Außenansicht:Israel, Palästina und das Recht

Völkerrechtler Prof. Dr. Andreas Zimmermann

Andreas Zimmermann, 54, ist Professor für Völker- und- Europarecht an der Universität Potsdam und Direktor des dortigen Menschenrechtszentrums.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Internationale Strafgerichtshof könnte für Kriegsverbrechen im Nahen Osten zuständig sein. Wichtig ist dabei, dass auch die Bundesregierung dem Gericht politisch und finanziell den Rücken stärkt.

Von Andreas Zimmermann

Vor kurzem haben die Vereinten Nationen ihren Bericht zu etwaigen Kriegsverbrechen während des vorerst letzten Gaza-Krieges von 2014 vorgelegt. Er ist detailliert und durchaus ausgewogen. Die Autoren gehen davon aus, dass beide Konfliktparteien, also Hamas und die anderen in Gaza operierenden bewaffneten palästinensischen Gruppen einerseits und die israelische Armee andererseits, Kriegsverbrechen begangen haben könnten. Dies belegt erneut die Dramatik der Tatsache, dass Palästina Anfang 2015 die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) für alle in dem "besetzen Gebiet Palästinas" seit dem 14. Juni 2014, mithin also seit dem Beginn des Gaza-Krieges, begangenen Verbrechen anerkannt hatte.

Zunächst stellt sich die Frage, ob der Gerichtshof überhaupt zuständig ist. Nur Staaten können dessen Zuständigkeit begründen, und Palästina ist möglicherweise noch gar kein Staat. Deutschland verneint, anders als etwa Schweden, die Staatlichkeit Palästinas. Dagegen bejaht die Anklagebehörde des Strafgerichtshofes diese Frage, hatten doch die Vereinten Nationen Palästina 2012 als Beobachterstaat akzeptiert. Daneben wird aber auch im Laufe des Verfahrens zu beantworten sein, ob Gaza wegen der anhaltenden umfassenden israelischen Kontrolle über das Gebiet nach wie vor als besetzt anzusehen ist, wovon richtigerweise die Anklagebehörde bereits in einem früheren Verfahren zur sogenannten Gaza-Flotilla ausgegangen war. Weiter erhebt sich die Frage, ob nicht auch das gesamte Westjordanland jenseits der Waffenstillstandslinie von 1948 einschließlich Ost-Jerusalem, nicht nur besetzt ist, sondern auch einen Teil des Staatsgebietes von Palästina bildet. Bereits diese Vorfragen zeigen, wie politisch aufgeladen das gesamte Verfahren ist.

Gegenstand der Vorermittlungen ist auch die Siedlungspolitik Israels

Werden all diese Fragen bejaht, dann könnte der Strafgerichtshof nicht nur Strafverfahren wegen etwaiger Kriegsverbrechen beider Seiten während des Gaza-Krieges, sondern auch wegen der anhaltenden Ansiedlung israelischer Staatsangehöriger in den palästinensischen Gebieten einleiten. Was den Gaza-Krieg anbelangt, scheint es dabei fast evident zu sein, dass der umfangreiche Beschuss ziviler israelischer Ziele durch Hamas und andere Gruppen ein Kriegsverbrechen darstellt. Allerdings dürfte es wegen der Organisationsstruktur der diversen bewaffneten Gruppen in Gaza schwierig sein, die Angriffe konkreten Tätern zuzuordnen.

