Außenansicht:Rezept gegen Trump & Co.

NEW DELHI INDIA DECEMBER 12 Michael Steiner German Ambassador to India during an exclusive inte; Michael Steiner German Ambassador to India during an exclusive inte

Michael Steiner, 68, ist deutscher Diplomat. Er war außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder und vertrat Deutschland bei den Vereinten Nationen. Zuletzt diente er als Botschafter in Indien.

(Foto: imago/Hindustan Times)

Nur ein starkes Europa wird seine Werte und den Wohlstand schützen können. Deutschland allein ist zu klein, um global zu bestehen.

Von Michael Steiner

Sigmar Gabriel hat seine Sache ja gut gemacht. Bei seiner Selbstinstallation als Außenminister vor einem knappen Jahr hatten da höchstrangige Parteifreunde noch erhebliche Zweifel. Aber worum es im ureigenen deutschen Interesse in dieser Legislatur außenpolitisch wirklich geht, ist weniger ein stark erscheinender deutscher Außenminister. Vielmehr eine starke europäische Außenpolitik. Dies setzt zwingend eine starke Europäische Union voraus. Und dafür jetzt die Ärmel aufzukrempeln, ist die wichtigste außenpolitische Aufgabe der nächsten Bundesregierung.

Die globalen Entwicklungen stellen uns vor qualitativ neue Herausforderungen: Im zunehmend volatilen Nahen und Mittleren Osten verschieben sich die Konfliktpole. Der Terrorismus hat unser Sicherheitsgefühl verändert. Das Flüchtlingsproblem ist nicht bewältigt, Afrika ist eine demografische Zeitbombe. Das erstarkte China betreibt mittlerweile Machtpolitik in allen Facetten, Putin knüpft an alte Großmachtträume an. Und die westliche Führungsmacht taumelt aus der Verantwortung.

Wir Deutschen sind demgegenüber inzwischen eine verschwindend kleine Minderheit mit demnächst unter einem Prozent der Weltbevölkerung. Gleichzeitig hängt unser Wohlstand zu 70 Prozent vom Austausch mit dem Ausland ab. Das heißt, wir sind allein zu klein, wir brauchen die EU als kraftvollen, wertegetragenen Global Player, der die globalen Entwicklungen auf Augenhöhe mitgestalten kann. Eine starke EU ist das einzige wirksame Rezept gegen Trump & Co. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass die EU genau dies nicht ist. Aus asiatischer Perspektive etwa billigt man Europa zwar eine große Vergangenheit, hohe Lebensqualität und perfekte Automobile zu, aber keinen wirklichen Zukunftswillen. Die EU wirkt schwach, ohne Gestaltungsmacht, sie steht für Problem, nicht für Lösung. Und das nicht grundlos.

Nun gibt es bei uns ein Zetern und Jammern über Trump, Xi Jinping, Putin, Erdoğan, Brexit. Die EU-Bürger sind zu Recht beunruhigt. Aber tatsächlich ist Trump-Xi-Jinping-Putin-Erdoğan-Brexit auch eine beispiellose Chance, die Herzen der Bürger, die sich abgewandt hatten, für eine starke Union zu gewinnen. Allerdings wollen sie sich bei den hierfür nötigen grundlegenden Reformen in ihren Interessen wiedererkennen. Und dazu gehört auch ein "Weniger Europa" bei Themen, die besser auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene aufgehoben sind.

Drei Handlungsfelder, auf denen wir in der EU zusammenrücken müssen, sind entscheidend. Erstens, die Sicherheit: militärische Verzahnung, polizeiliche Zusammenarbeit sowie gemeinsame Grenzsicherung. Es kann nicht sein, dass die EU-Mitgliedstaaten 100 000 Grenzschutzbeamte haben, Frontex dagegen nur 1600, wie Kommissar Oettinger sagt. Zweitens, Wirtschaft und Finanzen: Unsere gemeinsame Währung erfordert nach 15 Jahren nun endlich eine koordinierte Wirtschafts-, Finanz- und sicher auch Sozialpolitik.

Risikofreie europafreundliche Sonntagsreden kann kein Mensch mehr hören

Und drittens, die Außenpolitik: Wir brauchen eine europäische Außenpolitik aus einem Guss. Selbstverständlich gehört dazu auch ein/e echte/r europäische/r Außenminister/in. Es gibt keine britische Ausrede mehr. Und im UN-Sicherheitsrat sollten wir übrigens statt inkonsistenter nationaler Träume gleichzeitig einen Ständigen Europäischen Sitz fordern, aufbauend auf dem französischen. Präsident Macron müsste Farbe bekennen. In der übrigen EU würde uns dies nicht nur in Italien wieder dringend benötigten Kredit einspielen.

Auf diesen Feldern und darüber hinaus hat Präsident Macron kluge Vorschläge gemacht. Auch der Vorschlag von Konventen für die entscheidende zivilgesellschaftliche Unterstützung ist richtig. Es ist ein bezeichnender Irrtum gestriger Politik, zu glauben, wir schuldeten Macron nun eine konstruktive Antwort oder gar Geschenke.

Es geht nicht lediglich um eine Antwortschuld. Vielmehr schulden wir uns selbst, dem Erhalt unseres Wohlstands, unseres gesellschaftlichen Grundgefüges eine mutige, offensive statt reaktive deutsche Europapolitik, die die EU zusammen mit Frankreich und anderen willigen EU-Partnern wieder auf die Beine bringt, um nicht zum Spielball anderer globaler Mächte zu werden. Die EU muss zur obersten Liga aufschließen. Dafür müssen wir über unseren kleinkrämerischen Schatten springen. Und wenn EU-Mitgliedstaaten an dieser Neuaufstellung (noch) nicht mitwirken wollen? Dann muss das Prinzip der Verstärkten Zusammenarbeit Anwendung finden, da wir sonst dem lähmenden Status quo nicht entrinnen. Allerdings darf sie auch keinen ausschließen.

Das ursprüngliche politische Grundmotiv des europäischen Einigungsprozesses war: Nie wieder Krieg zwischen uns. Dieses Motiv trug die Gründungsväter der heutigen EU, es trug Helmut Kohl und ihre Generationen. Es gilt weiterhin. Aber gerade da es so erfolgreich war, trägt dieses Motiv nicht mehr hinreichend für weitere Zusammenarbeitsschritte.

Inzwischen ist jedoch ein ebenso wirkmächtiges Rational hinzugetreten, das die Menschen gerade angesichts von Trump, Putin oder des Brexits auch verstehen, wenn es glaubwürdig vertreten wird. Die Bürger verstehen, dass nur ein starkes Europa in der Welt unsere Werte und unseren Wohlstand schützen kann. Aber ihr Vertrauen ist nicht mit abstrakten staatspolitischen Visionen für 2025 zu gewinnen, sondern nur mit ganz konkreten Schritten, die sie an ihrer realen und gefühlten Interessenlage abholen. Vertiefte militärische Kooperation, sichere EU-Außengrenzen bei gleichzeitiger innerer Freizügigkeit und polizeilicher Zusammenarbeit, eine ungefährdete gemeinsame Währung sowie echte gemeinsame Außenpolitik sind handfeste Anliegen, die unsere Bürger mittragen.

Risikofreie europafreundliche Sonntagsreden kann kein Mensch mehr hören. In der Tat benötigen wir eine Neugründung der EU. Da unsere Einzelstaaten dies im rauer werdenden Wettbewerb der globalen Mächte, die massiv ihre eigenen Interessen verfolgen, schlicht nicht mehr leisten können, muss die EU nach außen souverän und mitgestaltungsfähig werden und von innen die Mittel hierfür erhalten. Auf der Basis von Transparenz und Vertrauen ihrer Bürger.

Hier hat die Politik eine Erklärungsbringschuld. Und hier hat sie bisher kläglich versagt. Der letzte Wahlkampf der beiden Volksparteien bedarf keines Kommentars. Hans-Dietrich Genscher sagte mir einmal: "Natürlich kann man mit Europa Wahlen gewinnen. Aber nicht mit lau. Man muss überzeugt und überzeugend sein."

Eines ist klar: Nur wenn sie diese zentrale Aufgabe wirklich schultert, hat eine erneute "große" Koalition überhaupt Sinn.

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