US-Präsident:Warum Obama gescheitert ist

Barack Obama

US-Präsident Barack Obama stand für Konsens und Versöhnung.

(Foto: AP)

Der US-Präsident wollte die Amerikaner versöhnen, doch mit seiner Politik hat er sie tief gespalten - unabsichtlich.

Gastbeitrag von Dietmar Herz

Barack Obama führt die Vereinigten Staaten in seiner zweiten Amtszeit. Beide Zeitspannen stehen für einen Neuanfang. Im Jahr 2008 sahen weite Teile der Bevölkerung die Regierung von George W. Bush als gescheitert an, deren Ziele als gegen die amerikanische Tradition gerichtet. Obamas Politik sollte eine Rückkehr zu den überkommenen Werten der amerikanischen Republik sein. Die Erwartungen waren groß. Obama war sich dessen bewusst. Er machte die Überwindung der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft und Politik zum Kern und zur Voraussetzung seines Programms.

Dazu versuchte er, an die großen Traditionslinien der amerikanischen Politik anzuknüpfen. Immer wieder nannte er Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt als Vorbilder. Damit versuchte er, Weichen zu stellen: Roosevelt ist der große Sozialreformer der amerikanischen Geschichte. Er steht für die Überwindung von Armut und die Demokratie gefährdenden sozialen Unterschiede. Lincoln begründete die (formale) Rassengleichheit. Eine so verstandene progressivere Politik - die Zusammenführung der Bevölkerungsgruppen, soziale Gleichheit, eine kooperative Außenpolitik - kann in den Vereinigten Staaten nur Erfolg haben, wenn sie in den traditionellen Werten der Amerikaner verwurzelt ist.

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Dietmar Herz, 57, ist Professor für vergleichende Regierungslehre an der Universität Erfurt. Er hat in München und Harvard studiert.

(Foto: oh)

Der Präsident sprach oft von Mut, Ehrlichkeit, Fair Play, Loyalität, Toleranz, Patriotismus und Pflicht. Traditionelle Werte, die auch Republikaner gutheißen können. Der Rückgriff auf die Tradition setzte den großen Rahmen - innerhalb dessen die konkrete Politik (Roosevelts Sozialpolitik, aber auch Dwight D. Eisenhowers Modernität) als Vorbild gezeichnet wird. Mittels eines solchen Politikverständnisses wollte Obama die Spaltung der Gesellschaft überwinden. Ein neues "Zeitalter der Ernsthaftigkeit" sollte die Polarisierung verringern und in wichtigen Fragen zur Bündelung der Kräfte führen.

Obama wollte die politische Spaltung überwinden

Obama beschrieb in vielen Reden die politische Krise der amerikanischen Gesellschaft. Er benannte Fehlentwicklungen, machte aber auch Hoffnung: Die amerikanische Geschichte ist nicht zu Ende. Es erfordert allerdings eine Anstrengung vergleichbar der früherer Zeiten: Diese setzte er in seiner ersten Inaugurationsrede den Kriegsanstrengungen der USA gleich, Concord im Unabhängigkeitskrieg, Gettysburg im Krieg gegen die Sklaverei, die Landung in der Normandie, Khe Shan in Vietnam. Die Einbeziehung des Vietnamkrieges in das noble Erbe der Vorgänger hebt die Gemeinsamkeit hervor, das einst Trennende - der Krieg in Vietnam - ist längst überwunden. Der Präsident hatte damit den Kern seiner Politik klar formuliert: Die Überwindung der politischen Spaltung.

Das politische System der Vereinigten Staaten begünstigt durch ein System der checks and balances die Formung entgegengesetzter Kräfte, aber die seit der Präsidentschaft von Bill Clinton sichtbar werdende Spaltung geht über die Bildung solcher zur gegenseitigen Kontrolle gewünschten Fraktionen hinaus. Sie ist in erster Linie gesellschaftlicher und erst dann politischer Natur.