Die israelische Kriegsführung in dem extrem dicht besiedelten Gazastreifen wirft ihrerseits viele schwierige Fragen auf, so etwa nach dem zulässigen Ausmaß ziviler Nebenschäden, sogenannter Kollateralschäden; diese hatten ja auch deutsche Strafverfolgungsbehörden im Fall des Oberst Klein und des von ihm befohlenen Luftangriffs in Kundus beschäftigt. Letztlich wird man in vielen Fällen kaum den Vorwurf eines Kriegsverbrechens erheben können, wenn es keine Videoaufnahmen konkreter Angriffe oder Mitschnitte von Warnungen durch Israel gibt und solange unklar ist, ob es sich bei einem Opfer um einen Hamas-Kämpfer handelt, der legitimerweise bekämpft wurde, oder aber um einen Zivilisten. Israel wird keine Beweismittel liefern und muss es auch nicht. Dadurch wird sich wiederum die Frage nach den strafrechtlich Verantwortlichen nur schwer beantworten lassen. Neben einzelnen Vorfällen erscheint aber etwa die sogenannte Hannibal-Direktive der israelischen Streitkräfte problematisch, die nach Darstellung der UN vorsieht, dass Israel massive militärische Mittel, etwa Artillerie, einsetzt, sobald auch nur der Anschein besteht, einer ihrer Soldaten laufe Gefahr, gefangen genommen zu werden. Auch gab es israelische Luftangriffe auf Schulen des UN-Hilfswerkes UNRWAA, weil einige von ihnen, aber wohl nicht alle, von palästinensischen Gruppen für militärische Zwecke missbraucht worden waren. Schließlich erscheint es problematisch, dass Israel offenbar generell Personen als legitime Ziele von Kampfhandlungen angesehen hat, die sich in sterile zones aufhielten, Kampfgebieten also, zu deren Verlassen sie von Israel aufgefordert worden waren.

Gegenstand der Vorermittlungen des Strafgerichtshofes ist aber nicht zuletzt auch die Ansiedlung israelischer Staatsangehöriger in den besetzten palästinensischen Gebieten. Das unmittelbare oder mittelbare "Überführen" der eigenen Bevölkerung durch eine Besatzungsmacht in das von ihr besetzte Gebiet ist seit Langem als Kriegsverbrechen anerkannt. Nach Auffassung der Bundesregierung, so wie sie sich 2002 in der Begründung zum einstimmig vom Bundestag angenommenen Völkerstrafgesetzbuch ausdrückte, reicht für den Straftatbestand nicht nur "die Ansiedlung der eigenen Bevölkerung" selbst, es reichen auch "mittelbare Überführungshandlungen", etwa "die Bereitstellung von finanziellen oder anderen Anreizen für die eigenen Staatsbürger bei Wohnsitznahme im besetzten Gebiet". Dabei genügt "die Überführung einiger weniger, zur Zivilbevölkerung der Besatzungsmacht gehöriger Personen", selbst wenn "die Überführung in unbewohnte Gebiete erfolgt".

Es bedarf nur wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass die israelische Siedlungspolitik eine solche Überführung und damit ein Kriegsverbrechen darstellt. Insoweit stellen sich zugleich deutlich weniger Beweisprobleme, zumal der Siedlungsbau Ausdruck einer generellen Politik ist und damit auch hochrangige Amtsträger als potenzielle Täter in Betracht kommen.

Insgesamt ist es fast schon tragisch, dass neben Angehörigen von Hamas oder ähnlicher Gruppen auch israelische Staatsangehörige auf absehbare Zeit Gegenstand von Ermittlungsverfahren vor dem, in der Tradition des Nürnberger Militärtribunals stehenden IStGH werden könnten. Freilich mahlen die Mühlen der internationalen Justiz besonders langsam, handelt es sich doch bislang um bloße Vorermittlungen. Der erwähnte Bericht dürfte aber die Anklagebehörde darin bestärken, konkrete Ermittlungen einzuleiten. Zwar bestehen inhärente Grenzen der Wirkmächtigkeit des IStGH. Zumindest aber wird jeder weitere Verfahrensschritt immer wieder vor Augen führen, dass auch eklatante Völkerrechtsverstöße, ja Völkerrechtsverbrechen, im Raum stehen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Staaten, die, wie Deutschland, bislang den IStGH maßgeblich unterstützt haben, weiterhin daran festhalten, selbst wenn er in politisch schweres Wasser gerät. So gilt es etwa, Forderungen zurückzuweisen, der Gerichtshof möge solche angeblich politisierte Verfahren umschiffen. Stattdessen sollte die Bundesregierung finanziell und politisch dem IStGH und seiner Chefanklägerin weiter den Rücken stärken.

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