Außenminister Steinmeier:Im Tiefflug zwischen Krieg und Frieden

Wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Beirut und Jerusalem zu vermitteln versucht - und dabei nicht viel Ermutigendes erlebt.

Christiane Schlötzer

Die Sonnenschirme am Strand von Larnaka erinnern aus der Vogelperspektive an Dekorationen auf einem Eisbecher. Sanft laufen die Wellen auf den Sand. Sommer auf Zypern. Der Strand ist voll. 65 Hubschrauberminuten später, im Niedrigflug von Larnaka übers tiefblaue, leicht gekräuselte Meer, gibt es wieder einen Strand.

Außenminister Steinmeier mit Israels Verteidigungsminister Peretz in Jerusalem, AFP

Die Wege in der Region sind kurz, doch eine Verständigung ist noch weit: Außenminister Steinmeier mit Israels Verteidigungsminister Peretz in Jerusalem.

(Foto: Foto: AFP)

Kaum Badende hier, ein paar Angler verlieren sich an der langen Promenade vor der spiegelnden Hochhauskulisse. Das ist Beirut, Beirut im Sommer 2006. Eine Stadt, die wirkt wie betäubt, mit vielspurigen Straßen, die plötzlich zu breit sind für den tröpfelnden Verkehr.

Deshalb bräuchte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem Weg durch die libanesische Metropole eigentlich auch nicht die schwarzen Begleitfahrzeuge, Geländewagen, deren Fahrer darin geübt sind, Staatsgästen auf verstopften Straßen freie Fahrt zu erkämpfen.

Die Wagenkolonne kommt nun ganz ohne Hupen voran. Der deutsche Minister ist zum Blitzbesuch in Beirut, um die von Frankreich und den USA entworfene UN-Resolution zu retten, die den blutigen Zweikampf zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah beenden soll.

Libanons Regierung will die Resolution, so wie sie ist, nicht billigen, weil der Text nicht sagt, wann die israelischen Soldaten, die sich immer noch in den Südlibanon vorkämpfen, das Land tatsächlich wieder verlassen müssen.

Deshalb ist Steinmeier jetzt hier in Beirut, in dieser Stadt, in der man lange an sonnenüberglänzten Prachtfassaden vorbeifahren kann, ohne den Krieg zu sehen. Und wären da nicht die heruntergelassenen Rollläden der vielen schon seit fast vier Wochen geschlossenen Geschäfte und die ängstlichen Augen der jungen Libanesin Antoinette, die zum Empfangskommando für den Gast aus Berlin gehört, man konnte fast glauben, den Krieg gäbe es nur in den Medien.

In die zerstörten Schiitenviertel führt nur die Hisbollah. Das kommt aus vielerlei Hinsicht für den deutschen Minister nicht in Frage. Aber er sucht Nabih Berri auf, den Parlamentspräsidenten und alten Fahrensmann der Schiiten, der sich selbst als Brücke zur Hisbollah empfohlen hat.

Berri blafft Steinmeier erst einmal an. Er habe ja schon viele Kriege erlebt, sagt der fast 70-Jährige, und zählt die Daten aller nahöstlichen Konflikte der vergangenen 30Jahre auf. "Das jetzt aber ist gar kein Krieg, sondern ein Massaker in jedem Dorf, und in manchem Dorf sind es zwei", poltert Berri.

Vor die Presse tritt Steinmeier später allein, ohne seinen sperrigen Gesprächspartner. Der soll ihm vorher noch gesagt haben, wenn Israel die in der UN-Resolution vorgeschlagene internationale Stabilisierungstruppe so gut finde, dann sollte es diese doch "auf seiner Seite der Grenze aufstellen".

Die Frage, die in Deutschland so bewegt, ob an jener geplanten Libanon-Schutztruppe auch Bundeswehrsoldaten teilnehmen dürfen - trotz der besonderen deutsch-jüdischen Geschichte - die interessiert im Libanon verständlicherweise eher nur am Rande.

"Historische Entscheidung"

Ohnehin hat die libanesische Regierung just am Abend vor dem Steinmeier-Besuch eine neue, eigene Idee entwickelt, wie sie den umkämpften Süden des Landes befrieden möchte. 15.000 Mann der libanesischen Armee sollen in das Gebiet einrücken, in das sich bisher kein libanesischer Soldat traute, weil dort die Hisbollah herrschte wie ein Staat im Staate, wo die Miliz auf Israel gerichtete Hisbollah-Katjuschas neben Hisbollah-Krankenhäuser platzierte.

Als "historische Entscheidung" lobt Steinmeier daher den libanesischen Regierungsbeschluss, endlich Kontrolle über das eigene Land mittels eigener Truppen gewinnen zu wollen - zumal diesem Vorhaben auch die Hisbollah-nahen Kabinettsmitglieder zugestimmt haben (was Israel wiederum schon misstrauisch gemacht hat).

