Außenansicht:McDonald's in Teheran

Irans Reformer erhoffen sich nach dem Atom-Deal Aufwind. Doch nun kommt alles auf die Wirtschaft an.

Von Ehsan Mehrabi

Heute bin ich einkaufen gegangen. Im Supermarkt gab es immer noch keine alkoholischen Getränke. Wozu ist denn die Atomvereinbarung gut?"

Solche Witze, die neuerdings in sozialen Netzwerken Irans erzählt werden, zeugen von den hohen Erwartungen eines Teils der Gesellschaft, der sich von dieser Vereinbarung nicht nur die Verbesserung der Wirtschaftslage, sondern auch mehr persönliche und bürgerliche Freiheit erhofft.

In den höchsten politischen Kreisen hingegen bestehen andere Erwartungen. Die Atomvereinbarung Irans mit dem Westen kann man aus innenpolitischer Sicht als Kampffeld der zwei politischen Hauptströmungen betrachten, unter der Führung von zwei Ayatollahs: auf der einen Seite Ali Chamenei, politischer und religiöser Führer des Regimes und Oberhaupt der sogenannten Hardliner - auf der anderen Seite Akbar Haschemi Rafsandschani, Vorsitzender des Expertenrats und Kopf der Reformer. Auch wenn der Reformer Rafsandschani offiziell einen niedrigeren Posten bekleidet, ist er sehr mächtig, viele politische und religiöse Persönlichkeiten werden vor allem als Befolger seiner Führung angesehen, unter ihnen Hassan Rohani, der jetzige Staatspräsident, und Mohammad Khatami, der Ex-Präsident.

Der Atom-Deal mit dem Westen, seit Montag nun offiziell abgesegnet vom iranischen Parlament, gilt im Land als historischer Erfolg dieser Reform-Strömung. Nun möchte diese Strömung erreichen, dass die Vereinbarung mit dem Westen nicht nur auf die Lockerung wirtschaftlicher Sanktionen beschränkt bleibt, sondern auch eine Öffnung des Landes in politischer, kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht bewirkt. Der Konservative Ayatollah Chamenei und seine Unterstützer hingegen bekräftigen, dass sie mit aller Macht die "Verwestlichung" der Gesellschaft verhindern wollen.

Diese Schlacht ist nach der Entscheidung im Atom-Streit nicht geschlagen. Vielmehr nimmt sie nun gerade erst Fahrt auf. Das nächste Kräftemessen der zwei gegensätzlichen Strömungen wird in fünf Monaten zu beobachten sein, bei den Wahlen von Parlament und Expertenrat. Rafsandschanis Reformer erhoffen sich dabei Aufwind durch ihren Atom-Erfolg, Rafsandschani und einige seiner Anhänger wollen für den Expertenrat kandidieren. Es gibt Gerüchte über eine Erkrankung von Ayatollah Chamenei, weshalb der Expertenrat bedeutsamer ist denn je, denn seine Mitglieder würden den Nachfolger Chameneis bestimmen. Wenn Chamenei in einer politischen Situation wie der jetzigen stürbe, wäre Rafsandschani Favorit.

Chamenei hatte nach dem Atomabkommen mehrmals angemahnt, dass die Feinde beabsichtigen, in den Expertenrat einzudringen und dass er dies verhindern werde. Für die Kenner seines Sprachgebrauchs bedeuten diese Worte eine Drohung: Man könnte es ablehnen, die Integrität von vielen der Rafsandschani nahe stehenden Kandidaten für die beiden Wahlen zu bestätigen, mit anderen Worten: sie von vornherein ausschließen.

Wachsender Wohlstand würde fortschrittlichen Kräften zugutekommen, so die Hoffnung

Die Normalisierung der Beziehung zu den USA wird das zweite Schlachtfeld der zwei Strömungen sein. Rafsandschani bekräftigte nach der Wiener Atomvereinbarung mehrmals, dass nun das "Tabu von Gesprächen mit den USA" gebrochen und die Wiederaufnahme der Beziehungen beider Länder möglich geworden sei. Chamenei hingegen betont, dass die Feindschaft der USA zu Iran nicht vermindert worden sei und ein Eindringen der USA in Iran verhindert werden müsse.

"Während die iranische Regierung mit den ausländischen Regierungen spricht, warum führt sie keine Gespräche mit ihren Gegnern im eigenen Land?" Solche Fragen werden neuerdings oft auf Webseiten reformistischer Kreise gestellt, sie unterstreichen die große Hoffnung darauf, dass auch im Land selbst politisches Tauwetter einsetzen könnte. Viele politische Beobachter sind aber skeptisch, ob ein Kompromiss in der Außenpolitik wirklich zu mehr Freiheiten im Inneren führen wird. Manche sind noch pessimistischer und sagen voraus, dass kurzfristig eher eine Verschlechterung drohe.

Tatsächlich gibt es Beispiele für dieses Muster: härteres Vorgehen gegen innenpolitische Gegner nach einem außenpolitischen Rückzug. Der wohl berüchtigste Fall ist die Hinrichtung Hunderter politischer Gefangener in Iran nach der Annahme des Waffenstillstands mit Irak. Demnach müsste Rafsandschani nach dem erfolgreichen Atomabkommen eher einen konservativen Backlash im politischen Klima Irans befürchten. Er hat aber wahrscheinlich die Hoffnung auf längerfristige Änderungen, die er in seiner politischen Laufbahn mehrmals erlebte.

Nach dem Iran-Irak-Krieg war Rafsandschani Staatspräsident. Seine Präsidentschaft war mit liberaler Wirtschaftspolitik verbunden und ist in Iran als Aufbau-Ära bekannt. Die Verbesserung der Wirtschaftslage unter Rafsandschanis Regentschaft bildete eine neue Mittelschicht mit westlich orientierter Lebensform. Diese Lebensform, die insbesondere bei jungen Menschen Verbreitung fand, war aus Sicht vieler Beobachter einer der Gründe dafür, dass Mohammed Chatami die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1997 gewann.

Nun hoffen Rafsandschani und seine Unterstützer, dass sich der politische Effekt von damals wiederholen lässt. Aus ihrer Sicht sollen die nun vom Westen in Aussicht gestellte Lockerung der Sanktionen und der verbesserte Zugang zu westlichen Investitionen die antiwestliche Debatte in Iran und damit die konservativen Politiker und Anhänger Ayatollah Chameneis schwächen. Neuer Wohlstand würde den konservativen Polterern das Wasser abgraben, so die Hoffnung. In diesen Wochen versuchen europäische Wirtschaftsmächte bereits reihum, in Teheran Fuß zu fassen und die Chancen einer Zusammenarbeit gewinnbringend zu nutzen.

Aus genau diesem Grund indessen versuchen die konservativ-islamischen Politiker, die wirtschaftlichen Folgen der Atomvereinbarung zu begrenzen. Oft warnen sie, dass der Westen versuche, durch die wirtschaftlichen Beziehungen Politik und Kultur Irans zu beeinflussen. Die Konservativen reagieren auch gereizt auf manche Wirtschaftsgüter, die aus ihrer Sicht symbolhaft für den westlichen Lebensstil stehen. Ein Beispiel ist der heftige Protest des Büroleiters von Chamenei gegen die Eröffnung einer Filiale von McDonald's in Teheran. Nur ein Symbol - aber ein wirkmächtiges. Denn letztlich verbindet sich mit der konservativen Ablehnung der Bullettenbrater die Sorge, dass der Appetit der Iraner noch weiter wachsen könnte - nicht nur auf westliche Wohlstandsgüter, sondern auch auf Rechte nach westlicher Art.

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