Außenansicht:Siegen, aber nicht regieren

Außenansicht: Rachel Tausendfreund, 38, ist Direktorin beim German Marshall Fund.

Rachel Tausendfreund, 38, ist Direktorin beim German Marshall Fund.

(Foto: GMF)

Was CDU und CSU vom Schicksal der Republikaner in den USA lernen können: Konflikte müssen gelöst werden.

Von Rachel Tausendfreund

Die Kritik am Wahlkampf der CDU ist fast einhellig. Demobilisierend, ja sogar undemokratisch sei die "Wohlfühl-Wahlkampagne" ( so die Formulierung von Anne Will) der Kanzlerin. Deren Kernbotschaft lautet: Alles ist bestens und sollte so bleiben, wie es ist. Damit ignorieren die Wahlkämpfer allerdings die zentralen Probleme, denen sich Deutschland stellen muss. Den Wahlsieg wird dies die Union wohl kaum kosten, doch bleibt das Mandat zum Regieren genauso inhaltslos wie die Wahlplakate.

Das letzte Mal, dass die Union im Wahlkampf auf Veränderung setzte, liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück. Im Jahr 2005 kostete die Ankündigung einer umfangreichen Steuerreform nach dem Modell des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof die CDU fast den sicher geglaubten Wahlsieg. Herrscht seitdem Angst vor gewagten Positionen? Oder ist die inhaltsleere Kampagne Ausdruck der kaltblütigen Finesse der Kanzlerin, ihrer oft angewandten Kunst zu entpolitisieren?

Weder noch. Die Wahlkampftaktik erwächst nicht aus politischem Kalkül, sondern aus blanker Not. Die Union ist innerlich zerrissen. Was das für die Zukunft der Partei bedeuten kann, lässt sich in den USA beobachten: Auch die Republikaner versuchten jahrelang, die internen Gräben so gut wie möglich zu verdecken. Einigkeit wurde in zentralen Fragen nicht erzielt. Präsident Trump ist hierbei nur ein Symptom. Die Probleme liegen wesentlich tiefer. Der derzeitige Zustand der konservativen Elite Amerikas sollte der Union daher ein warnendes Beispiel sein.

Angela Merkel und ihre Berater wissen genau, dass für die nächste Legislaturperiode Ausruhen auf Erreichtem keine Option ist. Vor allem in der Europapolitik müssen die Grundfragen von Wirtschaftssouveränität und Solidargemeinschaft neu verhandelt werden. Die nachhaltige Stabilisierung des Euro steht dabei an oberster Stelle. Jede Reformüberlegung basiert auf der Frage, ob reichere Europäer für ärmere zahlen sollten. Muss Deutschland die ökonomischen Risiken der anderen teilen? Von einem "Ja" oder "Nein" hängt der einzuschlagende Kurs ab.

Man werde es gemeinsam mit Frankreich schon richten, sagt die Kanzlerin. Die Regierung Emmanuel Macron hat sich klar für mehr Vergemeinschaftung in der Euro-Zone ausgesprochen, für Euro-Bonds, einen eigenen Euro-Etat und einen europäischen Finanzminister. Das lässt wenig Verhandlungsspielraum. Die Kanzlerin weiß aber auch, dass sie den inneren Widerspruch in der Euro-Frage derzeit nicht auflösen kann, ohne die Partei zu spalten. So präsentiert die Union den Wählern lieber keine Pläne für Europa, Grundsätzliches ist derzeit nicht konsensfähig.

