gelten.

Europäische Diplomatie ist oft da im Vorteil, wo Geduld gefragt ist, weil Prozesse eben länger dauern als eine Wahlperiode. Die Beispiele sind nicht immer aufregend, aber gleichwohl wichtig: Die mittlerweile seit zehn Jahren laufenden Gespräche über das iranische Atomprogramm haben den Konflikt nicht gelöst. Sie haben aber zumindest dazu beigetragen, dass Iran eben, anders als 2003 befürchtet, nicht atomar "ausgebrochen" ist. Die mühsamen, von der EU angeleiteten Gespräche zwischen Serbien und Kosovo haben immerhin dazu geführt, dass die Ministerpräsidenten der beiden Länder ein erstes Abkommen ausgehandelt haben. In solchen Fällen hilft erfahrungsgemäß das persönliche Engagement der EU-Außenbeauftragten oder einzelner europäischer Außenminister durchaus.

Europäische Diplomatie muss sich nicht auf Nachbarschaft beschränken

Gerade im geopolitischen Umfeld Europas gibt es genug Betätigungsmöglichkeiten für eine aktive Diplomatie. Im israelisch-palästinensischen Verhältnis wird eine Art Notar gebraucht, der die Umsetzung von Abmachungen überwacht und gleichzeitig bereit ist, zunächst hypothetische, konditionierte Zugeständnisse beider Seiten zu sammeln und zu verbinden. Angesichts des Bürgerkriegs in Syrien könnte die EU oder ein Staat wie Deutschland glaubwürdige Repräsentanten der ethnischen, konfessionellen und politischen Gruppierungen an einen Tisch bringen, um herauszufinden, ob überhaupt noch ein Konsens für eine gemeinsame staatliche Zukunft existiert.

Mit der Türkei wäre in sehr vertraulichen Gesprächen zu eruieren, welche Form einer Assoziierung Ankaras an die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU denkbar ist, wenn und solange ein türkischer EU-Beitritt nicht ansteht. Die Vermittlung vertrauensbildender Maßnahmen zwischen Armenien und Aserbaidschan könnte die Eskalationsgefahr im Kaukasus reduzieren. In Zypern, wo heute alle Zukunftshoffnungen auf der Erschließung der um die Insel gelagerten Gasfelder ruhen, könnte europäische Diplomatie dazu beitragen, zwischenstaatliche Konflikte um die Ausbeutung dieser Vorkommen kooperativ zu regeln.

Europäische Diplomatie muss sich aber nicht auf die eigene Nachbarschaft beschränken. So werden im aktuellen Konflikt mit Nordkorea irgendwann vertrauliche Gespräche geführt werden müssen. Da hilft es schon, dass Deutschland und Großbritannien, anders als die USA, eine Botschaft in Pjöngjang unterhalten.

Der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Volker Perthes, 54, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

© SZ vom 07.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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