Außenminister-Konferenz:Europäische Verfassung vor dem Scheitern

Der Streit um die Eckpunkte der europäischen Verfassung droht zu eskalieren. Beim Treffen der EU-Außenminister in Neapel sperrten sich vor allem Polen und Spanien gegen eine Beschneidung ihrer Macht. Auch Außenminister Fischer schloss eine Blockadehaltung Deutschlands in dieser Frage nicht aus.

Von Christian Wernicke

(SZ vom 31.11.2003) Spanien und Polen wehrten sich vehement gegen eine Umverteilung der Stimmgewichte im EU-Ministerrat zu Gunsten der großen Länder. Der britische Außenminister Jack Straw schlug vor, den Streit bis 2009 zu vertagen. Außenminister Joschka Fischer warnte, falls die Regierungen "diese Kernfrage" ungelöst ließen, "dann sind wir gescheitert".

Zum Abschluss des Treffens schloss Fischer nicht aus, dass Deutschland ohne eine Reform der nationalen Stimmrechte im Ministerrat die gesamte Verfassung blockieren werde. "Dies ist für uns ein sehr wichtiger Punkt", antwortete Fischer auf die Frage nach einem Veto Berlins. "Wir wollen hier einen Durchbruch." Er fahre jedoch "von Neapel besorgter weg, als ich es vorher war".

Fischer: Wir werden einen bitteren Preis zahlen.

Eine Neuordnung der Stimmrechte sei nötig, um die Handlungsfähigkeit der demnächst auf 25 Nationen erweiterten EU zu bewahren. Falls dies nicht gelinge, "werden wir alle einen bitteren Preis zu zahlen haben".

Zuvor hatte der britische Außenminister Straw angeregt, angesichts der Widerstände insbesondere von Polen und Spanien solle die Regierungskonferenz beschließen, den Konflikt um die Machtverteilung im Ministerrat erst wieder im Jahr 2009 zu beraten. Für diese Idee habe er im Kreise seiner Kollegen "breite Unterstützung verspürt".

EU-Krisentruppe bis 2007

Roms Außenminister Franco Frattini bestritt zwar, er habe im Namen des italienische EU-Vorsitzes eine Vertagung ("Rendezvous-Klausel") vorgeschlagen. Sitzungsteilnehmer bestätigten jedoch der Süddeutschen Zeitung, dass Frattini diese auch von Polen vorgetragene Idee zum Abschluss des Gipfels ausdrücklich "als eine Möglichkeit" erwähnt hatte.

Der im Sommer vom Brüsseler Reformkonvent vorgelegte Entwurf der Verfassung sieht vor, Entscheidungen im EU-Ministerrat künftig mit einer so genannten "doppelten Mehrheit" zu fällen: Dies verlangt in einer auf 25 Staaten erweiterten Union die Zustimmung von mindestens 13 Regierungen, die zugleich 60 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen.

Im Vergleich zur bisherigen Machtverteilung würden so Entscheidungen in Brüssel deutlich erleichtert. Zugleich stärkt die Berücksichtigung der Bevölkerungszahl die Stellung der großen EU-Länder - vor allem Deutschlands. Spanien und Polen lehnen dies ab, da sie bisher mit jeweils 27 Stimmrechten im Ministerrat über fast denselben Einfluss verfügen wie die vier größten Staaten mit je 29 Stimmen.

Europäischer Außenminister geplant

Warschau und Madrid befürchten, nach einer Reform häufiger überstimmt zu werden. Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz warnte deshalb kürzlich sogar vor einer deutsch-französischen Vorherrschaft in der EU. Diplomaten erklärten, in Neapel hätten Spanien, Polen und Großbritannien sich "auffallend häufig wechselseitig unterstützt".

In Kreisen der britischen Delegation wurde eine Absprache indirekt bestätigt: London habe "großes Verständnis" für Polens Bedenken. Im Gegenzug erwarte man "Zuspruch" für die eigenen Vorbehalte etwa gegen EU-Mehrheitsentscheidungen in der Rechts-, Steuer- und Sozialpolitik.

Weitgehend geeinigt haben sich die 15 alten und die zehn künftigen EU-Mitgliedstaaten in Neapel über Details der Außen- und Verteidigungspolitik. Trotz britischer Vorbehalte gegen den Titel eines "europäischen Außenministers" zeichnete sich ab, dass ein solches Amt eingerichtet wird.

Stimmberechtigte Kommissare für kleine Länder

Auf breite Zustimmung stieß ein gemeinsamer Vorstoß von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, einer kleinen Gruppe von EU-Staaten in der Verfassung das Recht zu einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit einzuräumen. Als Ziel nannten die drei Regierungen, bis zum Jahr 2007 eine Krisentruppe aufzubauen, die besonders auf Bitten der UN "innerhalb von fünf bis 30 Tagen" einsatzfähig sein soll.

Nach langem Streit einigten sich die drei Hauptstädte zugleich darauf, in Brüssel ein militärisches Hauptquartier für EU-Einsätze ohne Nato-Beistand zu schaffen. Vorrangig sollen aber die nationalen Hauptquartiere in Potsdam, Paris und London das Kommando führen.

Weitgehend durchgesetzt haben sich die kleinen EU-Staaten mit der Forderung, jedes Land müsse nach der Erweiterung mit einen stimmberechtigten Kommissar in Brüssel vertreten sein.

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