Außenansicht:Schwergewichte ins Auswärtige Amt

Lesezeit: 3 min

Volker Perthes, 59, leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit, in Berlin. (Foto: SWP)

Die nächste Regierungskoalition muss der Außenpolitik höchste Priorität geben.

Von Volker Perthes

Fragen der Außenpolitik stehen bisher nicht im Vordergrund der Sondierungsgespräche zwischen den möglichen Koalitionspartnern in Berlin. Das sollte sich ändern, denn die neue Bundesregierung wird außenpolitisch eher noch mehr gefordert sein als die letzte. Im Bundestag wird die Aufmerksamkeit für europa-, außen- und sicherheitspolitische Themen schon deshalb zunehmen müssen, weil diese aufs engste mit Fragen des inneren Zusammenlebens, unserer Demokratie und unseres Wohlstands verbunden sind. Anders gesagt: Die neue Bundesregierung wird durch internationale Krisen navigieren müssen, die zunehmend auch das geografische und politische Territorium Deutschlands und der EU betreffen.

Bürger und Bürgerinnen nehmen dies am ehesten wahr, wenn sie auf Kriege und Konflikte in der Nähe Europas blicken: Wie die Konflikte in Syrien und im weiteren Nahen Osten ausgetragen, wie sie beigelegt werden oder auch nicht, wirkt sich unmittelbar auf unsere Gesellschaften und auf die Sicherheit Europas aus. Wir haben eine Schutzverpflichtung für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, und müssen uns gleichzeitig vor terroristischen Gefahren schützen, die ursächlich mit den nahöstlichen Verhältnissen zu tun haben. Anhaltende politische Konflikte mit der Türkei würden die Nato schwächen und letztlich auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen beeinträchtigen.

Aber natürlich wäre, um nur wenige Beispiele zu nennen, Deutschland auch von einer militärischen Konfrontation zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten tangiert. Es berührt unsere elementaren Interessen, wenn die amerikanische Regierung sich aus internationalen Verträgen und Verpflichtungen verabschiedet, die Deutschland oder die EU mitverhandelt haben, wenn Nationalismus global hoffähiger wird und Bemühungen um Demokratie und Menschenrechte weniger wichtig werden. Das Gleiche gilt, wenn China mit seinen umfangreichen geopolitischen und geoökonomischen Projekten in weiten Teilen Eurasiens die Regeln setzt und ein autoritäres Staatsmodell exportiert.

Außenpolitik ist oft von unplanbaren Ereignissen getrieben. Eine strategische Ausrichtung der Außenpolitik verlangt auch deshalb mehr Zusammenhalt und erhöhte Handlungsfähigkeit der EU, nicht zuletzt in ihrem eigenen geografischen Umfeld. Notwendig ist auch die Suche nach gleichgesinnten Partnern zur Verteidigung einer regelbasierten internationalen Ordnung.

Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr der verlässliche Partner Europas

Die EU hat in den vergangenen zwölf Monaten spürbare Fortschritte bei der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit gemacht. Selbstgefälligkeit ist dennoch nicht am Platze. Dafür sorgt schon der bevorstehende Austritt Großbritanniens. Dieser wird das politische und wirtschaftliche Gewicht der EU in der Welt reduzieren, ohne dass die Probleme in der europäischen Nachbarschaft geringer würden. Die gemeinsame Reaktion Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens auf die "Dezertifizierung" des Atomabkommens mit Iran durch den US-Präsidenten zeigt, dass es möglich ist, die Handlungseinheit der EU-3 zumindest bei internationalen Fragen trotz der schwierigen Brexit-Verhandlungen aufrechtzuerhalten. Andere, gerade schwierige Akteure wie Russland oder Iran, nehmen Europa nur im Verbund ernst. Auch die Mittelmacht Deutschland würde ohne die EU an Bedeutung verlieren. Auf Orientierung und Führung aus Washington kann Europa während der Amtszeit Donald Trumps nicht hoffen. Je unberechenbarer der Präsident agiert, desto mehr müssen wir uns selbst um Orientierung bemühen. Solche erwarten andere EU-Partner nicht zuletzt vom größten Mitgliedsland. Sie erwarten gleichzeitig, dass Berlin sich dabei mit Paris und anderen Hauptstädten abstimmt.

Die Vereinigten Staaten bleiben der relevanteste, sind aber nicht mehr unser verlässlichster Alliierter. Nur haben wir außerhalb Europas auch keinen anderen. Gerade in Fragen der Sicherheitspolitik ist Europa auf weitere, enge Kooperation mit Washington angewiesen. Die findet in der Nato und bei der inneren Sicherheit auch statt. Wo amerikanische Politik sich aus dem internationalen Konsens verabschiedet, wird Europa allerdings dagegenhalten müssen. Das gilt für so unterschiedliche Themen wie den Klimawandel, den Freihandel oder das Atomabkommen.

China vor allem versucht, die von den USA hinterlassenen Leerräume zu füllen. Tatsächlich ist für Europa die enge Zusammenarbeit mit China bei bestimmten globalen Themen unerlässlich - beim Klimaschutz etwa. Dass China allerdings zum Werte- oder gar zum Bündnispartner bei der Verteidigung völkerrechtlicher Grundsätze oder im Ringen um die Gestalt der internationalen Ordnung werden könnte, ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

Ein zunehmend wichtiges Betätigungsfeld für die deutsche Außenpolitik sind die Vereinten Nationen. Dies gilt nicht nur, weil Deutschland für 2019/20 einen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt, sondern vor allem, weil wir dort aktiv und effektiv für eine liberale internationale Ordnung eintreten können. Die Bereitschaft, eigene Truppen in UN-Missionen unter das Kommando der Vereinten Nationen zu stellen, sollte Teil dieses Engagements sein. Bislang geschieht das in größerem Umfang nur in Mali. Die Bundeswehr agiert dabei als sicherheitspolitisches Instrument der Außenpolitik. Das verlangt eine enge Abstimmung zwischen Außen- und Verteidigungsministerium und natürlich die entsprechende Ausstattung der Truppe. Aber Militär allein kann keinen Konflikt beenden. Deshalb hat das Außenamt in der vergangenen Legislaturperiode etwa eine halbe Milliarde Euro sogenannter Stabilisierungsmittel erhalten, um in Krisen- und Konfliktgebieten jenseits von humanitärer Hilfe politisch intervenieren zu können. Damit kann die Diplomatie nun auch vor einer endgültigen Konfliktlösung oder vor den Entscheidungen internationaler Geberkonferenzen gezielt helfen: beim Wiederaufbau ziviler Infrastruktur genauso wie etwa beim Aufbau lokaler Sicherheitskräfte.

Die Positionierung eines Landes hängt immer auch von Personen und Ressourcen ab. Die zwei Außenminister wie auch die Verteidigungsministerin der großen Koalition waren politische Schwergewichte, die deutliche Ressourcenzuwächse für ihre Ministerien durchgesetzt haben. Die beiden Außenminister haben das Auswärtige Amt zudem tief gehenden Strukturveränderungen unterzogen, um das Ministerium der veränderten Weltlage anzupassen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Nicht nur deshalb ist es wichtig, dass auch die künftige Außenministerin oder der Außenminister politisches Gewicht mit ins Amt bringt.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: