Außenansicht:Mehr Ehrgeiz

Außenansicht: Andreas Troge, 66, war von 1995 bis 2009 Präsident des Umweltbundesamtes.

Andreas Troge, 66, war von 1995 bis 2009 Präsident des Umweltbundesamtes.

(Foto: oh)

Strenge Vorgaben in der Europäischen Union und Gebühren für Waren von außen - so könnte Klimapolitik ihr Ziel erreichen.

Von Andreas Troge

Das Klimaschutzabkommen von Paris aus dem Herbst 2015 verlangt von seinen Zeichnerstaaten Selbstverpflichtungen. So soll es gelingen, besonders den Ausstoß an Treibhausgasen in den kommenden Jahrzehnten so weit zu drosseln, dass der Anstieg der mittleren Erdtemperatur bis 2100 deutlich unter zwei Grad bleibt. Die Klimakonferenz von Marrakesch verabschiedete hierzu kürzlich einen Arbeitsplan. Da die in Paris abgegebenen Selbstverpflichtungen noch nicht reichen, sollen die Staaten alle fünf Jahre anspruchsvollere Zusagen machen.

Sind die Anreize für diese Dynamik richtig gesetzt? Ich meine Nein, schon weil die einzelnen Staaten in jeder Verhandlungsrunde den Anreiz haben, sich die Kosten für die weitere Senkung der Emissionen zu sparen - und sei es auch nur dadurch, dass sie die Themen immer weiter ausweiten. Da geht es mittlerweile um kompensatorische Maßnahmen (etwa Ausdehnung der Wälder), Geld für den Techniktransfer und den Ausbau der Verwaltung oder Hilfen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Der Kern jeder Strategie gegen den Klimawandel - die Verringerung der Emission von Treibhausgasen - dürfte deshalb überall einen schweren Stand haben.

Jenseits der jahrzehntelang eingeübten Routine stellt sich die Frage, wie es gelingen könnte, die Staaten des Pariser Vertrages über Jahrzehnte zu einem anspruchsvolleren Klimaschutz zu bewegen. Die Antwort: indem Vorreiter auch auf kurze Sicht kaum wirtschaftliche Nachteile gegenüber Nachreitern oder Nichtreitern haben, sondern - angesichts der Vorteile klimaeffizienter Techniken und deren weltweiten Verkaufs - sogar Vorteile haben. Und so könnte das gehen:

Einmal sollten Staaten und Staatengruppen konkrete Pläne zur Emissionsminderung für sich mittel- und langfristig rechtlich verbindlich machen und straff instrumentieren. So sollte die EU-Kommission einen Vorschlag für die Begrenzung der auf dem Binnenmarkt angebotenen Mengen fossiler Energie unterbreiten, der - nach Zustimmung des EU-Rates sowie des EU-Parlaments - allgemein verbindlich würde. Der Vorschlag sollte zunächst vorsehen, dass von 2030 an auf dem Binnenmarkt 40 Prozent weniger Kohlenstoff (Kohlendioxid und Methan) aus Energieträgern verkauft wird. Dieser Deckel wäre dann alle fünf Jahre zu senken. Die Berechtigung, fossile Energien auf dem Binnenmarkt anzubieten ("Inverkehrbringenszertikate"), würde die EU-Kommission nach einem vorab festgelegten Verfahren versteigern; die Zertifikate könnten ihre Inhaber frei im Binnenmarkt handeln. Mit immer tiefer gesetztem Deckel in den kommenden Jahrzehnten würden auch die dann steigenden Kosten für die weitere Minderung der Emissionen im Verhältnis zum Verbrauch auf alle Verursacher umgelegt - und zwar über steigende Nutzenergie- sowie Produktpreise.

Ein Grenzausgleich für Importeure müsste die Klimapolitik flankieren

Wie aber lässt sich angesichts kurzfristig steigender Kosten für einen progressiven Klimaschutz erreichen, dass sich die Staaten des Paris-Abkommens überhaupt aufraffen, Vorreiter oder wenigstens Mitreiter zu sein? Schließlich ist die Furcht vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit wegen steigender kurzfristiger Kosten das wohl wichtigste Hindernis für mehr Klimaschutz.