Die Rückkehr zum einstigen Grundkonsens ist unmöglich

Der Präsident übersah, dass die Spaltung sich am heftigsten außerhalb des engen politischen Zentrums abspielte und den amerikanischen Grundkonsens nicht nur infrage stellte, sondern im Begriff war, ihn zu zerstören. Die Transformation der amerikanischen Gesellschaft machte eine Rückkehr zum einstigen Grundkonsens unmöglich. Der Kampf gegen "Washington" war nicht zu stoppen.

Die Dichotomie zwischen "Washington" und "Anti-Washington" ist ein alter Topos der amerikanischen Politik. Im 19. Jahrhundert eroberten Thomas Jefferson und Andrew Jackson die Macht, indem sie sich gegen den etablierten Politikbetrieb wandten. In jüngerer Zeit standen Jimmy Carter und Ronald Reagan für eine solche politikferne Politik. Die Gesellschaft spaltete sich in den Obama-Jahren im Zuge ihrer Fragmentierung durch ethische, religiöse und soziale Gruppen aber immer tiefer. Für einen großen Teil dieser Gesellschaft wurde "Washington" zur Projektionsfläche aller Fehlentwicklungen - tatsächlicher oder wahrgenommener.

Von der Politik Enttäuschte sahen ein Amerika aus der Perspektive des Verlierers: Keine sicheren Jobs bei amerikanischen Arbeitgebern, keine jährlichen Lohnerhöhungen, wachsender Konkurrenzdruck (gerade aus dem Ausland) und Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Das Abrücken von christlichen Werten zugunsten eines säkularen Weltbildes, die Förderung von Minderheiten, die (vor allem) illegale Einwanderung, ein Staat, dem unterstellt wurde, Freiheiten abzubauen - für das alles gaben sie der Regierung die Schuld. Die Republikaner saugten diese Kritik begierig auf und gaben ihr eine politische Form. Dabei geriet die Partei in immer größere Abhängigkeit von radikalen Kräften und war schließlich gezwungen, deren Politik zu der ihren zu machen.

Obama hat mit der Zersplitterung der Gesellschaft zu leben gelernt

Obama wollte diese Spaltung politisch lösen. Er verfolgte eine konsensorientierte, zentristische Politik. Dabei unterschätzte er den Anti-Washington Effekt, dem sich die Republikaner nach ihrer Wahlniederlage 2008 und in den Jahren seither nicht mehr entziehen konnten. Es gab keinen Raum für eine Politik der Mitte. Dies galt auch für wachsende Teile der Gesellschaft. Selbst in den eigenen Reihen erwuchsen seiner präferierten Nachfolgerin Hillary Clinton Gegner, die eine linke Variante der Anti-Washington-Politik zu ihrem Markenzeichen machten. Auch Senator Bernie Sanders kleidete seine Bewerbung in das Gewand des Kampfes gegen das Establishment in Washington.

Obama glaubte zu Beginn seiner Amtszeit, dass es notwendig geworden war, dem Staat wieder mehr Gestaltungsspielraum zu geben. Das bedeutete: Die Politik und politische Rhetorik Reagans aufzugeben - ein wohlüberlegtes, richtiges Vorhaben, das aber auf erbitterte Kritik stieß. Außer einer zentristischen Ausrichtung seiner Politik setzte der Präsident dieser Kritik nichts entgegen. Selbst der tief verwurzelte Rassenhass lebte unter Obama wieder auf. In Ferguson, Cleveland und Chicago kam es zu Rassenunruhen. Für die in viele Fragmente zerfallende amerikanische Gesellschaft fand Obama kein Heilmittel.

Die Versöhnungspolitik scheiterte, doch erreichte der Präsident einige wichtige Erfolge. Die Elemente einer Politik des Möglichen wurden am Ende seiner Amtszeit sichtbar. So versuchte er, was er zunächst als gemeinsame Politik geplant hatte, nun auch gegen Widerstände zu verwirklichen. Er hat die Zersplitterung der Gesellschaft nicht verhindert, aber mit ihr zu leben gelernt. So hat Obama im Scheitern seines Anliegens viele Ziele seiner Präsidentschaft erreicht.

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