Spionage:Unsinnige Operationen

Deutschland sollte rational mit der Spionage befreundeter Geheimdienste umgehen. Dazu ist ein neuer Konsens nötig.

Ein Gastbeitrag von Hans Beth

Das Ausmaß von Spionage in Deutschland, wie es in den vergangenen Monaten erkennbar geworden ist, wirft Fragen auf: Warum spionieren Amerikaner und Briten so intensiv, auch in Europa? Warum reagiert unsere Regierung so moderat auf die geheimdienstlichen Übergriffe der Freunde? Warum verläuft die innenpolitische Debatte über die Nachrichtendienste bei uns so kontrovers und langwierig?

Inzwischen ist klar, dass die amerikanische Auslandsspionage nicht nur der Terrorabwehr dient. Ziel ist es vielmehr, die Vormachtstellung des eigenen Landes zu sichern und - wie anderswo auch - den eigenen Politikern Vorteile bei auslandsbezogenen Entscheidungen zu verschaffen. Dass die Vereinigten Staaten auch die Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa als relevant für die eigene Sicherheit einstufen, darf nicht verwundern. Bei den Briten lässt sich der nachrichtendienstliche Eifer mit ihren traditionell engen Beziehungen zu den USA erklären; sie versuchen, diese special relationship ihrerseits besonders auch mit militärischen und geheimdienstlichen Beiträgen zu untermauern.

Auf den ersten Blick nur schwer zu verstehen ist allerdings, warum unsere westlichen Freunde auch offenkundig unsinnige und überflüssige Operationen durchführen und dabei riskieren, politischen wie gesellschaftlichen Goodwill zu beschädigen. Und dies, obwohl Diplomaten und Experten in Europa großzügigen Zugang zu Informationen haben. Bezahlte Agenten in befreundeten Diensten zu führen, kollektive Institutionen, an denen man selbst in Schlüsselstellungen beteiligt ist, elektronisch auszuspähen oder gemeinsame Projekte abredewidrig umzufunktionieren, ist kontraproduktiv und das, was man als stupid intelligence bezeichnet. Erklären lassen sich solche Fehlleistungen unter anderem damit, dass in Staaten mit robuster Außenpolitik die (für Geheimdienste charakteristische) Can-do-Mentalität besonders ausgeprägt ist. Vertreter der Dienste erfreuen sich in London und Washington eines hohen Stellenwerts, Politiker rühmen sich dort auch in der Öffentlichkeit gerne ihrer "intelligence based decision".

Die konkrete Ausrichtung der - völkerrechtlich grundsätzlich zulässigen - Auslandsspionage orientiert sich an nationalen Gesetzen und Interessen, in den westlichen Demokratien interagieren die Regierungen zudem mit parlamentarischen Kontrollgremien. Dabei fällt es den Aufsichtsorganen gerade in Ländern mit historisch gewachsenen, dichten sicherheitspolitischen Netzwerken nicht immer leicht, gegenüber ihren Spionen die Prinzipien von Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und auch außenpolitischer Vernunft durchzusetzen. Die Neigung zur cosyness (Kuschelei) ist eine Schwachstelle in diesen sonst starken Systemen.

In Washington und London neigen Politiker zum Kuscheln mit den Diensten

Wie kann Deutschland dafür sorgen, dass ausländische Dienste deutsche Gesetze besser beachten? So angezeigt deutliche, auch öffentliche Kritik an Spionageangriffen ist, so sehr auch die deutsche Spionageabwehr alle Seiten im Auge haben sollte, so wenig hilft die Forderung nach "harten" politischen Konsequenzen. So würde die Einschränkung der Sicherheits-Kooperation mit westlichen Partnern (abgesehen von der eventuell notwendigen Umstellung gemeinsamer Operationen auf eine strikt absprachegemäße Praxis, Stichwort "Selektorenliste") unsere Sicherheitsinteressen nicht fördern. Wenn Deutschland Geheimdienste und Bundeswehr auch weiterhin eher zurückhaltend einsetzen will, gleichzeitig aber (und nur) aus der Mitte seiner Bündnispartner heraus größere internationale Verantwortung übernehmen möchte, dann darf es sich innerhalb der westlichen Intelligence Community nicht in eine Ecke manövrieren. Auch und gerade wenn sich die deutsche Sicherheitspolitik auf die Abwehr transnationaler Gefahren wie Terrorismus, Proliferation von Waffen und organisierte Kriminalität sowie auf die Eindämmung globaler Konflikte und Krisen konzentrieren soll, muss sie über erstklassige geheimdienstliche Erkenntnisse verfügen. Der Einsicht, dass nur ein sehr hohes Informationsniveau eine autoritative internationale Mitsprache ermöglicht, sollte sich keine Partei verschließen, die Anspruch auf Regierungsverantwortung erhebt.

Während die Gefahr einer Kuschelei zwischen Politik und Nachrichtendiensten in Deutschland eher gering zu sein scheint, lässt sich hier, im Gegenteil, ein hartnäckiger Dissens im Umgang mit den Sicherheitsbehörden feststellen. Böte die Aufarbeitung des NSA-Themas nicht die Chance zu einer Annäherung? Zunächst könnten alle im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam feststellen, dass mehr deutscher Einfluss auf die Weltpolitik zur Förderung stärker diplomatisch und weniger militärisch geprägter Konfliktlösungen erstrebenswert ist. Entsprechende Argumente hätten allerdings nur dann Aussicht auf Wirkung, wenn sie auf einem Informationsniveau beruhen, das dem der Debattengegner, inner- oder außerhalb unserer Bündnisse, zumindest ebenbürtig ist.

Berg: Hans-Josef Beth

Hans Beth, 67, arbeitete 35 Jahre lang für den Bundesnachrichtendienst (BND). Zuletzt leitete er die Abteilung Internationaler Terrorismus.

(Foto: Nila Thiel)

Aber selbstverständlich reicht die parteiübergreifende Einsicht in die Notwendigkeit einer soliden nachrichtendienstlichen Wissensbasis nicht aus, um die deutschen Dienste künftig auf einer breiteren Konsensbasis einsetzen zu können. Die Regierung müsste versuchen, das Vertrauen auch der Opposition in ihre Sicherheitspolitik zu stärken, ohne dabei das Risiko einzugehen, die Operationsfähigkeit und internationale Kooperationsfähigkeit der Dienste einzuschränken. Von ihr kann ein aktiveres Zugehen auf die Opposition erwartet werden, etwa beim Dialog mit den parlamentarischen Aufsichtsgremien für die Dienste oder der Vorbereitung neuer Sicherheitsgesetze. Eine größere Transparenz ist aber nur unter der Voraussetzung denkbar, dass alle mit Geheimdiensten befassten Parlamentarier ihrer Pflicht zur Geheimhaltung verlässlich nachkommen. Hätten wir schon jetzt eine entsprechende Tradition, müssten die Abgeordneten des Deutschen Bundestags wohl weniger heftig um ihr Recht auf Einsicht in pannenverdächtige geheime Unterlagen mit Kanzleramt und amerikanischer Regierung streiten.

Wie immer nun dieser - wohl gerichtlich zu entscheidende - Streit ausgehen mag: Sowohl von der Regierung als auch der Opposition können die Bürger, aber auch die Mitarbeiter unserer Dienste erwarten, dass sie sich künftig kooperativer um Ausrichtung und Grenzen nachrichtendienstlicher Aufklärung kümmern. Eine auf breiterem Konsens basierende deutsche Sicherheitspolitik wird auch im Ausland mit mehr Respekt rechnen und schon dadurch freundlichen wie feindlichen Übergriffen besser vorbeugen können.

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