Außenansicht:Machtspiele lohnen sich nicht

Hans Peter Bull

Hans Peter Bull, 80, war von 1978 bis 1983 der erste Bundesbeauftragte für den Datenschutz und nach 1988 sieben Jahre lang Innenminister von Schleswig-Holstein.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Wenn es um innere Sicherheit geht, müssen Kompetenzen pragmatisch verteilt werden.

Von Hans Peter Bull

Unsere Sicherheitsarchitektur ist kompliziert. Bund und Länder haben sich über die Kompetenzen für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gestritten - mit dem Ergebnis, dass in vielen Fällen sowohl Bundes- als auch Landesbehörden handeln dürfen oder sollen: Zuständigkeitsgemenge anstelle eines stimmigen Systems. In manchen Fällen muss die Verantwortung erst von den Beteiligten abgestimmt werden. Dazu kommt die Konkurrenz von Polizei und Verfassungsschutz, die nicht selten zur Rivalität wird.

Ein Politiker, der in dieser Situation Reformen vorschlägt, stößt auf reflexartige Kritik, ehe noch der Inhalt seines Vorschlags geprüft worden ist. Betroffene Beamte, Personalräte und Gewerkschaften fürchten jede Organisationsänderung, weil sie glauben, dass neue Besen zu gut kehren und dabei zu wenig Rücksicht auf schlechte alte Sitten nehmen. Die Landesregierungen bangen um ihren Einfluss auf die Sicherheitspolitik und auf Auswahl, Ausbildung und Ausstattung des Personals. Reformgegner behaupten, die Verlagerung von Aufgaben von dem einen auf den anderen Träger gefährde die öffentliche Sicherheit, und viele glauben wohl wirklich, die Rechtsstaatlichkeit leide schon dann, wenn eine Behörde neue Kompetenzen erhält. Die Kritik ist parteiübergreifend; in der Ablehnung verstärkten Bundeseinflusses sind sich Linke wie Rechte, Norddeutsche und Bayern einig.

Gewiss, neue Vorgesetzte, neue Aufgabenzuschnitte, neue Personalmanager verursachen bei den Beschäftigten Unruhe, aber wenn die Behörden allzu ruhig vor sich hin arbeiten, müssen die politisch Verantwortlichen sie zu mehr Bewegung anhalten. Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum NSU haben gezeigt, dass die Behörden oft nicht hinreichend kooperieren. Auch in anderem Zusammenhang sind schwere Ermittlungspannen vorgekommen. Um die Mängel nachhaltig zu beheben, muss die Debatte spezifischer und gründlicher geführt werden: Welche Konsequenzen haben bestimmte Organisationsformen für die Aufgabenerfüllung und für die Rechtsstaatlichkeit der Sicherheitsverwaltung? Die Parteien interessieren sich zu wenig für die Organisation der Verwaltung und haben dafür kaum Konzepte. Das ist verständlich - geht es doch zu einem guten Teil um politisch neutrale Zweckmäßigkeits- und Effektivitätsfragen, zu deren Bewältigung Parteiprogramme und Sozialethik wenig Konkretes beitragen können.

Bei rationalem Vorgehen muss jede Reform der Verwaltung von den jeweiligen Aufgaben her gedacht werden. Diese müssen im Einzelnen analysiert und überprüft werden (aber nicht alles muss anders werden). Jede Veränderung muss daran gemessen werden, ob sie dem Ziel dient, Aufgaben möglichst wirkungsvoll zu lösen. Wenn eine Reform dazu beiträgt, den Menschen ein höheres Maß an Sicherheit vor Gewalt und Unrecht zu verschaffen, ist sie geboten. Die Organisationsinteressen der beteiligten Stellen sind nachrangig. Dass die verfassungsrechtlichen Grenzen der Staatstätigkeit im Verhältnis zu den Bürgern einzuhalten sind und eine wirksame Kontrolle der Verwaltung gesichert sein muss, ist selbstverständlich. Aber die gesetzlichen Kompetenzen der Länder und der traditionellen Verwaltungszweige sind - im Rahmen des Grundgesetzes, das dafür Spielräume lässt - veränderbar; damit ist auch die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern nicht ein für alle Mal festgeschrieben.

Besonders viele Pannen passieren zwischen Polizei und Verfassungsschutz

Die Aufgaben sind schwerer geworden; die Vielfalt der Probleme erfordert differenzierte Lösungen, die auf spezielle Aufgaben und faktische Möglichkeiten zugeschnitten sind. So wäre es vollkommen unangemessen, ein einheitliches Organisationsprinzip für alle Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung festzulegen: Weder ist Zentralisierung ein Allheilmittel noch ist es die föderale Verteilung aller Aufgaben auf die Länder. Bestimmte Formen von Kriminalitätsbekämpfung können effektiv vor Ort wahrgenommen werden, andere sind mit Recht den Spezialisten des Bundeskriminalamts zugewiesen worden. Zersplitterung kann zu Doppelarbeit, Reibungsverlusten und Versäumnissen führen, während die Beteiligten in zentral geleiteten Behördenzweigen schneller und leichter miteinander kommunizieren können. Aber das ist nicht immer so; auch die Behörden verschiedener Länder müssen miteinander und mit dem Bund kommunizieren und können dabei durchaus erfolgreich kooperieren. Hinzu kommt, dass die aufzuklärenden Sachverhalte sich häufig nicht in bestimmte Schubladen einordnen lassen. Es gibt Übergänge zwischen verschiedenen Formen von Straftaten und den Methoden ihrer Bekämpfung.

Besonders pannenträchtig ist die Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Verfassungsschutz, wie sie in der Zeit der Rote Armee Fraktion eingeführt worden ist. Der Verfassungsschutz, der ursprünglich nur "extremistische Bestrebungen" aufklären und über "verfassungsfeindliche" Aktivitäten berichten sollte, wirkt seitdem mit seinen nachrichtendienstlichen Mitteln auch an der Aufklärung des Terrorismus mit, und er hat dabei offenbar in letzter Zeit einige wichtige Erfolge erzielt. Er ist ein Inlandsgeheimdienst geworden, wie ihn auch andere Staaten unterhalten, und die Extremismusaufklärung spielt in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch eine untergeordnete Rolle. Um einen eigenen Antiterror-Geheimdienst zu unterhalten, sind freilich nicht alle Länder groß genug. Die Länder legen gleichwohl Wert darauf, eigene Verfassungsschutzämter zu besitzen - als ob ihre Existenz davon abhinge. Einige Länder wie Bayern haben dem Verfassungsschutz auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zugewiesen. Dafür ist aber die Polizei viel besser ausgebildet und ausgerüstet. Die Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutz sollten also insgesamt wieder voneinander abgegrenzt werden.

Was die Länder als Entmachtung empfinden mögen, kann in Wahrheit die Entlastung von einer unerfüllten Verpflichtung bedeuten. Erforderlich sind keineswegs immer vollständige Aufgabenverlagerungen; bisweilen genügen Weisungsrechte des Bundes oder die Zusammenlegung kleiner Landeskriminalämter oder Verfassungsschutzämter. Das föderale System mit seinen checks and balances ist eine Form von Gewaltenteilung und darf nicht einem perfektionistischen Vereinheitlichungsinteresse zum Opfer fallen, trotzdem sind einzelne Elemente dieses Systems verfügbar. Und die Rechte der Bürger werden durch Organisationsreformen - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen berührt. Über all dies ist zu diskutieren, auch wenn es mühsam ist.

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