Damit - in meinem Beispiel - die EU als Vorreiter im Klimaschutz auch kurzfristig keine wesentlichen Nachteile im globalen Wettbewerb hinnehmen muss, bedarf es eines wirksamen Außenschutzes. Dieser würde analog zum Grenzausgleich für die Umsatzsteuer funktionieren: Die EU würde Exporteuren die durchschnittlich für die jeweilige Produktgruppe in der EU anfallenden Klimaschutzkosten erstatten, während Importe in die EU entsprechend mit den durchschnittlichen Klimaschutzkosten im Binnenmarkt belastet würden. Betragen - hypothetisch - die durchschnittlichen Klimaschutzkosten in der EU für eine Tonne Rohstahl 100 Euro, so erhält der Exporteur aus dem Binnenmarkt diese 100 Euro von der EU erstattet; umgekehrt belastet die EU Rohstahlimporte - etwa aus China - mit 100 Euro. Regeln der Welthandelsorganisation, WTO, stehen dem übrigens nicht grundsätzlich entgegen.

Natürlich ist diese Form des Außenschutzes nicht ohne Probleme, diese erscheinen aber eher lösbar, und zwar mit sehr viel mehr Zuversicht, als viele in ihrer Gesamtwirkung kaum noch überschaubare klimapolitisch motivierte Einzelinterventionen in Wirtschaftsabläufe. In Deutschland wären beispielsweise angestammte Einzelregulierungen - wie etwa eine Kerosinbesteuerung, die Klimagasemissionskomponente in der Mineralölbesteuerung, die Stromsteuer oder Subventionen für die energetische Gebäudesanierung, nicht mehr zu rechtfertigen. Sogar viele Subventionsbegehren für erneuerbare Energien würden sich - zumindest in der heutigen Schärfe - nicht stellen, weil der Einsatz erneuerbarer Energien und von Energiespartechnik - angesichts des immer niedriger liegenden Deckels für Treibhausgase - in vielen Fällen von sich aus auch kurzfristig wirtschaftlich würde.

Die wesentlichen Vorteile dieser Strategie sind vierfach:

Erstens würde der Klimaschutz für die gesamte EU glaubwürdig zum Standortfaktor erklärt: Jede und jeder, der in der EU konsumiert oder produziert, müsste - proportional zum individuell verursachten Treibhausgasausstoß aus fossilen Energien - zum Klimaschutz beitragen.

Zweitens würde die außenwirtschaftliche Flanke über den Grenzausgleich zumindest für besonders treibhausgasintensive Produkte weitgehend geschlossen: Niemand kann via Importe treibhausgasintensiv produzierter Güter dem EU-Klimaschutzregime nennenswert ausweichen, noch sich auf Vorteile der Nicht-EU-Konkurrenten berufen, um für sich Ausnahmen von diesem Klimaschutzregime zu reklamieren.

Drittens gäbe es eine Gleichbehandlung im Klimaschutz, weil dieser - verursachungsgerecht - für alle privaten Haushalte, Unternehmen und Behörden gleich gälte, was Kompensation für besondere Belastungen aus sozialpolitischen (private Haushalte) und wirtschaftspolitischen Gründen (Unternehmen) nicht ausschlösse; allerdings wäre das Regel-Ausnahme-Verhältnis im Vergleich zum Status quo umgekehrt und - vor allem - der Klimaschutz gewahrt; dieser wäre nicht mehr Restgröße dessen, was man wirtschafts- und sozialpolitisch für einzelne Branchen oder gar bestimmte Unternehmen und deren Beschäftigte für zumutbar hält.

Viertens: Wichtig ist die Wirkung des Außenschutzes für Fortschritte im globalen Klimaschutz. Er hätte mehr Chancen auf die notwendige Dynamik.

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