Außenansicht:Vielfalt zahlt sich aus

Ana-Cristina Grohnert,

Ana-Cristina Grohnert, 47, ist in der Geschäftsführung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst&Young zuständig für Personalpolitik.

(Foto: Oh)

Steve Jobs war das zur Adoption freigegebene Kind eines Syrers. Über die guten Seiten von Migration.

Von Ana-Cristina Grohnert

Über viele Jahrzehnte hinweg waren die USA das Traumland zahlreicher Einwanderer und ein Vorbild für Offenheit und Willkommenskultur. So auch für das Mathematiker-Ehepaar Michael und Eugenia Brin, das 1978 die damalige Sowjetunion verließ. Obwohl sie nicht direkt in ihrer Existenz bedroht waren, so sahen sie doch aufgrund ihres Glaubens in den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen ihrer Heimat keine Perspektive für sich. Sie wollten einfach ein besseres Leben haben. Würden sie heute nach Deutschland kommen? Und würden wir sie aufnehmen? Die aktuelle Flüchtlingssituation wirft für viele Menschen bei uns die Frage auf: Wie offen, wie einladend, wie vielfältig, aber auch wie risikofreudig und tolerant wollen wir als Gesellschaft insgesamt sein? Und was haben wir am Ende von dieser neuen Vielfalt?

Sergey, der Sohn der Brins, war fünf Jahre alt, als er mit seinen Eltern in die USA kam. Heute steht der Mitbegründer und Technik-Chef von Google auf Platz elf der Forbes-Liste der reichsten Menschen. Sein Unternehmen beschäftigt mehr als 50 000 Mitarbeiter, 60 Prozent von ihnen in den USA, dem Gastland der einstigen Einwandererfamilie. Google steht auf Rang drei der wertvollsten Unternehmen in den USA. Rang eins belegt Apple. Gegründet von Steve Jobs, dem zur Adoption freigegebenen Kind eines Einwanderers aus Syrien. Offenheit hat sich ausgezahlt.

Dass Vielfalt gewinnbringend ist, lässt sich auf der Ebene eines einzelnen Unternehmens mittlerweile mit harten Fakten belegen. Das beginnt schon bei der Personalbeschaffung: Wer unabhängig von Herkunft, Geschlecht und anderen Ausgrenzungskriterien rekrutiert, der weitet seinen Talent-Pool aus, verkürzt die Zeit für Stellenbesetzungen deutlich und verdient schneller Geld. Für vielfältig zusammengestellte Teams im Unternehmen lässt sich nachweisen, dass diese mit 45 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, Marktanteile gegenüber den Wettbewerbern auszubauen. Spezielle Untersuchungen bei mittelständischen Unternehmen haben gezeigt, dass diejenigen mit höherer ethnischer Vielfalt im Vergleich zu anderen mehr Kunden und Aufträge gewinnen können.

Die Gründe liegen auf der Hand: Eine breitere Aufstellung schafft ein umfassenderes Verständnis unterschiedlicher Zielgruppen und bietet mehr Ansatzpunkte zum Aufbau einer Kundenbeziehung. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Erschließung neuer Märkte. Hier ist ein vielfältig zusammengestelltes Team mit einer siebzigprozentigen Wahrscheinlichkeit erfolgreicher als ein eher homogenes Team. Und Teams, die ein besonders hohes Maß an Vielfalt aufweisen, erzielen Performance-Werte, die - je nach Studie - zwischen 35 und 80 Prozent über herkömmlichen Teams liegen.

Genauso belegbar wie nachvollziehbar sind die positiven Auswirkungen auf Motivation, Kreativität, Innovationsfähigkeit und Mitarbeiterbindung. Und auch die umgekehrten Effekte lassen sich nachweisen: Eine ablehnende Haltung gegenüber Minderheiten-Gruppen im Unternehmen erzeugt bei diesen Arbeitskräften höhere Ausfallzeiten und schlechtere Leistungen. Schließlich bleibt noch die Bewertung der Unternehmenskultur durch die Öffentlichkeit. Wer sich heutzutage nicht als offenes Unternehmen beweisen kann, riskiert die Abwendung bewusst kaufender Kunden und Ansehensverluste.

Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Nutzen der Zuwanderung für die Gesellschaft längst bewiesen. So füllen schon heute mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund einen größeren Teil der wachsenden Fachkräftelücke, beispielsweise im Gesundheitswesen. Positiv wirkt sich die Zuwanderung auch auf die Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung aus - fast ein Drittel der Beschäftigten sind älter als 50 Jahre, der Altersschnitt bei Zuwanderern liegt um die 30 Jahre. Und schließlich bringen Zuwanderer Kenntnisse und Kontakte in ihre Heimatregion mit und sind so wertvolle Bindeglieder unserer internationalen Vernetzung. Unsere Offenheit gegenüber ihnen wird sich auszahlen, zumal die Exportnation Deutschland davon lebt, dass die Welt offen ist für ihre Produkte.

Warum tun wir uns angesichts all dieser Vorteile als Gesellschaft noch so schwer damit, Zuwanderung auch im größeren Stil zu akzeptieren? Vielleicht, weil wir merken, dass auch wir uns ändern müssen? Dass es nicht reicht zu sagen: "Wir sind die Mehrheit, und ihr müsst euch anpassen!" Die Menschen, die zu uns kommen, werden unsere Gesellschaft verändern. Und wir können dafür dankbar sein. Denn was für ein Unternehmen im Kleinen gilt, das gilt auch für die gesamte Gesellschaft: Wo keine Vielfalt herrscht, gibt es keine Veränderung, und wo es keine Veränderung gibt, da beginnt der Niedergang. Die Vielfalt ermöglicht es uns, flexibler auf neue Herausforderungen zu reagieren und uns leichter an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Indem wir gezwungen sind, uns mit diesen Menschen auseinanderzusetzen, revitalisieren wir uns selbst.

Wir haben dabei auch die Gelegenheit, einen Berg unnützer Vorurteile zu entsorgen, wie die haltlose Befürchtung einer vermeintlichen "Islamisierung". Die Menschen, die zu uns kommen, haben Deutschland absichtlich als Ziel gewählt. Sie wollen an unserem Gesellschaftsmodell teilhaben, das individuelle Freiheit und Chancengleichheit verspricht. In dem man es durch Leistung zu etwas bringen kann, und nicht schon für den Schulanschluss des Kindes Beamte bestechen muss. Sie sehen in unserer Art des Lebens und Arbeitens die beste Grundlage für ihre eigene Zukunft. Es liegt an uns zu beweisen, dass diese Annahmen auch der Realität entsprechen.

Die derzeitige Flüchtlingswelle ist zweifelsohne eine große Herausforderung. Und die Ängste vieler Menschen angesichts dessen sind verständlich. Sie helfen aber nicht weiter, sondern lähmen. Die Kanzlerin hat recht, wenn sie sagt: "Wir schaffen das." Und den größten Gewinn wird unsere Gesellschaft genau daraus ziehen: dass wir gelernt und bewiesen haben, eine Herausforderung dieses Ausmaßes bewältigen zu können, und zwar sowohl mental als auch praktisch.

Wir lernen, ähnlich wie im Kampfsport, der Wucht der Ereignisse nicht sinnlos die Stirn zu bieten, sondern ihre Energie in unserem Sinne umzulenken und zu unserer eigenen zu machen. Die Aufgabe der führenden Köpfe in Politik und Wirtschaft ist es, diesen Prozess aktiv zu unterstützen - im eigenen Interesse. Unternehmen müssen sich öffentlich zur Zuwanderung bekennen und dauerhaft die Diskussion über die besten Wege zur Integration führen und begleiten. Sie müssen zudem selbst aktiv nach Möglichkeiten suchen, Zuwanderer einzubinden und dürfen nicht erst auf Anreize oder Bitten von Behörden warten. Willkommenskultur ist kein Förderprogramm, an dem man teilnehmen kann oder nicht, sie ist eine Vernunftfrage.

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