Der Konflikt zwischen Solidarität und Souveränität in Europa ist ungelöst

Die Republikanische Partei hat eindrucksvoll bewiesen, dass gespaltene Parteien Wahlen gewinnen können. Regieren können sie deshalb aber noch lange nicht, auch dafür ist Washington derzeit ein exzellentes Beispiel. Die Euro-Krise heißt dort Gesundheitspolitik, aber die Parallelen sind unübersehbar. Nach sieben Jahren Kampf gegen Obamacare, die Reform von Präsident Obama, sind die Republikaner nun zum zweiten Mal bei dem Versuch gescheitert, ihre eigene Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen. Die Gretchenfrage ist dabei ebenfalls das Grundprinzip der Solidargemeinschaft: Müssen gesunde Amerikaner für kranke zahlen? Präsident Trump hatte im Wahlkampf widersprüchliche Reformen versprochen und die Solidaritätsfrage sowohl mit "Ja" als auch mit "Nein" beantwortet: Das neue Gesundheitssystem sollte gleichzeitig "viel besser" aber auch "viel billiger" sein - für zahlreiche Wähler ein attraktives Versprechen.

Die Republikaner sind seit Jahren inhaltlich zerstritten. Der Graben verläuft auch in einigen Kernfragen zwischen der Elite der Republikanischen Partei und ihrer Stammwählerschaft und wird vertieft durch einflussreiche rechte Medien und Meinungsmacher. Die Gesundheitspolitik ist dabei nur ein Beispiel. Genauso wenig konnten sich die Republikaner beispielsweise auf eine vernünftige Neuausrichtung der Einwanderungspolitik einigen. Statt zu versuchen, konservative Wähler zu erreichen und den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, haben sie den Reformbedarf ignoriert (oder sich von sinnvollen Reformversuchen distanziert). Der Bruch zwischen der Parteielite und der Basis wird auch bei den Themen Globalisierung und Steuerpolitik deutlich: Eine Mehrheit der Wähler spricht sich gegen Steuersenkungen für Reiche aus, die Parteiführung war jedoch stets dafür. Lange wurden die Ängste und Sorgen des konservativen Parteiflügels ignoriert und gleichzeitig extreme Positionen innerhalb der Partei toleriert. Dies hat das Phänomen Trump erst ermöglicht. Er sprach die Themen an, die seit langer Zeit unter der Oberfläche brodelten, und lieferte ebenso klare Antworten wie scheinbar einfache Lösungen. Und da die Eliten der Partei sich nicht auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten zu Trump einigen konnten, wurde der populistische Außenseiter zum Kandidaten der konservativen Volkspartei.

Trump hat die Streitigkeiten innerhalb der Republikanischen Partei deutlicher als je zuvor zutage treten lassen. Der Wahlerfolg stürzt die Partei somit in eine der größten Sinnkrisen seit ihrem Bestehen: Schon immer war sie ein Sammelbecken unterschiedlicher konservativer Strömungen, nie zuvor standen sich diese jedoch so unversöhnlich gegenüber. Nie zuvor war es so schwer, mit soliden Mehrheitsverhältnissen Entscheidungen herbeizuführen. Die Partei wird dies nachhaltig verändern, in welche Richtung ist derzeit unklar. Zerstören wird es sie voraussichtlich nicht, dafür ist es im US-Wahlsystem zu schwierig, eine alternative Kraft zu den beiden großen Parteien zu etablieren.

In Deutschland ist das anders. Die deutsche Parteienlandschaft lässt durchaus den Zerfall von Volksparteien zu, das haben SPD und Linke nachdrücklich unter Beweis gestellt. Die Union steht vor einer enormen Zerreißprobe. Es gibt für sie nach einem Wahlsieg zwei Optionen: Entweder betreibt sie eine Politik der möglichst "kleinen" Schritte, stellt Europas Probleme weiter hintenan und setzt der Stagnation und den Fliehkräften nichts entgegen. Dies würde die Europäische Union bis zu ihrem Zerfall schwächen, denn weitere vier Jahre Dauerkrise wird sie kaum verkraften. Oder aber CDU und CSU handeln und treffen weitreichende Entscheidungen für mehr Zusammenhalt im Euro-Raum, die dann aber die Partei spalten.

Mit ihrer Wohlfühlkampagne werden CDU und CSU die Wahl wohl noch einmal für sich entscheiden. Danach beginnt allerdings der echte Kampf - mit weitreichenden Folgen für die Partei und Europa.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: