Außenansicht:Revolution von oben

Joschka Fischer

Joschka Fischer, 69, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler. Copyright: Project Syndicate, 2017.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Saudi-Arabien versucht, sich zu erneuern und kämpft gleichzeitig mit Iran um die Vorherrschaft in der Region.

Von Joschka Fischer

Sieben Jahre nach dem Arabischen Frühling hat es nun auch Saudi-Arabien erwischt - wenn auch auf eine etwas andere, dem Land angemessene Weise. Auch in diesem erzkonservativen Königreich ist es eine junge Generation, die auf eine fundamentale Modernisierung setzt, nur richtet sie sich diesmal nicht gegen die etablierte Macht, sondern handelt innerhalb des Staates. Angeführt wird sie von dem jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman (auch MBS genannt).

Saudi-Arabien war schon immer ein extrem widersprüchliches Land, im Spagat zwischen islamischem Mittelalter und westlicher Moderne. Gründend auf sagenhaftem Reichtum, den es seinen Rohölreserven verdankt, war es für den Westen und vor allem für die USA ein unverzichtbarer strategischer Partner im Nahen Osten.

Zugleich gehört das Land zu den bevölkerungsreichsten und flächenmäßig größten arabischen Ländern. In Mekka und Medina befinden sich zwei der wichtigsten heiligen Stätten des Islams auf saudischem Boden. Einerseits verfügt das Land über Großstädte mit moderner Infrastruktur und Shopping Malls nach amerikanischem Vorbild, andererseits ist es auch heute noch eine Stammesgesellschaft und antiwestlich. Eine absolute Monarchie, die von einer Familie - den Saud - seit der Staatsgründung 1932 geführt wird und von einer extrem reaktionären Variante des Islam dominiert, dem Wahhabismus, der die religiöse Grundlage für den Salafismus und damit für die meisten radikalen islamistischen Gruppen in der Gegenwart liefert.

König Salman und der Kronprinz sind angesichts des absehbaren Endes des Ölzeitalters offensichtlich zu der Überzeugung gelangt, dass das Land tief greifend modernisiert und sowohl sozial als auch kulturell geöffnet werden muss, wenn es nicht absteigen oder gar vom Zerfall bedroht werden soll. Die schnell wachsende junge Bevölkerung braucht Ausbildung, Jobs und eine Zukunftsperspektive, soll sie sich nicht zunehmend radikalisieren.

Spätestens die jüngste Welle der Verhaftung von Prinzen, ehemaligen Ministern und sehr reichen und einflussreichen Geschäftsleuten unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung (man könnte meinen, der Kronprinz habe von China gelernt), dazu die Ankündigung, Frauen zu erlauben, Auto zu fahren und öffentliche Sportveranstaltungen zu besuchen, zeigen, dass unter der neuen Führung in Saudi-Arabien eine veritable Revolution von oben geplant ist.

Allerdings ist Vorsicht geboten: Der letzte autokratische Herrscher, der im Nahen Osten eine solche Revolution von oben in direkter Konfrontation mit dem islamischen Klerus und den Traditionen seines Landes versucht hatte, war der Schah von Persien mit seiner "weißen Revolution". Wir wissen, wie das 1979 endete. Man kann nur hoffen, dass die Revolution von oben diesmal gelingen wird. Sollte sie scheitern, dann würden in Riad sehr viel radikalere, salafistische Kräfte die Macht übernehmen, gegenüber denen die iranischen Mullahs wie Liberale wirken dürften.

Scheitert die Erneuerung, droht ein noch radikalerer Islamismus

Angesichts der Bedeutung des Landes wird der Ausgang dieser saudischen Revolution von oben maßgeblich die Zukunft der gesamten Region beeinflussen. Sollte die Modernisierung dieses Bollwerks der islamischen Reaktion aber gelingen, wäre dies ein Modernisierungsimpuls nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die ganze islamische Welt.

Verbunden damit ist eine neue, militärisch gestützte, aggressive Außenpolitik vor allem gegenüber Iran. Sie ist innenpolitisch motiviert. Die Modernisierer wissen, dass sie die Macht des Wahhabismus und der wahhabitischen Religionsgelehrten brechen müssen, wenn die Revolution von oben nicht scheitern soll. Sie wollen diesen extrem rückwärtsgewandten Islam durch ein saudi-arabisches Nationalbewusstsein und Nationalismus ersetzen. Dazu bedarf es aber eines Feindes und einer Mission: Der Feind ist das schiitische Iran, die Mission der Kampf gegen Iran um die Hegemonie in der Region.

Daher hat Saudi-Arabien Teheran faktisch den Fehdehandschuh hingeworfen. Aus ihrer Sicht haben die Saudis diesen jedoch lediglich aufgenommen, denn Iran hatte in Irak, Syrien, Libanon, Bahrain, Katar und schließlich auch Jemen den Kampf begonnen. Bisher beschränkt sich dieser Konflikt noch auf Stellvertreterkriege, wie in Syrien und Jemen mit katastrophalen humanitären Folgen. Einen direkten militärischen Zusammenstoß scheinen weder Saudi-Arabien noch Iran im Augenblick zu wollen, er ist aber angesichts der jüngsten Entwicklungen auch nicht auszuschließen. Im Nahen Osten kann aus einem kalten schnell ein heißer Krieg werden.

Dieser Hegemonialkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran wird den neuen Nahen Osten in den kommenden Jahren prägen, so wie der israelisch-palästinensische Konflikt es im alten Nahen Osten getan hat. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist nicht verschwunden, er hat nur seine Bedeutung für die Region verloren.

Wenige Stunden vor der jüngsten Verhaftungswelle im Königreich überschlugen sich die Ereignisse. Der libanesische Ministerpräsident, Saad Hariri, der sich im Königreich aufhielt, war von seinem Amt mit der Begründung zurückgetreten, dass die schiitische Hisbollah in Verbindung mit Iran ein Regieren in Libanon unmöglich machen würde und er, wie sein Vater, ermordet werden sollte. Dies ist nicht neu, daher stellen sich in Verbindung mit diesem Rücktritt viele Fragen: Warum jetzt? Handelte Hariri gar auf saudischen Druck? Wenn ja, was bezweckt Riad? Zudem wurde Riad aus Jemen heraus von den von Iran unterstützten Huthi-Rebellen mit einer Rakete beschossen. Saudi-Arabien sah dies als eine Kriegserklärung Irans an. Es war dies eine kaum zufällige Häufung von Merkwürdigkeiten. Kehrt der Bürgerkrieg nach Libanon zurück? Will Saudi-Arabien die Konfrontation mit der Hisbollah unter Einbeziehung Israels und der USA, um so ein Exempel für ein Rollback Irans zu setzen, zu dem es aus eigener Kraft nicht in der Lage ist? Für Saudi-Arabien waren sowohl der Verlust der Macht durch die sunnitische Minderheit im Irak als auch der syrische Bürgerkrieg schwere Niederlagen. Sucht der Kronprinz jetzt einen Ausgleich dafür in Libanon unter mehr oder weniger freiwilliger Mithilfe Israels und der USA?

Die Revolution von oben in Saudi-Arabien ist ein Hochrisiko-Unternehmen und hinterlässt beim neutralen Beobachter ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits darf sie nicht scheitern, da die Konsequenzen schlimm wären, andererseits erhöht sie auf dramatische Weise die Spannungen, ja die Kriegsgefahr in der Region. Der Nahe Osten sortiert sich neu.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: