Außenansicht:Mär von der Agrarwende

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Carl Dohme, 43, betreibt mit seiner Frau auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Großenwieden Ackerbau. Das Paar hat drei Kinder. Dohme ist zudem Geschäftsführer des Landvolkverbandes in Hannover. (Foto: oh)

Eine andere Landwirtschaft könnte vielleicht Umwelt und Tiere besser schützen. Kleinbäuer­liche Betriebe aber würden sterben.

Von Carl Dohme

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, insbesondere aber die Grünen fordern eine Wende in der Agrarpolitik. Die industrielle Landwirtschaft und die Massentierhaltung sollen abgeschafft werden. Öffentliche Gelder soll es nur noch für landwirtschaftliche Leistungen geben, die über Umweltschutz und Tierwohl auch der Allgemeinheit dienen.

Als Landwirt kann ich mit diesen Begriffen nichts anfangen. Wenn in Deutschland ein Hof auf die nächste Generation übergeben wird, heißt es immer, der Hoferbe erhalte einen Arbeitsplatz, den er dann möglichst im Rentenalter an eines seiner Kinder weitergeben soll. Selbständig ist der Bauer! Also braucht er für seinen Hof einen auskömmlichen Unternehmergewinn. Da er die Eltern neben der eigenen Familie mit unterhalten muss und schon ein mittelgroßer Mähdrescher rund 200 000 Euro und ein neuer Stall schnell mal eine Million kostet, wird er mindestens einen Jahresgewinn um die 150 000 Euro benötigen. Zumindest, wenn er auch an die eigene Rente denkt.

Durchschnittlich verdient ein Bauer an einem Mastschwein 20 Euro und auf dem Acker pro Hektar vielleicht 300 Euro. Für seinen Unternehmergewinn muss er also entweder 7500 Mastschweine im Jahr verkaufen oder 500 Hektar Fläche bewirtschaften. Größenordnungen, die nur wenige Betriebe in Deutschland erreichen und die wohl in weiten Teilen der Gesellschaft als industrielle Landwirtschaft und Massentierhaltung gebrandmarkt würden. Für viele Landwirte sind diese Zahlen ökonomische Realität. Sie sind es seit Jahren gewohnt, dass sich der Preis für ihr Getreide von den Börsen in Paris und Chicago ableitet und der Milch- und Schweinefleischpreis unter Druck gerät, wenn die EU den Handel mit Russland beschränkt.

Gerade wegen dieser Abhängigkeit vom Welthandel und den weniger wettbewerbsfähigen Strukturen in vielen Teilen der Landwirtschaft brauchen die Bauern die EU-Agrarförderung als direkte Beihilfe. Bei den meisten Betrieben macht das Geld aus Brüssel den Großteil des Gewinns aus. Dabei kommt es gar nicht mal so sehr auf die Größe der Betriebe an, obwohl sich die Höhe der Förderung allein am Umfang der bewirtschafteten Flächen orientiert. Je größer die Betriebe sind, so die Idee, umso mehr Menschen lebten schließlich davon.

Dies ist jedoch nicht zwangsläufig der Fall. So entsteht unter den Bauern das Gefühl, das Geld werde ungerecht verteilt. Innerhalb der Landwirtschaft und besonders im Deutschen Bauernverband gibt es viele Diskussionen darüber, wie diese Ungerechtigkeiten für alle Betriebe erträglich abgebaut werden können.

Das geforderte Ende der direkten Zahlungen der EU würde nur den ganz großen Betrieben helfen

Den Kern der Agrarwende bildet aber die Abschaffung der Direktförderung durch EU-Mittel. Diese wird heute als Keim allen Übels angesehen - obwohl sie unter einer grünen Landwirtschaftsministerin eingeführt worden ist. Man kann dieser Position auch als Landwirt durchaus etwas abgewinnen. Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass die Auszahlung der Direktzahlung an die Landwirte schon heute an die Einhaltung Dutzender teilweise die Wettbewerbsfähigkeit stark einschränkender Vorschriften im Umwelt- und Tierschutzrecht geknüpft ist. Verstößt der Landwirt dagegen, wird ihm die Direktzahlung gekürzt oder genommen.

Zudem räumt der Landwirt bei der Beantragung staatlichen Prüfern weitgehende Kontrollrechte auf seinem Hof ein. Mancher hofft deshalb, dem allen entgehen zu können, wenn er nur auf die Direktzahlungen verzichtet. Andere wiederum, haben ihre Betriebe bereits so effizient ausgerichtet, dass sie ohne Direktzahlungen auskommen. Sie hoffen, weiter wachsen zu können, wenn durch den Wegfall der Direktzahlungen andere Betriebe aufgeben müssen. Das sind dann in der Regel die Betriebsleiter, deren Höfe zu den vielleicht 15 Prozent der Spitzenbetriebe in Deutschland gehören. An deren völlig legitimen Erwartungen offenbart sich jedoch zugleich die Scheinheiligkeit der Agrarwende.

Denn wenn nur ein kleiner Teil aller Betriebe ohne Direktzahlungen auskommen kann, was macht dann der große Rest der Höfe? Bekommen diese Betriebe nur noch öffentliches Geld für öffentliche Leistungen, wird also nur noch das kompensiert, was sie zugunsten der Umwelt, der Tiere oder des Klimas an Produktivität einbüßen, verlieren sie den Großteil ihres Betriebsgewinns. Sie müssen daher davon ausgehen, dass der Wegfall der Direktzahlungen das Aus für ihre Höfe bedeutet. Anders als von den Befürwortern beteuert, glauben sie nicht, dass die EU willens und in der Lage wäre, den Agrarbinnenmarkt so stark vor billiger Konkurrenz zu schützen, dass deutlich ansteigende Preise den Wegfall der Direktzahlungen dauerhaft kompensieren werden.

Sie können sich auch nicht vorstellen, dass das Heil der Betriebe zukünftig in regionalen Märkten liegen soll, und dass die Agrarwende insbesondere den bäuerlichen Betrieben zugutekommt. Abgesehen davon, dass sich auch ein Betrieb mit 2000 Mastschweinen oder 40 000 Masthähnchen als bäuerlich betrachtet, erleben Landwirte jeden Tag eine andere Realität. Die Markmacht der großen Supermarktketten wird mit Ministergenehmigungen (zum Beispiel im Fall von Edeka und Tengelmann) gestärkt. Diese bestimmen, wer und zu welchem Preis regional vermarkten kann. Gleichzeitig treiben ständig erhöhte Umwelt- und Tierschutzauflagen die Kosten in die Höhe und sind für Durchschnittsbetriebe kaum mehr zu leisten.

Die Landwirtschaft ist in weiten Teilen längst eine Hightech-Branche geworden, die in der Lage ist, ressourcenschonend und bei vernünftigen Maßstäben auch tier- und umweltgerecht zu wirtschaften. Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass dieses vielfach nicht in den jetzigen Strukturen möglich ist. Notwendig dazu sind modernste Maschinen und Ställe und damit Investitionen, die nur große Betriebe oder Zusammenschlüsse mehrerer Betriebe werden stemmen können. Das Bild der Landwirtschaft wird sich weiter verändern. Kommt die Agrarwende wie angekündigt, werden viele Betriebe, die mit Hilfe der Direktzahlungen jetzt noch eine Perspektive hätten, aufgeben müssen. Die Konzentration zu wenigen immer effizienteren und leistungsstärkeren Betrieben wird deutlich zunehmen. Auf schwachen Standorten werden große Betriebe entstehen, die von öffentlichen Geldern für unproduktives Wirtschaften abhängen.

Die Agrarwende wird die Landwirtschaft somit sicherlich nachhaltiger und tiergerechter machen. Bäuerliche Strukturen wird sie aber nicht erhalten können. Schneller als gedacht werden viele Dörfer ohne aktive landwirtschaftliche Betriebe auskommen müssen.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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