Außenansicht:Umbruch in Nahost

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Der neue Nahe Osten wird vom Ringen um die Vorherrschaft in der Region dominiert. Der israelisch-palästinensische Konflikt hat an Bedeutung verloren. (Foto: dpa)

Das Ringen zwischen Iran und Saudi-Arabien mischt den Palästinakonflikt auf - und könnte die Zweistaatenlösung kippen.

Von Joschka Fischer

Wir leben in einer Zeit des Übergangs. Global schickt sich China an, die Vereinigten Staaten als Führungsmacht abzulösen oder zumindest zum Partner in der Führung zu werden. Und auch im Nahen und Mittleren Osten verschieben sich die bisher bekannten Parameter seiner Ordnung oder besser: seiner Konflikte. Ziemlich genau hundert Jahre nach dem Sykes-Picot-Abkommen, durch das die beiden europäischen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien den post-osmanischen Nahen Osten unter sich aufteilten und dessen Grenzen entsprechend ihrer Interessen zogen, die bis heute gültig sind, mehren sich die Anzeichen, dass sich die Ordnung der Region und die Einordnung der Konflikte zu ändern beginnt.

Seit 1948, seit der Gründung des Staates Israel und dem ersten israelisch-arabischen Krieg - den Israel gewann wie alle anderen, die danach kamen -, hat dieser Konflikt die Region dominiert und strukturiert. Eine der großen Fragen der Weltpolitik lautete seither, ob, und wenn ja wie und vor allem wann, es gelingen könnte, einen tragfähigen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern zu erreichen, um so den Nahen Osten zu befrieden.

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Nie waren die Konfliktparteien dem Frieden so nahe wie zwischen der Unterzeichnung der beiden Oslo-Vereinbarungen 1993 und 1995 und der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin am 4. November 1995. In beiden Vereinbarungen blieb allerdings der Status von Jerusalem offen, weil dieser Punkt zu heikel und kompliziert zu sein schien. Er sollte daher erst in späteren Verhandlungen gelöst werden.

Dann jedoch verlor der israelisch-arabische Konflikt seine zentrale Rolle in der Region. Ursachen dafür waren die US-Intervention im Irak, der Arabische Frühling und in dessen Gefolge der syrische Bürgerkrieg und das Entstehen des "Islamischen Staates" und seines Terrorstaates in Teilen Syriens und des Iraks, der mittlerweile durch eine internationale Koalition wieder niedergekämpft worden ist. An die Stelle des israelisch-arabischen Konflikts ist nun die große Auseinandersetzung zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region getreten. Sie wird bisher im Wesentlichen durch Stellvertreterkriege in Syrien, in Jemen und perspektivisch auch in Libanon geführt. Der Streit um Katar gehört ebenfalls dazu.

Die Zwei-Staaten-Lösung wird immer unwahrscheinlicher. Trump könnte ihr Ende bringen.

Der israelisch-palästinensische Konflikt, der mitnichten gelöst war, schien durch den Gang der Ereignisse auf einen Randkonflikt herabgestuft zu sein, bis sich die US-Regierung unter Präsident Donald Trump dazu entschloss, Jerusalem einseitig als Hauptstadt Israels anzuerkennen.

Präsident, Regierung und Parlament des Staates Israel haben ihren Sitz in West-Jerusalem, wo auch offizielle Besuche stattfinden. Bisher ist die einseitige Annexion Ost-Jerusalems durch Israel aber nicht international anerkannt worden. Auch sind die Botschaften der in Israel vertretenen Staaten nicht von Tel Aviv nach Jerusalem umgezogen, weil alle wussten, wie heikel diese Statusfrage aus politischen und religiösen Gründen für eine mögliche Zweistaatenlösung war. Denn sowohl Israelis als auch Palästinenser beanspruchen Jerusalem als ihre Hauptstadt.

Die Zweistaatenlösung geht auf den Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 zurück. Dieser funktionierte und funktioniert aber nicht, da sich beide Seiten nicht über die endgültige Grenzziehung unter Einschluss Jerusalems und auf wesentliche Sicherheitsfragen einigen können. Es war nach Jahrzehnten schon ein großer Fortschritt, dass die arabische Seite die Existenz Israels anerkannte.

Zwar sprechen Diplomaten nach wie vor vom Nahost-Friedensprozess. Doch über die Jahre hinweg gab es kaum mehr Fortschritte, sodass sich weder Frieden noch ein Prozess finden ließen. Die einzig theoretisch denkbare Lösung, die den Interessen beider Nationen entsprechen würde - nämlich zwei Staaten - wird mit dem Ablauf der Zeit und dem Ausbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland immer unrealistischer. Die einseitige Festlegung der USA in der Jerusalemfrage könnte diesen Glaubwürdigkeitsverlust so verstärkt haben, dass damit das Ende der Zweistaatenlösung faktisch besiegelt ist.

Ob diese Entwicklung im Interesse Israels liegt, muss mit guten Gründen bezweifelt werden. Denn die Alternative zu den zwei Staaten ist ein binationaler Staat von Israelis und Palästinensern. Ein solcher kann definitiv nicht im Interesse Israels sein. Er entspricht aber heute unter der anhaltenden Besatzung der palästinensischen Gebiete im Westjordanland der Realität.

Jede Form von Binationalität wird Israel aber vor die Alternative stellen, ob es ein demokratischer oder ein jüdischer Staat bleiben will - beides zugleich geht dann nicht mehr. Verschwindet aber die Hoffnung auf zwei Staaten, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Palästinenser den Kampf für einen eigenen Staat zugunsten des Kampfes für gleiche Bürgerrechte aufgeben werden.

Ein Bündnis zwischen Israel und Saudi-Arabien hätte seinen Preis

Eine dritte Option existiert nur in der Fantasie: Demnach würde im Gazastreifen und im Nordsinai ein Palästinenserstaat entstehen, der faktisch von Ägypten kontrolliert würde. Das Westjordanland dagegen würde zwischen Israel und Jordanien geteilt. Die Palästinenser würden eine solche Lösung jedoch nicht akzeptieren. Zudem würde sie das Problem des binationalen Staates für Israel nicht beheben.

Es fällt auf, dass die Reaktion der wichtigsten arabischen Staaten - Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien - auf Trumps Jerusalem-Entscheidung sehr moderat ausgefallen ist. Für die Saudis hat der Konflikt mit Iran offensichtlich absolute Priorität. Deshalb wird Saudi-Arabien versuchen, die israelische Militärmacht vor allem in Libanon und in Syrien zu nutzen. Denn ohne Israel - und die USA im Hintergrund - ist Saudi-Arabien viel zu schwach, um Iran wieder zurückzudrängen. Ein formell nicht erklärtes Bündnis zwischen dem saudischen Königreich und Israel wird im neuen Nahen Osten allerdings seinen Preis haben, für beide Seiten.

Warum aber hat der US-Präsident die Jerusalem-Entscheidung getroffen? Und warum ausgerechnet jetzt? Gewiss, bei Donald Trump muss man den Irrationalitätsfaktor sehr hoch veranschlagen. Dennoch spricht vieles dafür, dass diese Entscheidung eher mit dem Hegemonialkonflikt im neuen Nahen Osten im Zusammenhang steht und weniger mit Interessen der US-Innenpolitik. Kommt es also - im Hinblick auf eine gemeinsame antiiranische Front - zu einer Neuausrichtung des israelisch-palästinensischen Konflikts, weg von den alten Parametern einer Teilung des Territoriums? Die Zukunft wird es zeigen.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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