Die libanesische Armee hat keine wirksame Luftwaffe, keine vernünftige Marine, keine Spezialeinheiten. Ohne internationale Unterstützung dürfte sie wenig ausrichten. Weil die Regierung in Beirut das weiß, erbittet sie auch noch eine deutliche Verstärkung der bisherigen UN-Verbände im Libanon, die ein robustes Manadat erhalten sollten.

Die Hoffnung, dass die neue libanesische Entschlossenheit helfen könnte, eine Einigung im UN-Sicherheitsrat näherzubringen, sorgt bei einer Tafel mit libanesischen Meze für eine fast schon euphorisierte Atmosphäre - auch wenn zu den orientalischen Köstlichkeiten nur Coca Cola gereicht wird.

Das Essen für den deutschen Gast hat Regierungschef Fuad Siniora arrangiert und gleich sein halbes Kabinett dazugeladen. Das Gespräch kreist dann aber immer wieder um eine Aufgabe, die an ein vertracktes Rätsel erinnert, wie sie in Intelligenztests gern gestellt werden: Libanons Armee kann nicht in den Süden vorrücken, solange dort noch die Hisbollah verbunkert ist; die Hisbollah aber zieht nicht ab, solange Israels Armee da ist; Israels Armee jedoch will nicht gehen, solange keine neue Ordnungsmacht im Südlibanon steht.

Auch Steinmeier hat noch keinen goldenen Schlüssel für das Rätsel. Zumal dieser Krieg, nicht nur nach der Vorstellung der Regierung in Washington, irgendwie so zu Ende gebracht werden muss, dass Israels Rückzug nicht wie ein Gesichtsverlust wirkt - und dass im Süden des Libanon auch nicht wieder der alte Zustand eintreten darf, weitere Waffenlieferungen an die Hisbollah vor allem aus Iran eingeschlossen.

Bevor Steinmeier Beirut nach einem halben Tag Libanon-Kompaktkurs in einem französischen Militärhubschrauber wieder verlässt, dankt die Begleiterin Antoinette noch der Delegation dafür, "dass sie sich für den Libanon einsetzen".

Einen Pulk libanesischer Reporter, die den Gast mit erregtem Fragengewirr bedrängen, muss Steinmeier dann noch ziemlich schroff abwehren, denn der Flug muss möglichst pünktlich stattfinden. Der Zeitplan ist mit den Israelis abgestimmt, damit nicht zufällig ein Jet auf den deutschen Minister schießt.

Der Hubschrauber dreht denn auch gleich wieder weg von Beirut, fliegt hinaus übers im Abendlicht schon schwarz schimmernde Meer. Der leere Strand wirkt so friedlich. Man sieht all das so gut, schließlich fliegt der Hubschrauber in nur 150 Metern Höhe. Das ist hoch genug, um der bizarren, in so unterschiedliche Wahrnehmungen geteilten Beiruter Welt zu entschweben.

Mit den schönen Yachten im Hafen, denkt man, könnte man der Stadt doch auch entfliehen. "Aber du weißt nicht, ob das sicher ist", sagt ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Care in Beirut. Care kann sich derzeit auch nicht richtig bewegen, weil es keine Hilfskorridore gibt zu den vor den israelischen Bomben Flüchtenden und den Eingeschlossenen im Süden des Landes.

Ein anderer Ausländer in Beirut, ein Reporter, erzählt, die Straße, auf der er jüngst aus dem syrischen Damaskus anreiste, sei inzwischen auch zerstört. "Die Brücke, über die ich gefahren bin, gab es zwei Stunden später nicht mehr."

Die Bomben auf das schiitische Viertel von Beirut, wo das Hauptquartier der Hisbollah längst ein Schutthaufen ist, fallen meist morgens, kurz vor Sonnenaufgang. Die Explosionen hört man in der ganzen Stadt, wie einen langen Donnerhall. Steinmeier sitzt am nächsten Morgen schon mit dem israelischen Verteidigungsminister Amir Peretz beim Frühstück in Jerusalem. Die Wege im Nahen Osten sind kurz. Das heißt nicht, dass es damit leichter wäre, sich zu verstehen.

Die Chance des Schreckens

Auf dem Weg in die Krisenregion, irgendwo über dem Mittelmeer, ganz weit oben in der Luft, hat Steinmeier seine Gedanken fliegen lassen. Von einem wirklichen Frieden im Nahen Osten hat er gesprochen und die Augen schmaler gemacht als sonst.

Und dass dieser Krieg, wenn man das so sagen darf, auch eine Chance sein könnte, weil der Schrecken so groß ist, dass man neue Anknüpfungspunkte für den Frieden einfach suchen müsse. Die Israelis haben ja die sogenannte Roadmap, die eine Verständigung mit den Palästinensern verlangte, schon zu den Akten gelegt.

Aber man müsse eine neue Initiative ja nicht Roadmap nennen, sondern vielleicht schlicht nahöstlichen Friedensplan. Weil das Militärische nicht wirkt, und Israels einseitige Abgrenzung das Land nicht sicherer macht, möchte man ergänzen. Aber das war, wie gesagt, ganz weit oben in der Luft, höher als ein Kampfhubschrauber fliegen kann.

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